Fabrikhalle der Marchesini-Gruppe im Herzen des „Packaging Valley“ in Bologna

In Emilia-Romagna ist man gemeinsam stark

Die Region rund um Bologna kennt keine Krise. In der von der Verpackungsindustrie geprägten Provinz sind die Auftragsbücher voll und der Export steigt — dank eines industriellen Geflechts, in dem sich die Firmen gegenseitig unterstützen, sagen die örtlichen Unternehmer.

Veröffentlicht am 5 Dezember 2012 um 12:33
Alberto Cocchi  | Fabrikhalle der Marchesini-Gruppe im Herzen des „Packaging Valley“ in Bologna

Auf der einen Seite das Fließband: hunderte von unbeschrifteten Kapseln. Auf der anderen Seite: Holzpaletten, perfekt aneinandergereiht und etikettiert. Zwischen den beiden: ein Dutzend Stahlroboter mit Gelenkarmen, die sorgfältig die Medikamente ordnungsgemäß verpacken. Die Arbeiter lächeln: Der Test ist bestanden. Die Maschinen, an denen sie seit mehreren Monaten tüfteln, können bald dem indischen Kunden geliefert werden.

In dem Werk der noch jungen italienischen Marchesini Group in einem südlichen Vorort von Bologna erfinden 700 Arbeiter und Angestellte Maschinen, die Medikamente für Novartis, GSK oder Sandoz verpacken. In der Region Emilia-Romagna, 300 Kilometer nördlich von Rom, arbeitet die Industrie auf Hochtouren. Tonnenschwere Maschinen werden nach Brasilien, China, Südafrika exportiert. „Wir sind in den Schwellenländern sehr präsent“, sagt auch gleich Guido Rossi, Leiter der PR-Abteilung von Marchesi.

Mitten in einem Europa, dessen Sparprogramme überall die Produktionskapazitäten eindämmen, erklärt sich der Erfolg der Emilia-Romagna nicht allein durch den gezielten Export. „Die Stärke der lokalen Industrie rührt auch von den zahlreichen Kleinunternehmen her, die wie eine Art Geflecht um uns weben“, betont Massimi Marchesi, der 1974 die Gruppe gegründet hat, die seinen Namen trägt. Er besteht darauf, dass es dieser Struktur aus solidarischen kleinen und mittleren Unternehmen zu verdanken ist, dass sich die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise hier nicht bemerkbar machen.

Willkommen im „Packaging Valley”

Seitdem die technokratische Regierung von Mario Monti vor rund einem Jahr das Heft in die Hand genommen hat, haben sich „die langfristigen Aussichten von Italien verbessert“, besagt die letzte Woche veröffentlichte Wirtschaftsprognose der OECD. Die Arbeitslosigkeit stagniert, der Sollzinssatz für zehnjährige Anleihen ist auf dem niedrigsten Stand seit 2010 und nach Angaben von Analysten der Bank Intesa Sanpaolo hat sich die industrielle Produktion „im vierten Quartal insgesamt stabilisiert [...] der Abwärtstrend, der das ganze Jahr zu beobachten war, ist unterbrochen.“

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Während überall in Europa Industriestandorte geschlossen werden (Peugeot, Petroplus, Alcoa, ArcelorMittal…) ist die Emilia-Romagna die Ausnahme. Wegen der zahlreichen Unternehmen der Verpackungsindustrie, die hier konzentriert sind, wird die Region um Bologna in einem Umkreis von hundert Kilometern auch „Packaging Valley“ genannt. Nach Angaben der lokalen Banken Carisbo und Banca Monteparma gab es in dieser Branche seit 2008 ein Wachstum um 8 Prozent. Zwischen 2000 und 2011 stieg der Export in die BRICS-Staaten um 260,4 Prozent.

Früher stand hier die Industrie ganz im Zeichen der Verarbeitung von Seide. Heute widmet man sich hier der Verpackung von Kaffee, Zigaretten, Kosmetika, Nudeln... und Kräutertees. In den Vororten der Hauptstadt der Nationalspeise Ragù verströmt die Fabrik der Firma IMA den Duft von Wildkräutern in alle Himmelsrichtungen. Daniele Vacchi, Direktor des weltweit führenden Herstellers von Maschinen zur Verpackung von Tee, stapft über halb geöffnete Teebeutel hinweg und sagt: „2011 war für uns das beste Jahr seit 50 Jahren. Und 2012 bricht alle Rekorde. Seit zwei Jahren haben wir zuviel Arbeit...“ Die Zahl der Mitarbeiter ist dabei kontinuierlich gestiegen: von 3129 im Jahr 2010 auf heute 3524.

„Der Begriff „Packaging Valley“ fasst auf einfache Art etwas sehr Komplexes zusammen“, erklärt Daniele Vacchi in einem fast perfekten Französisch. Auch er meint, dass die „Geheimwaffe“ der Region in den Beziehungen mit den hunderten kleinen und kleinsten Unternehmen zu suchen sei. „Als die Krise kam, haben wir zusammengehalten. Wir vertrauen einander und tauschen informell Informationen aus, die nirgends in Verträgen stehen“, führt der Mittfünfziger aus und spielt mit einem aufgerissenen Teebeutel. „Die Wirtschaft wird von der gesamten Region getragen: Sie besitzt eine historische Industriekultur. Italien wird fast erdrückt, doch Emilia-Romagna hält stand.“

Das italienische Industrie-Modell als Alternative

Während in Frankreich der Gallois-Bericht vor kurzem wieder die Debatten um die französische Industrie angeheizt hat und die deutsche Industrie weiterhin als Modell in Europa gilt, wird die Alternative, welche das italienische Modell darstellt, oftmals außer Acht gelassen. Die Löhne sind dort insgesamt niedriger als in Deutschland, doch die hohen Lohnkosten, machen die Arbeit ähnlich teuer. Die Gewerkschaften, die wir kontaktiert haben, gaben an, sie fürchten schon die Krise und eine eventuelle Bedrohung des Arbeitnehmerstatus (insbesondere über den verstärkten Zugriff auf Zeitverträge), mussten aber zugeben, dass die Verpackungsindustrie „nicht die gleichen Schwierigkeiten kennt“ wie andere Branchen.

Die bestechende Form der Industrie von Emilia-Romagna erinnert daran, dass Italiens Wirtschaft immer noch Ressourcen besitzt. Zumindest ist das die Botschaft, welche eine Großbank auf Werbeplakaten in den Bahnhöfen von Bologna, Parma oder Mailand vermitteln will: „L’Italia merita ancora credito“ [Italien verdient weiterhin Kredit].

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