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129 Entlassungen (auch) bei uns

El País: Am Größenwahn gescheitert

Sie war die Erfolgsstory des demokratischen Übergangs und das Aushängeschild der spanischen Presse. Doch heute verbucht die linksliberale Tageszeitung riesige Verluste. Die Krise wurde von der Unternehmensleitung verschlimmert, aber die will nicht die Verantwortung übernehmen.

Veröffentlicht am 24 Dezember 2012 um 09:00
129 Entlassungen (auch) bei uns

Als im vergangenen Oktober Juan Luis Cebrian, der allmächtige Chef von El País den Angestellten die Umrisse des bevorstehenden Sozialplans mitteilte, rechtfertigte er sich mit einem durchschlagenden Argument: Die wichtigste Tageszeitung Spaniens könne nicht mehr „auf so großem Fuß leben“. Zu viele Journalisten, zu gute Bezahlung. Die Argumentation erinnert an den (konservativen) Regierungschef Mariano Rajoy, der bei jedem neuen Sparplan mit ernster Miene den Spaniern erklärt, dass das Land „nicht mehr über seine Verhältnisse leben kann.“

Ist El País in gewisser Hinsicht die Verkörperung der spanischen Misere? Die Krise des Vorzeigeblatts der spanischen Presse, Filiale des Medienkonzern Prisa, zeigt in der Tat Parallelen zum wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes. Rekordverschuldung aufgrund von Investitionen mit pharaonischen Ausmaßen, kontrolliert von Finanziers, die sich wenig um die Eigenheiten der Presse scheren, Bosse mit Millionengehältern, schnelle Entlassungen, die sich vermutlich als kontraproduktiv weisen... „Es ist eine Metapher dessen, was derzeit in Spanien geschieht“, kommentiert Miguel Mora, der Paris-Korrespondent der Zeitung.

129 Journalisten der insgesamt 466 Beschäftigten wurden jüngst auf die Straße gesetzt. Fast ein Drittel des Personals. Darunter einige der großen Namen der Zeitung. Vier lokale Ausgaben (darunter Valencia und Andalusien) werden eingestellt. Die Journalisten, die ihren Job behalten haben, müssen Gehaltseinbußen in Höhe von 15 Prozent hinnehmen.

Ein Drittel der Journalisten gefeuert

Die Bekanntgabe des Sozialplans hat im Unternehmen einen Erdrutsch ausgelöst. Drei Tage lang hat im November fast die gesamte Belegschaft die Arbeit niedergelegt. Das Blatt konnte nur Depeschen von Presseagenturen veröffentlichen. Das Ringen zwischen Cebrian einerseits und den Vertretern des frisch gegründeten Journalisten-Komitees ist aber noch nicht beendet.

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In Spanien hat die Krise den Journalismus nicht verschont. Seit November 2008 haben rund 8000 Journalisten ihren Job verloren, sagt die Presse-Gewerkschaft FAPE. Im selben Zeitraum mussten 67 Publikationen, Zeitungen oder Magazine die Arbeit einstellen. Der Zustand der Tagespresse ist desolat: die linksliberale Zeitung Publico, 2008 als Alternative zu El País gestartet, musste Anfang 2012 die Schotten dicht machen. El País wiederum musste seit 2007 einen Zusammenbruch der Werbeeinnahmen in Höhe von 60 Prozent verkraften.

Dennoch hinkt etwas an dieser Analyse. Schaut man sich die Dinge näher an, sieht man, dass El País in der spanischen Presselandschaft eine Ausnahmestelle innehat. Seit ihrer Gründung im Jahr 1976 hat das Blatt stets schwarze Zahlen geschrieben. 2011 waren noch 12 Millionen Euro Gewinn zu verzeichnen – mehr als 800 Millionen in den vergangenen zehn Jahren. Selbst im ersten Halbjahr 2012, eine der schlimmsten Zeiten der jüngeren Geschichte Spaniens, war das Blatt nicht in die roten Zahlen abgerutscht — eine kleines Wunder im Vergleich zu dem, was die Konkurrenz erlitt.

