„Ich mag europäische Kultur“

Ein Seufzer für Košice

Košice teilt sich 2013 mit Marseille den Titel der Kulturhauptstadt Europas. Die Abkürzung dafür lautet auf Slowakisch „Ehmk“ – was eher wie ein Seufzer als nach einem hochkarätigen Kulturereignis klingt, wie ein slowakischer Musikkritiker findet.

Veröffentlicht am 18 Januar 2013 um 16:37
„Ich mag europäische Kultur“

Seit dem 1. Januar trägt Košice den Titel der Kulturhauptstadt Europas 2013. Auf Slowakisch heißt das Európske hlavné mesto kultúry, wird aber meist mit der Abkürzung EHMK bezeichnet. Oft werden diese Initialen dann wie ein zusammenhängendes Wort ausgesprochen, Ehmk, das klingt als komme es aus der Computersprache. Oder wie ein Seufzer. Ehmk, Košice.

Košice ist eine besondere Stadt. Zunächst einmal ist es die einzige slowakische Stadt nach Bratislava, die tatsächlich eine Stadt ist. Eine Stadt, die nach sechs Uhr abends nicht wie ein verlassenes Freilichtmuseum wirkt und in der gleichzeitig ein Jazzkonzert, eine Opernpremiere und ein Techno-Dance-Abend stattfinden können. Eine Stadt, die nicht nur ein eigenes Gesicht, sondern auch eigene Klänge und Gerüche besitzt.

Das ist aber nicht alles. Košice ist genau genommen keine slowakische Stadt. Nicht dass man hier mit der slowakischen Sprache nicht zurechtkäme. Es ist eine kosmopolitische, ungarische Stadt, eine Stadt, in der man leicht Cafés findet, die starken ungarischen Kaffee aus alten kotyogó Mokka-Kannen servieren, und hochklassige Restaurants, die deutlich über dem slowakischen Durchschnitt liegen.

Ein genius loci bleibt in der Stadt

Es ist eine Stadt, in der die Menschen immer noch über den Hauptplatz schlendern und in der die Slowaken, Ungarn und Tschechen relativ harmonisch miteinander leben (aufgrund der Stahlwerke und der Militärfliegerschule leben hier die meisten von ihnen in der Slowakei). Und die Roma, die trotz allerlei sozialtechnischer Bemühungen immer noch im Stadtzentrum leben und nicht nur im bekanntesten slowakischen Roma-Ghetto, der Siedlung Lunik IX. Nur Juden gibt es in Košice leider keine mehr. Sie hinterließen vier Synagogen, zwei Bethäuser, zwei Friedhöfe und einen genius loci, einen „Geist des Ortes“, den empfindsame Menschen immer noch verspüren.

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Im Zusammenhang mit dem Titel der Kulturhauptstadt Europas 2013 wird davon gesprochen, die Lokalkultur auszubauen, den kreativen Sektor zu unterstützen und europäische Gelder auf die Entwicklung der kulturellen Infrastrukturen anzuwenden. Doch dieses Projekt wurde von einer Peinlichkeit nach der anderen befallen.

Es geht nicht nur um die Tatsache, dass die talentierte (und ambitionierte) Kulturmanagerin Zora Jaurová, eine der Urheberinnen des Projekts, davon abgezogen wurde, oder sogar um die Tatsache, dass fast jeden Tag verschiedene suspekte Vorgänge und Druck hinter den Kulissen aufgedeckt werden. Es gibt auch noch ein anderes, in voller Sicht lauerndes Problem.

Sprengstoffattrappen und Amateursängerinnen

In einer Woche, am 19. und 20. Januar, fängt die EHMK offiziell an. Zum „Countdown“ gehört eine Installation der hiesigen Kunstgruppe Kassaboys. Ihre Mitglieder haben in der Stadtmitte Sprengstoffattrappen aufgestellt, die mit Zeitungsartikeln über die Korruption bei den Stadträten gefüllt sind. Dazu läuft eine Countdown-Vorrichtung wie in einem James-Bond-Film. Zwischen den Jahren jedoch hat jemand die Installation „modifiziert“ und die Namen in den Zeitungsartikeln unleserlich gemacht.

Dann veröffentlichte die Stadt das Programm für die Eröffnungszeremonie. Das Hauptereignis ist dabei die Band Jamiroquai (welche Beziehung diese britische Band der 90er Jahre zu Košice haben soll, hat noch niemand herausfinden können). Und weil die Band gerade dann nicht auf Tournee ist, wird das Konzert teurer. Aber was soll’s: Die EHMK hat keine Geldsorgen und somit sponserten die Veranstalter den Auftritt mit 250.000 Euro.

Das Tüpfelchen auf dem i war dann die Nachricht, dass Anna Gaja, eine für ihre lasziven Videos bekannte slowakische Amateursängerin, als Gast bei der Eröffnungszeremonie auftreten würde. Gaja ist, nebenbei bemerkt, die Frau des Bürgermeisters von Košice-Nord.

Das EHMK-Projekt ist ganz offensichtlich Anlass zu vielen hochwertigen, erstklassigen kulturellen Ereignissen und vielleicht werden sich auch manche dieser Investitionen in die künstlerische Infrastruktur als nützlich erweisen. Košice wird das alles überleben, aber es ist trotzdem seltsam. EHMK, Košice. (pl-m)

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