Nein, das ist keine moderne Kunst!

Raffinierte Diebe plündern Europas Kunstmuseen

In Frankreich sorgt man sich schon seit Jahren um nicht ausreichend geschützte Museen und Kunstbesitzer, die kostspieligen Diebstählen scheinbar machtlos ausgeliefert sind. Jedoch haben zwei Ereignisse nun dafür gesorgt, dass das Problem auch in der Öffentlichkeit diskutiert wird.

Veröffentlicht am 27 August 2010 um 15:44
Nein, das ist keine moderne Kunst!

Bei einem spektakulären Einbruch im Pariser Museum für moderne Kunst im Mai wurden Kunstwerke in Höhe von 100 Millionen Euro geraubt. Und kommenden Monat werden drei Männer vor Gericht stehen, die am kühnen Raubüberfall in der Pariser Wohnung einer von Picassos Enkelinnen beteiligt waren. Beide Fälle zeigen, wie ohnmächtig die Besitzer großer Kunstwerke sind, wenn sie es mit offensichtlich akribisch genau arbeitenden Dieben zu tun haben.

Die Identität der Diebe ist in beiden Fällen noch immer ungeklärt. Vor Gericht stehen drei Personen, denen man den Weiterverkauf der Picassos‘ vorwirft – nicht deren Diebstahl. Die Kunstwelt spekuliert und steht vor dem Rätsel der damit verbundenen Fragen: Wer steckt hinter den 20 oder mehr Museums-Kunstdieben, die jedes Jahr in Frankreich stattfinden? Wie ist es möglich, dass die Diebe auch nur zu hoffen wagen, dass sie die leicht identifizierbaren Werke berühmter Künstler einfach so weiterverkaufen können? Und – die wichtigste Frage – sind die Kunstinstitutionen, mit denen sich die Länder brüsten, in der Lage, den Machenschaften derjenigen ein Ende zu bereiten, die allem Anschein nach lose Banden professioneller Krimineller sind?

Auf dem globalen Schwarzmarkt für gestohlene Kunstwerke sind Frankreichs zahlreiche Museen ein beliebtes Jagdgebiet. Und auch wenn die Anzahl der Einbrüche in französische Museen von einer Höchstzahl von 47 im Jahr 1998 zurückgegangen ist, so treiben seit fünfzehn Jahren dennoch jedes Jahr durchschnittlich 35 Museumsdiebe ihr Unwesen.

Ausgelöst haben sie eine Fülle widersprüchlicher Theorien, die alle von der Existenz einer sich verändernden Unterwelt diversifizierter Krimineller ausgehen, die in ebenso veränderlichen Strukturen operieren, ihre Informationen über potentielle Käufer, sowie verfügbare Kunstwerke austauschen, und sorgfältig ihre musealen Zielscheiben studieren, bevor sie zuschlagen.

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"Einige Museumsdirektoren haben mir erzählt, dass sie täglich darüber nachdenken", erklärt der mit der Kultur der Stadt Paris beauftragte stellvertretende Bürgermeister Christophe Girard. "Sie alle wissen wie raffiniert das organisierte Verbrechen arbeitet, und wie sehr der Wert von Kunstwerken heutzutage jenseits jedes Vorstellungsvermögens liegt."

Von Boston bis nach Ägypten wurden berühmte Museen unsanft aus ihrem erträumten Sicherheits-Schlaf gerissen. Länder wie Frankreich und Italien, die so zahlreiche kulturelle Schätze besitzenden, sind laut Interpol jedoch anfälliger für Kunstdiebstähle. Die in Lyon sitzende internationale Polizei hat in ihrer – im vergangenen Jahr erstellten – Datenbank mehr als 35.500 gestohlene Kunstwerke registriert. Der die Interpol-Einheit für gestohlene Kunstwerke leitende Karl Heinz Kind kann über die romantischen Vorstellungen, welche die „Thomas Crown-Affäre“ genährt haben, nur lachen. In dem Film über die Affäre geht es um einen gestohlenen Monet und reiche Kunstsammler, die selbst als Diebe agieren. Für Karl Heinz Kind ist das „pure Fiktion“.

Indessen – wie es die Vorfälle im Pariser Museum für Moderne Kunst, aber auch in der Wohnung der Picasso-Erbin zeigen – scheinen die Diebe sich vor allem durch einen besonders gut entwickelten Sinn für Organisation auszuzeichnen. Das zumindest meint der ehemalige F.B.I.-Agent Robert Wittman, der sich in eine Bande von Kriminellen in Südfankreich eingeschleust hat, indem er vorgab, ein reicher Kunstexperte aus Philadelphia zu sein. So half er der Polizei bei der Wiederbeschaffung des Monet und anderer 2007 in Nizza gestohlener Gemälde. Für ihn unterhalten einige Kunstdiebe Verbindungen zur Brise de Mer, einer korsischen Gruppe Krimineller, die seither durch eine Welle von Attentaten stark geschwächt wurde. Im Allgemeinen jedoch glaubt er, dass es sich um diversifizierte Diebe handelt, die nur eines wollen: Objekte, die sie verkaufen können.

