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Windfarm in Cadafaz im Norden Portugals.

Portugal greift nach grüner Macht

Der Pionier Portugal hat seine Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen drastisch zurückgedreht. Dieses Jahr wird die Hälfte seines Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen.

Veröffentlicht am 20 August 2010 um 14:35
A. Oliveira/EDP  | Windfarm in Cadafaz im Norden Portugals.

Vor fünf Jahren haben sich die Politiker dieser sonnenversengten, windgepeitschten Nation etwas Großes vorgenommen: Um Portugals Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen zu mindern, ließen sie sich auf eine Reihe ehrgeiziger Projekte mit erneuerbaren Energien ein. Fast 45 Prozent der Elektrizität von Portugals Stromnetz wird dieses Jahr aus erneuerbaren Quellen stammen. Vor fünf Jahren waren es nur 17 Prozent. Auf dem Land gewonnene Windenergie, die dieses Jahr von der Internationalen Energieagentur in Paris als "potenziell wettbewerbsfähig" mit fossilen Energieträgern eingeschätzt wird, wurde in dieser Zeit versiebenfacht. Zudem plant Portugal, 2011 das erste Land zu werden, das ein nationales Netzwerk von Ladestationen für elektrische Autos einweiht.

Obwohl Portugals Beispiel zeigt, dass schneller Fortschritt möglich ist, macht es doch auch den Preis eines Wechsels sehr deutlich. Portugiesische Haushalte haben lange Zeit das Doppelte von dem für Elektrizität gezahlt, was Amerikaner zahlen. Zusätzlich stiegen die Preise in den letzten fünf Jahren um 15 Prozent. Vorwärtsdrängende nationale Politikstrategien um die Nutzung erneuerbarer Energien zu beschleunigen folgen in Portugal und einigen anderen Ländern dicht aufeinander. Dies geht aus einem vor kurzem veröffentlichten Bericht der tonangebenden Energieberatungsfirma IHS Emerging Energy Research of Cambridge, Mass. hervor. Bis 2025 werden den Voraussagen des Berichts zufolge auch Irland, Dänemark und Großbritannien mindestens 40 Prozent ihrer Elektrizität aus erneuerbaren Quellen beziehen.

Billiger grüner Strom

Um Portugals Energiewechsel voranzutreiben, strukturierte Sócrates Regierung ehemalige staatliche Energieunternehmen um und privatisierte sie, so dass ein Netz entstand, das besser für erneuerbare Energien geeignet ist. Um Privatunternehmen in Portugals neuen Markt zu locken, vergab die Regierung Verträge, die stabile Preise für 15 Jahre festsetzten — ein Fördermittel, das sich je nach Technologie unterschied und ursprünglich einmal hoch war, sich aber mit jeder neuen Vertragsrunde verringerte.

In den europäischen Ländern gibt es hohe Fördergelder zur Unterstützung erneuerbarer Energien. Viele von ihnen haben wie Portugal nur wenig eigene fossile Energievorkommen. Zudem hat das Handelssystem mit Emissionsrechten eine abschreckende Wirkung, weil die Industrie für die Emissionen zahlen muss. Regierungsbeamte sagen, dass der Übergang zu neuen Energienutzungsformen weder höhere Steuern noch ein Ansteigen der Staatsschulden erfordere, vor allem, weil die neuen Energiequellen, die kein Benzin brauchen und keine giftigen Emissionen ausstoßen, Elektrizität ersetzen, die vorher durch den Kauf und das Verbrennen von importiertem Erdgas, Kohle und Öl produziert wurde.

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Die Notwendigkeit treibt den Wechsel voran

Portugals Motor war vor allem die Notwendigkeit. Mit einem ansteigenden Lebensstandard und keinen eigenen fossilen Brennstoffvorkommen verdoppelten sich die Kosten für Energieimporte in den letzten zehn Jahren. Sie waren verantwortlich für 50 Prozent des staatlichen Handelsdefizits und starken Schwankungen ausgesetzt.

Portugal ist jetzt auf direktem Weg zu seinem Ziel, im eigenen Lande produzierte, erneuerbare Energie zu nutzen. Hierzu zählt auch Wasserkraft in großem Ausmaß, die für 60 Prozent seiner Elektrizität und 31 Prozent seines Gesamtenergiebedarfs im Jahre 2020 genutzt werden soll. Portugals Produktionskosten für Elektrizität und Verbraucherkosten halten sich im europäischen Durchschnitt, sind aber immer noch höher als in China oder den USA.

Shinji Fujino von der Internationalen Energieagentur ist der Auffassung, dass Portugals Rechnungen eventuell etwas zu optimistisch seien. Dennoch erkennt er, dass der Energiewechsel des Landes eine wertvolle, neue Industrie geschaffen hat: Letztes Jahr exportierte es zum ersten Mal überschüssige Energie und schickte eine kleine Menge Elektrizität nach Spanien. Zehntausende Portugiesen arbeiten in dem Bereich. Energias de Portugal, der größte Energiekonzern des Landes, besitzt durch seine amerikanische Filiale Horizon Wind Energy zusätzliche Windfarmen in Iowa und Texas.

