Kartelle, Kinder der Dunkelheit

Sie verkaufen Zement, Fernseher oder Kaffee. Sie treiben die Preise nach oben und kosten den Verbraucher Milliarden. Kartellanten handeln illegal und müssen sich trotzdem nicht fürchten. Denn Kartelle sind in Europa nicht strafbar.

Veröffentlicht am 5 Dezember 2012 um 16:03

Die ehrenwerten Geschäftsleute trafen sich zumeist bei Tagungen des Zentralverbands Elektrotechnik in Frankfurt. Da referierten sie über neue Märkte und Technologien, und was es sonst noch im Geschäft mit Leistungstransformatoren gab, jenen großen Geräten aus Magneten und Drahtspulen, ohne die kein Stromversorger auskommt. Doch wirklich spannend wurde es stets erst nach Ende des offiziellen Programms, an den Abenden oder bei gemeinsamen Ausflügen.

Dann, so beschreiben es die Ermittler, trafen sich Geschäftsführer und Vertriebsleiter in „Kleingruppen“ zu „ projektbezogenen Gesprächen“, die höchst lukrativ verliefen. Denn es ging um Absprachen, die den vermeintlichen Wettbewerbern stressfrei zweistellige zusätzliche Millionengewinne verschafften. Detailliert vereinbarten sie, wer welchen Auftrag bekommen sollte, und vor allem, zu welchem Preis.

Mindestens fünf Jahre lang, ermittelten die Beamten des Bundeskartellamts in Bonn, haben sich der Siemens-Konzern, die Regensburger Starkstromgerätebau, die französische Alstom und der Schweizer Elektroriese ABB so den deutschen Markt für Transformatoren aufgeteilt, ganz ohne Wettbewerb, aber dafür auf Kosten ihrer Kunden, die weit mehr bezahlen mussten, als wenn die Anbieter hätten konkurrieren müssen.

Vier lange Jahre dauerten auch die Ermittlungen der Kartellwächter. Heraus kam schließlich im vergangenen September ein Paket an Bußgeldbescheiden. Insgesamt 24,3 Millionen Euro Strafgelder mussten die vier Unternehmen sowie die beteiligten Manager an die Staatskasse überweisen. Aber das war es dann auch. Niemand musste sich vor Gericht verantworten. Keiner der Beteiligten wurde namentlich bekannt. In den Medien kam der ganze Vorgang nicht über eine Kurzmeldung hinaus.

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So geht es fast immer zu, wenn in Europa Kartelle auffliegen. Jahr für Jahr ermitteln die Wettbewerbsbehörden gegen Hunderte von Unternehmen, die gegen das Kartellverbot verstoßen. Kaffee und Spülmittel, Zement und Chemikalien, Flachbildschirme und DVD-Spieler, Glas und Kabelbäume für Autos, ja sogar Feuerwehrfahrzeuge und Nordseekrabben, die Liste der betroffenen Branchen und Produkte ist beinahe unbegrenzt. Fast immer zahlen dabei die Verbraucher drauf, weil die Preisaufschläge meist bis zum Endprodukt durchgereicht werden. Aber fast nie müssen sich Täter persönlich verantworten.

So nehmen Politik und Öffentlichkeit diesen Missstand kaum zur Kenntnis – nach Meinung vieler Fachleute zu Unrecht. Verbotene Absprachen über Preise und Vertriebsgebiete, so warnt etwa der Stuttgarter Ökonom und Kartellexperte Ulrich Schwalbe, „richten weit mehr Schäden an als Bilanzfälschungen oder Insidergeschäfte“ und müssten daher „viel intensiver bekämpft werden“. Kartellvergehen würden bei den Unternehmen fälschlich noch immer „ als Gentleman-Delikte wahrgenommen“, kritisiert auch Franz Jürgen Säcker, ehemals selbst Kartellrichter und heute einer der führenden Experten für Wettbewerbsrecht an der Freien Universität Berlin. „Das müssen wir ihnen durch intensivere Anstrengungen, Verstöße gegen kartellrechtliche Vorschriften zu vermeiden, austreiben.“

Tatsächlich sind die Folgekosten des Kartellunwesens weit höher als gemeinhin angenommen...

EU-Kommission

Rekordbußgelder gegen Bildröhren-Kartell

Am Mittwoch dem 5. Dezember „hat die EU-Kommission sieben Herstellern ein Rekordbußgeld in Höhe von 1,47 Milliarden Euro verhängt. Die Unternehmen hatten zehn Jahre lang die Preis von Bildröhren für Fernseher und PCs abgesprochen“, berichtet Le Figaro. Die französische Tageszeitung erinnert daran, dass die Kommission schon 2007 in den Büros der Firmen durchsuchen ließ und betont, dass es hier „um die größte, jemals von der Kommission verhängte Strafe im Rahmen einer Kartell-Affäre vorliegt.“

Bei den abgestraften Herstellern handelt es sich um LG Electronics, Philips, Samsung, Panasonic, MTPD (heute eine Tochterfirma von de Panasonic), Toshiba et Technicolor. [...] Dem taiwanesischen Unternehmen Chungwa, welches die Absprachen ans Licht gebracht hat, wurde die Strafe im Rahmen einer Kronzeugenregelung erlassen.

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