Einigung ist Pflicht

Fest an den Gedanken an die eigene Souveränität gekrallt, führen EU-Beitrittskandidat Kroatien und Mitglied Slowenien ihre Streits um Banken und Grenzen ins Endlose. Welch kultureller Unterschied zu den älteren EU-Staaten, die Konflikte notfalls auf Kosten ihrer Hoheit beilegen.

Veröffentlicht am 6 Februar 2013 um 16:54

Vor zwanzig Jahren wurden Slowenien und Kroatien zu unabhängigen Staaten ausgerufen. Die Idee dahinter war, dass der einzige Ausweg aus einem endlosen Konflikt in der Schaffung zweier souveräner und unabhängiger Staaten beruhen würde.

Die Europäische Union wurde in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts auf einer diametral entgegengesetzten Grundlage geschaffen. Angesichts der — gelinde gesagt — schrecklichen Erfahrungen der Geschichte und dank der Entschlossenheit, nie wieder in die Schrecken des Krieges verfallen zu wollen, wurde die Union mit der Idee gegründet, dass die Aufgabe von Souveränität und die Integration — nicht der Desintegration — die beste Barriere wären, um neue Konflikte zu verhindern.

Den europäischen Staaten sollte die Fähigkeit, die Gründe und die Macht genommen werden, Konflikte anzuzetteln. Es wurden Mechanismen zur friedlichen und einvernehmlichen Lösung von Problemen geschaffen.

Souveränität versus Kooperation

Der Unterschied zwischen der Entstehung des kroatisch-slowenischen Konflikts und der Genese der europäischen Vereinigung, mit anderen Worten, zwischen zwei unterschiedlichen politischen Philosophien, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Hier die Idee einer absoluten Souveränitat, dort der Imperativ, alle Differenzen rational zu bereinigen, falls erforderlich auf Kosten der eigenen Souveränität.

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In diesem Unterschied liegt der Ursprung des kroatisch-slowenischen Streits, sowie der Unfähigkeit (oder der mangelnde Wille?) Zagrebs und Ljubljanas, diesen beizulegen. Slowenien und Kroatien zanken mit großer Hartnäckigkeit um dies und das (den Grenzverlauf oder den Bankenstreit(334491)), was eine EU-Erweiterung verhindert und die Union behindert, den Konflikt zu lösen. Paradoxerweise beharren Kroatien und Slowenien auf ihrer Souveränität im Rahmen einer politischen Gemeinschaft, die eben gerade auf der Konfliktlösung auf Kosten einer begrenzten Aufgabe von Souveränität ihrer Mitglieder beruht.

Man könnte darüber lächeln, dass die politische Elite Kroatiens und Sloweniens die Europäische Union als die Verkörperung der rassistischen Illusion einer kulturellen Überlegenheit Europas sehen. Sie sehen Europa wie das Neujahrskonzert in Wien, in Übereinstimmung mit der kleinbürgerlichen Vorliebe für Kitsch.

EU, das ist Beethovens Neunte mit John Lennon

Beide Länder haben die politische Bühne mit völlig entgegengesetzten Werten betreten. Für sie ist die Souveränität des eigenen Staats heilig. Sie ist es ihnen sogar wert, dass man Menschenrechte und selbst Menschenleben opfert. Und nun fühlen sich beide ein wenig verwirrt. Denn Europa, das ist nicht der Radetzkymarsch, sondern eher Beethovens Neunte mit ein wenig „Imagine“ von John Lennon.

Die Beilegung des Streits zwischen Slowenien und Kroatien wäre für alle Beteiligten von Vorteil. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Brüssel Ljubljana und Zagreb zu einem Kompromiss zwingen wird, der den Weg für die Ratifizierung des EU-Beitritts Kroatiens(3360781) freimachen wird.

Die Union wird damit beweisen, dass sie immer noch fähig ist, ihre grundlegende Funktion zu erfüllen: die Mitglieder zu zwingen, Konflikte konstruktiv und rational beizulegen. Und sich kooperativ zu zeigen. Sollte es der Union misslingen, die streitbare Souveränität ihrer Mitglieder zu zügeln, dann würde sie ihr Ideal verraten und wäre es auch nicht wert, dass wer auch immer ihr noch beiträte. (js)

Aus Slowenien

Die Regierung blockiert, nicht aber die Slowenen

76 Prozent der Slowenen sind dafür, dass ihr Land den EU-Beitrittsvertrag Kroatiens ratifiziert, nur 14 Prozent sind dagegen. Das ergab eine kürzlich durchgeführte Umfrage, die in der slowenischen Tageszeitung Delo veröffentlicht wurde. Doch die Regierung blockiert hartnäckig das Dossier.

Dabei drängt die Zeit: Wie die Tageszeitung aus Ljubljana berichtet, müssen alle 27 Mitgliedsstaaten den Vertrag bis zum 1. April ratifiziert haben. Nur dann kann der EU-Beitritt wie geplant am 1. Juli wirksam werden. In Slowenien sieht es angesichts der Krise in Politik und Regierung und des Bankenstreits aber nicht gerade danach aus, als käme eine schnelle Ratifizierung in Frage. Dabei waren die Slowenen 2010 sehr wohl imstande, einen Kompromiss im Grenzstreit mit Kroatien zu akzeptieren, erinnert Dnevnik.

„Würden die Bürger Sloweniens über die Ratifizierung des Beitrittsvertrags entscheiden können, würde dieser zehr zügig ratifiziert werden“, schlussfolgert Delo.

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