Ivo Josipović während einer Wahlveranstaltung in Zagreb, 2009.

Der Präsident, der weiß, wo die Musik spielt

Im Jahr 2013 wird der kroatische Staatschef viel zu tun haben: Am 1. Juli 2013 tritt sein Land der Europäischen Union bei. Der untypische Präsident wird also warten müssen, bevor er sich wieder ans Klavier setzen und seine Oper über John Lennon fertigstellen kann.

Veröffentlicht am 20 Dezember 2012 um 15:42
Ivo Josipović während einer Wahlveranstaltung in Zagreb, 2009.

Ein weißes, glänzendes Klavier im Vorzimmer. CDs, die während eines überaus offiziellen Gesprächs mit dem Hausherrn von Hand zu Hand gehen. Die Szene könnte sich in jeder beliebigen Nationaloper abspielen, wären da nicht die Sprengstoffdetektoren, die an der Einfahrt zum Präsidentenpalast in Zagreb unter den Autos durchgezogen werden. Der Mann, der hier lebt, ist Musiker. Er ist auch der Präsident der Republik Kroatien.

Es ist keine Beleidigung für das Land, wenn man feststellt, wie bescheiden sein Platz auf der Weltkarte ist. Ein Balkankonfetti mit viereinhalb Millionen Einwohnern, zerklüftet zwischen Mittelmeer und Zentraleuropa. Kroatien saß bei der Spaltung des ehemaligen Jugoslawiens auf einem der vordersten Logenplätze und wird nun im Jahr 2013 anlässlich seines Eintritts in die EU am 1. Juli ganz oben auf der Bühne stehen. Deswegen wird es aber trotzdem keine Aufstände vor den Zeitungskiosken geben.

Macht Musik

Dabei könnte Kroatien mit einem einschlägigen Slogan aufwarten: Das Land, in dem die Musik an der Macht ist. Im ganzen Land sprießen in den Gemeinden Musikschulen aus dem Boden. Folkloregruppen und Chöre erklingen von den slawonischen Ebenen bis zur dalmatischen Küste. Und das nationale Rundfunk- und Fernsehgebäude in Zagreb ist der Sitz von vier ständigen Formationen: ein Symphonieorchester, ein Chor, ein großes Jazzorchester und ein traditionelles Orchester.

Vor allem ist Kroatien das einzige Land der Welt, in dem der Staatspräsident zugleich auch Komponist ist. Nicht ein Amateursaxophonist im Stil von Bill Clinton oder ein Sonntagsakkordeonist wie Valéry Giscard d’Estaing. Nein, ein echter! Einer, den man zu den großen Königen wie David oder Friedrich den Großen zählen kann, oder wie der große Ignacy Paderewski, der Pianist, Komponist und nach dem ersten Weltkrieg polnischer Staatspräsident war. „Der einzige Präsident, der in der Lage ist, einen falsch verdoppelten Basston in einer Dreiklangsumkehrung zu erkennen“, schmunzelt man in der Musikhochschule in Zagreb, wo Ivo Josipovic vor drei Jahren noch Vorlesungen über Harmonielehre hielt.

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Wie ist er hier gelandet? Im blauen Anzug mit weißem Hemd sitzt der Präsident in seinem Sessel und lächelt. „Ich habe immer mehrere Dinge gleichzeitig gemacht.“ Als Kind waren das die Schule und die Musikschule, die klassische doppelte Ausbildung der damaligen Nomenklatura. Als es ans Studieren ging, träumte der junge Ivo von Physik. Aber es kam für ihn nicht in Frage, die Musik aufzugeben. „Mein Vater war Jurist. In der Bibliothek fiel mir ein Buch über das römische Recht in die Hände und ich war begeistert. Das traf sich gut: Das Jurastudium hatte nicht so viele Unterrichtsstunden...“

Kein Revolutionär, aber ein guter Komponist

Der junge Mann war intelligent, schnell, ernst. „Kein Revolutionär“, betont sein Freund Berislav Sipus, Komponist und Kultur-Vizeminister. „Seine Kompositionen schöpften zwar aus verschiedenen Welten, waren aber relativ klassisch. Aber immer gelungen und genau. Ich fragte mich vor allem, wie er das alles auf einmal machte.“

Im Laufe der 1980er Jahre schrieb er nicht nur rund 20 Werke, sondern promovierte in Jura, begann zu unterrichten und wurde Vorsitzender des Komponistenverbands. Ein wesentlicher Posten, als 1991 im ehemaligen Jugoslawien der Krieg ausbrach. In Zagreb wie in Belgrad begrüßte jeder seine Rolle als Vermittler. „Das Geld für die kroatischen Urheberrechte zurückzubekommen, das in Belgrad festsaß, und eine legale Lösung zu finden, mit der alle einverstanden waren, das war eine echte Leistung“, erzählt Berislav Sipus weiter.

Gleich anschließend setzte er sich in Den Haag als kroatischer Vertreter beim Internationalen Strafgerichtshof ein und verfolgte gleichzeitig seine doppelte Laufbahn an der Universität. In den 2000er Jahren übernahm er dazu noch die Leitung der renommierten Biennale für zeitgenössische Musik in Zagreb und fing bei der Sozialdemokratischen Parteioffiziellmit der Politik an.

2003 wurde er zum Abgeordneten gewählt und 2009 als Kandidat der Partei für die Präsidentschaftswahl aufgestellt. Sein Mangel an Ausstrahlung wurde bespöttelt. „Die Leute hatten die korrupten Schmierenkomödianten satt“, wettert Niksa Gligo, ein anderer Komponist und langjähriger Freund. „Er wirkte beruhigend.“ Unterstützt wurde er von der Zivilgesellschaft und von unzähligen Künstlern, und seine Kampagne gegen die Korruption und für die regionale Aussöhnung traf genau ins Schwarze. Im Januar 2010 wurde er mit 60 Prozent der Stimmen gewählt. Fast drei Jahre später ist er immer noch der beliebteste Politiker des Landes.

Der Mann für die Harmonie im Land

Was ist bei dem Mann, der da oben in seinem Präsidentenpalast sitzt, noch vom Komponisten übriggeblieben? Vielleicht die Überzeugung, „dass die Kultur uns bei der Bewältigung der Krise helfen kann“ und dass sie „im Kern des europäischen Projekts stehen muss“. Das Bemühen also, das Budget für die Künste auch in Zeiten der Rezessionso weit wie möglich zu erhalten. Und dieser unbeugsame Wille, die „Harmonie“ des Landes zu bewahren.

Eine Harmonie, die dem Musiker manchmal fehlt. Sein Klavier rührt er nur sonntags an, „wenn überhaupt...“. Er hat seit vier Jahren nichts geschrieben. Also träumt er von später, von der Oper, die 2010 von der Biennale in Auftrag gegeben wurde, die er offiziell annahm und auf die er dann vier Monate später verzichtete. Bei ihrem Thema bekommt er heute noch Gänsehaut: John Lennon „und vor allem sein Mörder Mark David Chapman“. Sein Blick gleitet wieder von der Zimmerdecke herab. Er lächelt: „Das ist mein einziges Versprechen als Präsident, das ich nicht halten werde. Das überlasse ich dem Komponisten.“

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