Nachrichten Bulgarien-Großbritannien
Nigel Farage bei einer Rede in Bordeaux, Frankreich, 22. Januar 2012.

„Liebe Ralitsa, ich hasse Ihr Land nicht“

In der Debatte über den „Zustrom“ von osteuropäischen Arbeitern schrieb eine Bulgarin einen vielbeachteten Brief an den euroskeptischen Briten Nigel Farage. Hier ist die Antwort des Abgeordneten.

Veröffentlicht am 11 Februar 2013 um 12:42
Nigel Farage bei einer Rede in Bordeaux, Frankreich, 22. Januar 2012.

Sehr geehrte Ralitsa,

Vielen Dank für Ihren wohl überlegten Brief und Ihre Einladung. Ich wäre gerne gekommen, kann mich jedoch nicht frei machen und habe statt dessen unseren stellvertretenden Parteivorsitzenden und EU-Abgeordneten Paul Nuttall entsandt.
Ich freue mich, dass meine Bemerkungen dazu beigetragen haben, in Bulgarien, einem stolzen Land mit vielen gebildeten Menschen und viel Grund zu feiern, eine Debatte aufkommen zu lassen.

Sie haben völlig Recht, Ihre bulgarische Heimat zu lieben, ebenso wie ich meine eigene liebe: das Vereinigte Königreich. Ich liebe mein Land, aber das heißt nicht, dass ich Ihres hasse. Ich kenne viele fantastische Bulgaren und ich habe nicht das geringste Verlangen, die großartigen Menschen Bulgariens abzulehnen oder herabzusetzen.

Ich war vielmehr hocherfreut, den bulgarischen EU-Abgeordneten Slavi Binev in unserer politischen Fraktion im Europäischen Parlament zu begrüßen.

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Zurück in dir Heimat

Sie werden mir sicher darin zustimmen, dass viele Bulgaren beschlossen haben – oder von schweren Umständen dazu gezwungen wurden –, das Land, das sie lieben, zu verlassen und nie wieder dorthin zurückzukehren. Sie selbst sind also eher die Ausnahme, wenn Sie sich dafür entscheiden können, in Ihre Heimat zurückzukehren und wieder mit Ihren Freunden und Verwandten zusammen zu sein.

Nach dem EU-Beitritt mehrerer europäischer Länder im Jahr 2004 kamen über eine Million Menschen nach Großbritannien, um hier zu leben (und viele auch, um hier zu arbeiten). Wie Sie sich vorstellen können und zweifellos auch erfahren haben, hat der große Menschenzustrom in der kurzen Zeit einen schweren Druck auf unser steuerfinanziertes Gesundheitssystem und unser Sozialfürsorgesystem sowie eine enorme Nachfrage nach mehr Wohnraum ausgelöst.

Seien Sie bitte versichert, dass sich die UK Independence Party gegen jegliche Form von Rassismus und Sektierertum einsetzt. Doch die Frage der Massenimmigration hat nichts mit Rasse oder Religion zu tun, es ist einfach eine Frage der Ökonomie. Großbritannien kann es sich nicht leisten, alle aufzunehmen, die kommen möchten.
Ich bin sicher, die Bulgaren lieben ihr Land. Was würden Ihre Mitbürger davon halten, wenn nach einem – sagen wir einmal – türkischen EU-Beitritt in naher Zukunft eine Million türkische Migranten in Bulgarien leben wollten? Glücklich wären sie wohl nicht.

Arme Länder, reiche Länder

Wenn ich die Dinge vereinfache und irrtümlich sage, die monatliche Rente in Bulgarien betrage 100 oder 138 Euro, dann macht das im Großen und Ganzen sehr wenig aus. Im Vergleich zu vielen westlichen Staaten Europas ist Bulgarien deutlich ärmer.

Wenn es offene Grenzen und große Diskrepanzen bei Wohlstand und Chancen zweier Länder gibt, dann findet gewöhnlich eine Emigration in größerem Rahmen statt. Das ist eine simple Tatsache und ist die Erfahrung, die Großbritannien nach 2004 gemacht hat.
In Ihrem Brief sprechen Sie äußerst wichtige Themen nur sehr kurz an. Sie schreiben: „Ich [...] sehe sehr wohl die Probleme, die bei uns in Politik, Justiz, Bildung und Gesundheit weiter bestehen.“

Ich ziehe den Hut vor dem bulgarischen Volk, das es die Fesseln des repressiven kommunistischen Systems abgeschüttelt und 1991 eine neue Verfassung angenommen hat. Ich sage dies als guter Freund des bulgarischen Volkes, der dem Land Wohlstand und Freiheit wünscht.

Nicht ich habe die bulgarischen Politiker häufig wegen ihrer Korruption kritisiert, sondern die Europäische Kommission. Franz-Herman Brüner, der Generaldirektor des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), warnte in einem Bericht davor, dass „einflussreiche Kräfte innerhalb der bulgarischen Regierung bzw. staatlichen Behörden nicht daran interessiert sind, dass irgendjemand in den Verbrecherbanden bestraft wird“. (New York Times 15.10.2008) Der Bericht der EU-Kommission über die Fortschritte Bulgariens (18.7.2012) betonte den Mangel an überzeugenden Resultaten infolge Sofias Bemühungen, die Korruption auf hoher Ebene und das organisierte Verbrechen zu stoppen.

Bulgarien braucht Redefreiheit

Weil ich möchte, dass Bulgarien zu Wohlstand und Freiheit gelangt, will ich offen zu Ihnen sprechen, als guter Freund. Viele Bulgaren sind deshalb arm, weil korrupte Politiker sich auf Kosten des Volkes bereichern.

Der EU-Abgeordnete Slavi Binev sagte mir, um voranzukommen brauche Bulgarien Redefreiheit, Pressefreiheit, die Freiheit, ohne Manipulation Geschäfte zu gründen und zu betreiben, eine unabhängige Justiz sowie Politiker, die aufhören, mit falschen Versprechungen Stimmen zu kaufen. Ich stimme ihm vollkommen zu.

Was massive Emigration für Bulgarien bedeutet, ist eine enorme Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte, wenn die intelligentesten und gebildetsten jungen Leute nach Westeuropa gehen. Dadurch wird Ihr Land nur ärmer. Sehen Sie sich an, was in anderen Staaten passiert ist, wie etwa in Lettland, wo in vielen Städten die lebhafte, talentierte Jugend abgewandert ist. Massive Auswanderung ist schlecht für Sie und sie ist auch schlecht für uns hier in Großbritannien.

Es ist durchaus normal und rational, dass sich viele Bulgaren ein besseres Leben wünschen, doch eine massive Emigration von Bulgarien nach Großbritannien ist nicht die Antwort. Die Beendung der Korruption in Ihrem geliebten Land ist es.
Mit solidarischen, freiheitlichen Grüßen,

Nigel Farage, EU-Abgeordneter

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