"Es handelt sich um lose organisierte Verbände", erklärt Wittman, der ein Buch mit dem Titel "Unbezahlbar" ("Priceless") geschrieben hat. Darin beschreibt er einige von ihnen und erzählt von seinen Undercover-Aufträgen. "Überall im Land verfügen sie über einzelne Zellen. Und sie wissen, was die anderen Zellen machen. Wenn die Gruppe in Marseille einen Käufer aufgetrieben hat, dann weiß das auch die andere Zelle. Niemand spezialisiert sich. Sie sind Diebe – Punkt."

“Wie ein DNA-Strang”

War es so eine Gruppe, die in das Pariser Museum für Moderne Kunst eingebrochen ist?

Der pensionierten Scotland Yard-Detektiv Charles Hill, der nun als Privatdetektiv tätig ist, arbeitete verdeckt, um Munchs "Der Schrei" wiederzufinden, nachdem man diesen 1994 aus dem Nationalmuseum in Oslo gestohlen hatte. Auch fand er einen Vermeer wieder, den irische Gangster aus einem englischen Landhaus entwendet hatten.

"Diese Gruppen sind wie eine DNA-Kette. Sie sind alle miteinander verbunden und befinden sich auf dem gleichen Strang", erklärt Hill. "Sie unterhalten enge Verbindungen zu Kriminellen in Belgien und Holland. Ganz besonders was die Hehlerei der gestohlener Werke angeht." Die französische Polizei und der Untersuchungsrichter sind außergewöhnlich wortkarg was die laufenden Ermittlungen in Paris anbelangt. Jedoch streiten sie sich darüber, ob Brise de Mer involviert war.

Stehlen ist das Einfachere

Experten sagen, dass es recht einfach ist, Kunst zu stehlen. Wirklich schwer ist es, sie zu verkaufen. Dazu braucht man Organisationstalent und muss den Markt gut kennen. Allgemein ist es so, dass Diebe zu Fall gebracht werden, wenn sie verkaufen wollen, erklärt Wittman und weist darauf hin, dass Kriminelle oft die besseren Diebe als Geschäftsmänner sind.

Was kürzlich in Deutschland geschah, zeigt wie gefährlich das Marketing ist: Vier Männer – von denen zwei Anwälte waren – wurden im Sommer festgenommen, als sie versuchten, den Preis für die Rückgabe von acht aus einer Privatsammlung einer Düsseldorfer Bank (Bankhaus Lampe) gestohlenen Gemälden im Wert von 900.000 Euro auszuhandeln. Und das obwohl während des Diebstahles 2008 keinerlei Spuren hinterlassen wurden: Kein aufgebrochenes Eingangsschloss, keine Videoaufnahmen. Und die Türen waren – wie gewöhnlich – alle geschlossen.

Wie der für die Pariser Stadt arbeitende Girard erklärt, ist bisher keine Lösegeld-Forderung im Museum für Moderne Kunst eingegangen. Das Museum hat seinen Alltagsbetrieb also wieder aufgenommen. Nun ist die weitläufige Galerie – in der Modiglianis "Frau mit Fächer" gestohlen wurde – frisch gestrichen. Auch hat man die Bilderrahmen neu angeordnet.

Obwohl Paris seitdem seine Sicherheitsvorkehrrungen überarbeitet hat, bleibt ein Faktor in Frankreich unverändert: Überführte Diebe – egal wie wertvoll die Werke waren, die sie gestohlen haben – können nicht zu mehr als fünf Jahren Gefängnisstrafe verurteilt werden – ein Standard-Strafmaß in ganz Europa. Wenn es beim Gerichtsverfahren im September zu Verurteilungen kommen sollte, so werden die Verdächtigen vermutlich nicht viel mehr als zwei Jahre bekommen, meint Baratelli, der Anwalt der Picasso-Familie.

Malerei

Wiedersehen nach zwölf Jahren

"Egon und Wally erneut vereint", freutsich Le Monde. Am Montag, den 23. August ist das Portrait von Wally Neuzil – Modell und Geliebte von Egon Schiele – ins Leopold-Museum in Wien zurückgekehrt. So nimmt"einer der berühmtesten Anträge auf die Rückgabe von Kunstwerken, die von den Nazis geraubt wurden", ein Ende. Das 1938 von dem Salzburger Friedrich Welz gestohlene Gemälde befand sich anschließend im Besitz des Kunstsammlers Rudolf Léopold, bevor es das MoMA 1998 für eine Ausstellung beschlagnahmen lassen hat. Bevor es den Atlantik überqueren konnte, starb der Achtzigjährige, und es wurden 15 Millionen Euro an die Erben des einstigen Besitzers gezahlt.

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