Die Unternehmensleitung gibt an, dass El País im August 2012 die ersten Verluste geschrieben hat. Doch rechtfertigt dies Alarmsignal allein, dass man sich gleich von einem Drittel der Belegschaft trennt?

Wie das Management eine Institution ruinierte

„Der Untergang von El País ist keine Naturkatastrophe, sondern ein Paradebeispiel dafür, wie schlechtes Management die solideste journalistische Institution, die Spanien je gekannt hatte, ruinieren kann. Internet oder der angebliche Paradigmenwechsel spielen in diesem Drama nur eine Nebenrolle“, schreibt Pere Rusiñol, ein ehemaliger Star-Reporter von El País, der das Blatt 2008 verlassen hat.

Der Ärger beginnt für Prisa im Jahr 2007. Während die Krise sich langsam abzeichnet, wird die Gruppe von einem Anfall von Größenwahn heimgesucht. Man will Sogecable, ein Pay-TV-Netzwerk kaufen. Die Schulden des Konzerns wachsen rasant, und das kurz vor Platzen der spanischen Immobilienblase. Ab 2008, während Spanien im Sumpf versinkt, hat Prisa als einzige Unternehmensstrategie nur noch eine ebenso rudimentäre wie fixe Idee: die kolossalen 4,6 Milliarden Euro Schulden abbauen.

Ein Schlüsselmoment der aktuellen Krise war im November 2010. Codename: „Operation Liberty“. In jenem Herbst öffnet der Konzern sein Kapital neuen Aktionären, um einen Teil der Schulden abzubauen. Da eilt durch den Haupteingang ein amerikanischer Investment-Fonds herbei, Liberty Acquisition Holdings, der von verschiedenen Investoren gehalten wird, darunter ein Duo, das an der Wall Street gut bekannt ist: Martin Franklin und vor allem Nicoals Berggruen. Sie bringen 650 Millionen Euro frisches Kapital.

Bis dato hielt der historische Eigentümer, die Familie Polanco, 70 Prozent des Kapitals von Prisa. Sie verliert mehr als die Hälfte nach einem sehr vorteilhaften Angebot von Liberty. Der Wert des Konzerns sinkt auf ein Rekordtief. „An diesem Tag hat sich Prisa für immer verändert. Man war nicht mehr in der Hand der Polanco-Familie und wurde nun von Finanzhaien verschlungen“, schreibt der Journalist Pere Rusiñol, der jüngst in der [Satire-] Zeitschrift Mongolia eine explosive Reportage über die Prisa-Gruppe veröffentlicht hat.

Das extravagante Gehalt des Geschäftsführers

Was ist in den drei Jahren nach der Operation Liberty geschehen? Die Bilanzen haben sich, unter anderem wegen der Krise, verschlechtert. Die Aktien der Gruppe haben bis 89 Prozent an Wert verloren. Der Einfluss der Polanco-Familie verschwächte sich weiter. Und der Schuldenberg blieb gewaltig: rund 3,5 Milliarden Euro. Im Januar 2011 kündigte Prisa an, dass man 18 Prozent aller Stellen in Spanien, Portugal und Lateinamerika streichen wolle.

Doch für Nicolas Berggruen und Martin Franklin hingegen hat sich die Operation ausgezahlt. In ihrem Vertag wurde ihnen für die ersten drei Jahre eine Rendite um rund 7,5 Prozent ihres Anteils zugesichert, unabhängig von der Bilanz des Unternehmens...

Der andere große Gewinner der Rekapitalisierung ist Juan Luis Cebrain selbst. Der 68-jährige emblematische „Geschäftsführer“ der Prisa-Gruppe hat sich selbst, während die Krise auf ihren Höhepunkt zusteuerte, ein saftiges Gehalt gesichert. Als 2011 das Unternehmen 450 Millionen Euro Verluste schrieb, kassierte der Chef einen Scheck mit einer Summe zwischen 11 und 13 Millionen Euro.