Ein anpassungsfähiges Netzwerk

Um ein Land mit Elektrizität aus den höchst unvorhersehbaren Kräften der Natur zu führen, benötigt man neue Technologien und die flexiblen Fähigkeiten eines Tellerpropellers. Eine Windfarm mit einer Produktion von 200 Megawatt in einer Stunde kann in der nächsten Stunde nur noch 5 Megawatt produzieren; die Sonne scheint vielerorts nur zeitweilig. Wasserkraft ist im verregneten Winter reichlich vorhanden, kann im Sommer aber begrenzt sein.

Dänemark ist ein weiteres Land, das sich größtenteils auf die Windkraft verlässt. Es muss aber häufig, wenn der Wind nachlässt, Elektrizität von seinem energiereichen Nachbarn Norwegen importieren. Im Vergleich hierzu ist Portugals Stromnetz relativ isoliert, obwohl R.E.N. seine Verbindung zu Spanien in hohem Maße verstärkt hat, um einen Energieaustausch zu ermöglichen.

Auch das Verteilungssystem Portugals ist jetzt in beiden Richtungen produktiv. Anstelle nur Elektrizität zu liefern, zieht es Elektrizität noch aus den kleinsten Generatoren, wie zum Beispiel Solarzellenplatten auf Dächern. Die Regierung unterstützt aktiv derartige Beiträge, indem sie einen Spitzenpreis für diejenigen vorgibt, die auf Dächern gewonnenen Solarstrom kaufen. Um eine stabile Stromversorgung zu garantieren, wenn die Naturkräfte nachlassen, muss das System einen Grundstock an fossilen Brennstoffen erhalten, auf den nach Bedarf zurückgegriffen werden kann.

Aber die Umwelt spürt die Nachteile

Energieexperten erachten Portugals Versuch als einen Erfolg. Doch es gibt auch Verlierer. Viele Umweltschützer sehen die Pläne der Regierung zur Verdoppelung der Windenergie als kritisch, denn Lichter und der Lärm der Turbinen stört das Verhalten von Vögeln. Naturschützer fürchten, dass neue Dämme Portugals Korkeichen-Bestände zerstören werden. Kleine Unternehmen beschweren sich darüber, dass die Regierung großen multinationalen Unternehmen erlaubt hat, sie zu verdrängen. Bevor es die größte Windfarm südlich von Lissabon beherbergte, war Barão de São João ein verschlafenes Dorf an der stürmischen Küste von Alentejo, in dem Bauern wohnten, die seine Berg- und Tal-Hügel bestellten, und Ferienwohnungsbesitzer, die vom billigen Land und der idyllischen Lage angezogen wurden. Die erneuerbaren Energien brachten Konflikte mit sich.

In der Tat sind Portugals Ingeneure und Unternehmen jetzt globale Spieler. Portugals EDP Renováveis, das 2008 ganz hoch an der Börse gehandelt wurde, ist weltweit das drittgrößte Unternehmen im Ertrag von windgenerierter Elektrizität. "Grob gesagt hatte Europa viel Erfolg auf diesem Gebiet", sagt John Juech, Analyst bei Garten Rothkopf. "Doch es ist das Ergebnis von extremer Unterstützung und Eingriffen von Seiten der Regierung. Dies wirft die Frage auf, was passiert, wenn es eine Wirtschaftskrise oder einen Politikwechsel gibt; werden diese erneuerbaren Technologien dann noch haltbar sein?" (sd)

Spanien / Deutschland

Solarenergie: Opfer des eigenen Erfolgs

Bis zur Krise von 2008 "unterstützten die Regierungen die Unternehmen, die in erneuerbare Energien investierten, mit Subventionen", heißt es in Il Post. Heute, so erklärt die italienische Online-Tageszeitung, "haben die Krise und die hohen Energiepreise dazu geführt, dass die Länder diese Subventionen reduzieren und somit diejenigen, die in die Branche investiert haben, in Schwierigkeiten bringen. Dadurch gefährden sie die Planung der Europäischen Union, laut welcher die erzeugte Energie bis 2020 zu 20 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen muss, damit die Zielsetzung einer Reduzierung der Treibhausgase um 20 Prozent im Vergleich zu 1990 eingehalten wird." In Spanien, so stellt das Wall Street Journal fest, kündigte die Regierung am 1. August einen Plan zur 45-prozentigen Reduzierung der Subventionen für neue Photovoltaik-Anlagen an, in Deutschland habe die Regierung im Juli beschlossen, die Subventionen um 16 Prozent zu kürzen, um die Explosion der subventionierten Solaranlagen – und ihre Kosten für den Staat – verkraften zu können.

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