„Ich kann Asterix nicht mehr ertragen”

Die groβe Steuerflucht

Die französische Kinolegende Gérard Depardieu will sich in Belgien niederlassen, um Steuern zu sparen. Seine Entscheidung hat eine leidenschaftliche Debatte über den Spitzensteuersatz von 75 Prozent, Wirtschaftspatriotismus und das Steuerwesen in Europa ausgelöst.

Veröffentlicht am 17 Dezember 2012 um 15:47
„Ich kann Asterix nicht mehr ertragen”

Vor rund zwei Jahrhunderten haben sich die französischen Aristokraten ins Exil begeben, um den Sansculotte zu entkommen… und der Guillotine. Andere Zeiten, andere Sitten: die (sehr) Reichen entscheiden sich heute für das Exil, um der Besteuerung zu entfliehen, die sie für vernichtend oder zumindest „einer Konfiszierung gleichkommend” halten.

Gérard Depardieu gehört zu ihnen. Und wie so oft bei dieser Kinolegende hat die Affäre ebenso riesige wie absurde Züge angenommen. Seine vor einigen Tagen angekündigte Entscheidung, nach Belgien auszuwandern, ist unmissverständlich: er will von dem wohlwollenden belgischen Steuersystem profitieren. Er ahnte wohl nicht, dass damit ein nationales Psychodrama, gemessen an seiner Popularität, ausgelöst wird. „Ziemlich erbärmlich”, kommentierte Premierminister Jean- Marc Ayrault Depardieus Steuerflucht. „Wer sind Sie denn, um so über mich zu urteilen?”, erwiderte Depardieu theatralischund drohte damit, seinen Pass und die französische Staatsbürgerschaft abzugeben. Damit hat er eine neue Welle der Empörung ausgelöst. Der Arbeitsminister spricht von „einem persönlichen Verfall” und die Kulturministerin fordert den Schauspieler etwas zynisch auf, zum „Stummfilm zurückzukehren”.

Vermögen auf Kosten des nationalen Interesses

Ein sozialistischer Abgeordneter hat sogar vorgeschlagen, Steuerflüchtlingen ihre Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Viele bezeichnen diese „Affäre” als Burleske. Aus politischer Sicht handelt es sich um die Antwort der Reichsten auf die Strenge des französischen Steuersystems. Die Verwaltung ihres Vermögens ist ihnen inzwischen wichtiger als das nationale Interesse. Die Gründe dieses Psychodramas sollten allerdings zu denken geben.

Sie gehen auf den letzten Wahlkampf um die Präsidentschaft zurück. Um zu zeigen, wie weit links er steht, überraschte François Hollande mit dem Vorschlag, Einkommen über 1 Million Euro mit 75 Prozent zu besteuern. Für den konservativen Flügel kommt dieser Steuersatz „einer Konfiszierung gleich” – was angezweifelt werden kann, denn in den 70er Jahren existierten vergleichbare Steuersätze. Hollande zufolge ist die Besteuerung aus Solidaritätsgründen durchaus gerechtfertigt, um die leeren Staatskassen zu füllen. Augenscheinlich hat das Argument die Betroffenen nicht überzeugt, und das aus gutem Grund.

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Bei 75 Prozent hört die Solidarität auf

Zum einen kann der Spitzensteuersatz von 75 Prozent als Strafe verstanden werden. Um der Menschenrechtserklärung gerecht zu werden, nach der die Bürger „ihrem Vermögen entsprechend” Steuern zahlen müssen, hätte Hollande zwei, drei oder gar vier zusätzliche Steuerklassen einführen müssen, die gegebenenfalls den Grenzsteuersatz von 75 Prozent erreichen können. Zudem bleibt das Steuersystem eines Landes in Zeiten der Globalisierung und des freien Personenverkehrs in Europa recht unwirksam.

François Hollande muss wahrscheinlich nun den politischen Preis für seinen Wahlkampf des letzten Frühling bezahlen und die Polemik dauerhaft ertragen, im gleiche Maβe wie Nicolas Sarkozy mit seinem Spitzensteuersatz. Steueranhebungen sind notwendig und die Reichsten müssen mehr abgeben, als die anderen. Aber die symbolische Brutalität der 75 Prozent untergräbt diese Einsicht.

Aus Brüssels Sicht

Ironie und Diskretion in Belgien

Während Gérard Depardieus Steuerflucht nach Belgien in Frankreich als Beleidigung aufgefasst wird, betrachtet man die Angelegenheit auf belgischer Seite mit Ironie und Vergnügen. So meldet La Libre Belgique am 17. Dezember unter dem Titel „flexibler Schauspieler sucht mildes Steuerklima”, dass sich der französische Schauspieler nach der belgischen Staatsbürgerschaft erkundigt hatte.

Der Korrespondent der Le Temps in Brüssel dagegen macht auf „das Schweigen in Belgien” aufmerksam. Während der französische Präsident François Hollande „seine Absicht bekräftigte, die Steuerabkommen zwischen Frankreich und Belgien neu zu verhandeln”, hat der belgische Ministerpräsident Elio Di Rupo das Thema tunlichst vermieden. Und das aus gutem Grund, stellt Richard Werly fest:

Von belgischer Seite gibt es keinerlei offizielle Stellungnahme zu der „Affäre” und der Polemik, die Gérard Depardieu am gestrigen Sonntag mit seinem Wutbrief neu entfacht hat. Das Stillschweigen erklärt sich anhand von zwei Tatsachen: die momentane politisch schwache Position von Elio Di Rupo und die in Belgien umstrittene Problematik der Kapitalflucht im Allgemeinen und der Besteuerung im Besonderen.

Über die schwierige politische Lage in Belgien hinaus zeugt das Schweigen von Elio Di Rupo, der sich auch nicht zum belgischen Exil des französischen Milliardärs Bernard Arnault äußerte, von den Grenzen des europäischen Aktionsplans gegen Steuerflucht, der am 6. Dezember von der Europäischen Kommission vorgelegt wurde.”

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