Das extravagante Gehalt von Cebrian ist eines der Symbole dafür geworden, dass innerhalb der respektabelsten Tageszeitung Spaniens „mit zweierlei Maß“ gemessen werde. Die Gewerkschaften der Journalisten haben dann auch gleich das Absurde der Lage auf den Punkt gebracht: Die Summe, die der Chef 2011 einsackte, entspricht genau den Einsparungen der Jahresgehälter der 129 entlassenen Journalisten... Ein vernichtender Vergleich.

Reden die Banken jetzt mit?

Doch damit ist die Saga um El País noch nicht beendet. Um die ernorme Schuldenlast zu senken, startet die Unternehmensleitung von Prisa ein weiteres Manöver. Sie schlägt den Gläubigern anstatt einer Rückzahlung — es ist kein Geld mehr da — eine Umwandlung der Schulden in Aktienkapital vor. Ganz konkret kletterte damit der Anteil der spanischen Großbanken Santander und Caixabank (aber auch von HSBC) im Kapital der Gruppe.

Mit einem Mal ist aus dem Verwaltungsrat der progressiven spanischen Tageszeitung eine Versammlung von Ex-Bankern oder aktuellen Vertretern von Großbanken geworden.

Manche Journalisten kritisieren, dass ihrer Meinung nach die Anzahl der Artikel zugenommen habe, welche den Standpunkt von zwei emblematischen Bankern Spaniens vertreten, die nun im Prisa-Aufsichtsrat sitzen: Emilio Botin (Chef von Santander und ein rotes Tuch für die Bewegung der „Empörten“) und Isidro Fainé (der erzkonservative Chef der Caixabank). Botin konnte am 14. November sogar auf einer ganzen Seite zum x-ten Mal seine Sicht über das Management der Eurokrise zum Besten geben...

Eine spanische Geschichte, nichts weiter? Nicht ganz. Im trüben Wasser von Prisa tummeln sich auch mehrere Franzosen, die sich darin offensichtlich ganz wohlfühlen. So Emmanuel Roman, der starke Mann des britischen Hedge-Fonds Man Group. Oder der dem Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy nahestehende Allround-Unternehmensberater Alain Minc.

Wie andere Berater von Prisa hat auch Alain Minc am 22. Oktober dieses Jahres — nur ein paar Tage nach der Ankündigung der Stellenstreichungen bei El País — ein hübsches Bonus-Paket für erwiesene Dienste bekommen: 19.392 Prisa-Aktien. Pech für ihn: Leider liegt der Aktienkurs immer noch im Keller — derzeit bei rund 0,4 Cent — was den Bonus auf knapp 7700 Euro beziffert. Ein Klacks.

Erschienen in der Presseserie:

2. Und ewig lockt die Macht
3. Die Zeitung stirbt nicht im Silicon Valley
4. Der Tod des Literaturkritikers
5 In der Brüsseler Seifenblase

Spanien

Verwüstete Presselandschaft

Seit 2008 mussten fast 200 audiovisuelle und Printmedien in Spanien schließen, berichtet El País. Die krisengeschüttelte Tageszeitung aus Madrid reagiert auf einen am 13. Dezember veröffentlichten Bericht des madrilenischen Presseverbands (APM).

Die Zahlen zeigen, wie katastrophal die Situation ist: 6.400 Stellen wurden gestrichen. 132 Magazine, 22 Bezahl-Zeitungen, 10 Gratis-Blätter und zahlreiche Lokalmedien mussten ihre Aktivitäten einstellen.
Die üblicherweise landesweit erscheinende Tageszeitung Público ist seit Februar 2012 nur noch im Internet zu lesen.

Die Gründe dafür sind untrennbar mit dem Zusammenbruch des Anzeigen- bzw. Werbemarktes verbunden: Zwischen 2007 und 2011 verzeichnete dieser Umsatzeinbußen in Höhe von 39 Prozent.

Ferner sind immer mehr Journalisten ohne Beschäftigung: Die Zahl der Entlassungen ist um 22,8 Prozent angestiegen. Und trotzdem finden Studenten den Beruf auch weiterhin attraktiv: Allein in diesem Jahr ist die Zahl der Studenten, die sich in den Universitäten für Journalismus-Kurse eingeschrieben haben, um 2,5 Prozent gestiegen.

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