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Reformen in Europa lassen sich nicht kaufen

Das von Deutschland angeregte Prinzip, den Regierungen Geld nur gegen Wirtschaftsreformen zu geben, wird die Staaten gegenüber Partikularinteressen schwächen. Statt dessen sollte die EU die nationale Reformpolitik direkt finanzieren.

Veröffentlicht am 8 Februar 2013 um 16:37

Europäische Staats- und Regierungschef haben mit der Debatte über die von Deutschland angeregten „Wettbewerbs- und Wachstumsverträge“ begonnen. Ganz offen gesagt besteht die Idee darin, unwillige Regierungen mit Geld dazu zu bewegen, ihre Wirtschaftspolitik zu ändern. Dieser Schuss könnte nach hinten losgehen – außerdem gibt es eine bessere Methode.

Anstatt die Regierungen vergebens zu ermahnen, schlägt die Europäische Kommission vor, die EU könne die Reformen eines Landes, noch bevor es den IWF benötigt, mit befristeten, bedingten Zahlungen unterstützen. Sie solle sich dazu mit der Regierung auf einen politischen Themenkatalog einigen und die Zuschüsse im Austausch gegen seine Umsetzung bewilligen.

Es gibt Argumente für eine solche Vorgehensweise. Reformen – sogar diejenigen, die für die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit am vorteilhaftesten sind – werden oft abgelehnt, weil sie das untergraben, was die Wirtschaftswissenschaftler als „Renten“ bezeichnen.

Widerstände überwinden

Wer von „Renten“ profitiert, zum Beispiel weil der Markt für die eigenen Produkte geschlossen bleibt, hat allen Grund, gegen Neuerungen anzukämpfen. Diejenigen, die Nutzen aus den Reformen ziehen können, sind zwar zahlreicher, aber unorganisiert, also kämpfen sie nicht dafür. Zur Überwindung des Widerstands kann es zweckmäßig sein, die Renten aufzukaufen. Doch reformbedürftige Länder leiden auch unter schwachen öffentlichen Finanzen. Daher der Gedanke, sich auf anderer Länder Geld zu verlassen.

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Von deren Standpunkt aus könnte es vorzuziehen sein, jetzt ein bisschen zu zahlen als später viel. Der Mangel an Reformen hält Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit auf und führt voraussichtlich zu finanziellen Problemen.

Doch es gibt Einwände. Der Aufkauf von Renten kann sehr teuer werden. Politisch ist dieser Vorschlag entsetzlich. Mit internationalen Organen über die inländische Politik zu verhandeln, ist eine demütigende Erfahrung, die keine Regierung gerne macht, wenn sie nicht von den Märkten dazu gezwungen wird. Gegner der Reform würden die Regierung schnell als Duckmäuser vor Brüssel darstellen.

EU sollte eigene Strategie ausarbeiten

Es gibt eine bessere Lösung. Anstatt den Regierungen ihre Handlungsweise vorzuschreiben, sollte die EU entscheiden, was sie tun will, und sich die Mittel dazu geben – falls nötig durch neue Beiträge der Mitgliedsstaaten. Doch sie sollte auch klarstellen, dass sie bestimmte Ziele nicht finanzieren kann, solange die Politik der jeweiligen nationalen Regierung der Ausgabe entgegenwirkt. Sie sollte also die Finanzierung gegebener Ziele in gegebenen Ländern davon abhängig machen, dass die nationale Politik die Erreichung dieser Ziele nicht behindert.

Hier ein Beispiel. Angenommen, die EU will die Beschäftigung der älteren Arbeitnehmer fördern. Sie könnte dazu Subventionen für nationale Arbeitsagenturen einführen, um sie bei speziellen Schulungen und Stellenvermittlungsprogrammen für Arbeitslose ab 50 Jahren zu unterstützen. Doch es wäre absurd, diese Einstellungen zu fördern, wenn die nationale Gesetzgebung ihnen entgegenarbeitet, etwa durch vorzeitige Pensionierungsprogramme oder allzu großzügige Erwerbsunfähigkeitsbeihilfen. Dieselbe Methode könnte auch auf andere EU-Programme angewendet werden, zum Beispiel zur Förderung der Mobilität der Arbeitsnehmer.

Politische Bekömmlichkeit

Der Unterschied zu den Wettbewerbsverträgen wäre dreifach: Zunächst einmal würde die EU den Regierungen nicht vorschreiben, was gut für sie ist. Sie würde ihre eigenen Ziele festlegen und verfolgen. Zweitens würde ein Programm nicht einzelne Länder herausgreifen. Statt dessen wäre der Fokus auf manche von ihnen impliziert – ein Projekt, das Abhilfe gegen Langzeitarbeitslosigkeit schaffen soll, wäre zwangsläufig auf Länder ausgerichtet, in welchen die Langzeitarbeitslosigkeit hoch ist.

Drittens wären die damit verbundenen Bedingungen nicht Teil einer langen Liste, sondern würden vielmehr große Hürden abbauen, die der Erreichung spezifischer EU-Zielen im Weg stehen.

Eine solche Vorgehensweise hätte fest definierte Ziele und ihre Wirksamkeit könnte somit bemessen werden. Sie wäre auch in politischer Hinsicht bekömmlicher als bevormundende Verträge.

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