Der Lilane wäscht weißer

Der größte Euroschein ist auch die am meisten verbreitete Eurobanknote, selbst wenn die überwiegende Mehrheit der Europäer noch nie einen Fünfhunderter in Händen gehalten, haben. Grund: Es ist der Lieblingsschein der Dealer, Verbrecher und Steuersünder.

Veröffentlicht am 16 August 2010 um 13:09

Seit dem ersten Geltungstag vom 1. Januar 2002 hat die Zahl der 500-Euro-Scheine in Umlauf jährlich um 32 Prozent zugenommen. Für die feinen journalistischen Kultur- und Finanzspürnasen der Financial Times ist das ein vielsagendes Symbol. Der Dollar kann sich schon mal Sorgen machen. Vor vier Jahren, als der Euro gegenüber dem Dollar kräftig zulegte, prunkte der amerikanische Rapper Jay-Z in einem seiner Videoclips mit 500-Euro-Scheinen. Der Kerl ist nicht irgendwer ("I'm not a businessman, I'm a business, man!"): zwölf Alben seit 1996, mehr als 40 Millionen verkaufte Exemplare. 2006 hatte der Euro den Dollar entthront und beendete 62 Jahre später die von Bretton Woods gebilligte Hegemonie der US-Währung.

Als Ex-Crack-Dealer war der Rapper, mit richtigem Namen Shawn Carter, Bündel von kleineren Banknoten gewohnt. Er begriff also schnell die drei logistischen Vorteile eines derartigen Stückchen Papiers: große Summe, leicht zu wechseln und unauffällige Geldreserve. So entdeckten die unter 30-Jährigen des Globus, dank MTV, das neue Lieblingsspielzeug des guten alten Europas: Ein Geldschein, der seinesgleichen nicht hat, mit einem Wert von 660 Dollar — sechs Hunderter, ein Fünfziger und einen Zehner in einem Schein — bis dato unerhört und unbekannt.

Schattenwirtschaft wird Stabilitätsfaktor für den Euro

Die überwiegende Mehrheit der Ottonormalverbraucher hat noch nie einen 500-Euro-Schein benutzt. Wer hat eigentlich entschieden, dass die Europäische Zentralbank (EZB) einen Schein von derartiger Kaufkraft drucken soll, ein gefundenes Fressen für die finsterste Schattenwirtschaft, für Drogendealer, das organisierte Verbrechen, Steuersünder, etc.? Am 1. August argumentierte Stephen Fidler im Wall Street Journal, dass die Beliebtheit der 200- und 500-Euro-Scheine bei Verbrechern, Drogenhändlern und anderen Geldwäschern ein Stabilitätsfaktor für die europäische Gemeinschaftswährung sei, die in den letzten Monaten heftige Turbulenzen durchlebte.

Wäre die EZB ein Unternehmen, wäre ihr Flaggschiff... der 500-Euro-Schein, jene Banknote, die außerhalb der Eurozone am meisten im Umlauf ist und am meisten gehortet wird. Ideal für ihre Geldwäsche: Mit dem Euro wäscht man weißer! Eine Million Dollar in Hundert-Dollar-Scheinen wiegen rund zehn Kilo. In Euro-Fünfhunderter-Euro kommt man auf weniger als zwei. Der offizielle Sprecher der EZB verweist darauf, dass sechs der zwölf Gründungsmitglieder der Eurozone Scheine von ähnlichem Wert besaßen. Tauscht man einen Fünfhunderter in 500 Ein-Euro-Münzen ein, könnten davon heute in den ärmsten Regionen des Planeten 500 Menschen einen Tag lang leben.

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Ein rasanter Siegeszug

Seit Januar 2002 hat die Zahl der sich im Umlauf befindenden Fünfhunderter jährlich um 32 Prozent erhöht (von 31 Milliarden Euro damals auf 285 Milliarden Euro heute). Der Wert aller Fünfhunderter, von denen so wenige unter uns je einen in Händen gehalten haben, repräsentiert 35 Prozent des Gesamtwerts aller derzeit emittierten Eurobanknoten. Würde die EZB weiterhin jedes Jahr die Anzahl der Fünfhunderter, die niemand oder fast niemand benutzt, um 32 Prozent erhöhen, muss man kein genialer Analyst sein, um zu vermuten, dass da irgendwo riesige Kisten mit schmutzigem Geld schlummern.

Sie erinnern sich bestimmt: Zur gesegneten Zeit des leichten Geldes monopolisierte Spanien, zehn Prozent der Eurozonen-Bevölkerung, 40 Prozent aller von der EZB emittierten Fünfhunderter. Stephen Fidler erinnert daran, dass sich schon 1998 Gary Gensler, seines Zeichens ein hoher Beamter des Finanzministeriums, um die Konkurrenz für den Hundert-Dollar-Schein (Hundert Dollar, die größte US-Banknote mit einem Wert von schlappen 76 Euro), sowie um den Gebrauch, den Kriminelle vom 200- und 500-Euro-Schein machen würden, sorgte. (js)

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