Beppe Grillo als Teufel unter anderen italienischen Politikern beim Karneval von Viareggio in der Toskana

Beppe Grillo, der Anti-Euro-Komet

Die Parlamentswahlen stehen vor der Tür und dennoch ignorieren die italienischen Medien den Erfolg der 5-Sterne-Bewegung des populistischen Kabarettisten. Den Meinungsumfragen zufolge könnten Beppe Grillo und Silvio Berlusconi eine europafeindliche Koalition eingehen.

Veröffentlicht am 18 Februar 2013 um 16:43
Beppe Grillo als Teufel unter anderen italienischen Politikern beim Karneval von Viareggio in der Toskana

Vor einigen Tagen gab Mario Monti in einer beliebten Talkshow zu, Twitter nicht nutzen zu können, nicht zu wissen, was Geheimes Verlangen ist, und noch nie vom Song-Festival in San Remo gehört zu haben.

Derweil wandte sich Beppe Grillo, der ehemalige TV-Kabarettist und Gründer der 5-Sterne-Bewegung in der Industriezone von Venedig an Menschenmassen, die mit den Problemen und Ängsten des Alltags konfrontiert sind – Arbeit, Kinderbetreuung, Mutterschaft, die Schwierigkeiten der Kleinbetriebe – und die trotz der klirrenden Kälte einen ganzen Nachmittag und einen Abend auf einem öffentlichen Platz standen, um Beppe Grillo reden zu hören.

Darüber wurde in den Tageszeitungen nicht berichtet. Diese Tatsache ist besorgniserregend. Es passiert etwas in Italien. Die Frage ist nicht, ob es richtig oder falsch ist. Aber das Phänomen ist bedeutsam. Die 5-Sterne-Bewegung könnte den letzten Meinungsumfragen zufolge 17 Prozent der Stimmen erhalten, d. h. einen Prozentsatz, den bislang nur sehr wenige Parteien in Italien übertroffen haben: die Christliche Demokratie, die Kommunistische Partei, die Demokratische Partei, Forza Italia und Silvio Berlusconis Volk der Freiheit. Für Beppe Grillo ist dieser Stimmenanteil nun in Reichweite gerückt.

„Po-pu-lis-ten“

„Wir werden das Parlament wie eine Thunfischdose öffnen“, schäumt Beppe Grillo. Die dicht gedrängten Zuhörer sind begeistert. „Die Zeit der Volksvertretung ist vorbei, wir glauben nicht mehr daran. Wir werden die Bank sprengen. Wenn nicht heute, dann in einem Jahr. Es ist nur mehr eine Frage der Zeit. Wir können es auch jetzt machen“. Er lässt sich nicht mehr bremsen. „Populisten? Ja, wir sind Populisten und lassen es alle wissen“, und die Menge stimmt lautstark ein „Po-pu-lis-ten“.

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Beppe Grillos Tsunami-Tour beruht auf einer Politik, die wir altmodisch nennen, die jedoch der Strategie entspricht, die auch ein gewisser Barack Obama – der Twitter nutzt und der sicher auch Geheimes Verlangen kennt, ja vielleicht sogar gelesen hat – bei seinem Wahlkampf eingesetzt hat. Wer nicht auf die Straße geht und Ansprachen hält, existiert nicht, ist nicht glaubhaft. In den Vereinigten Staaten wäre das undenkbar.

Der ehemalige Kabarettist erwähnt in seinen Reden oft ausländische Fernsehcrews, die über ihn berichten. Journalisten aus der ganzen Welt. Aus Dänemark und sogar aus Kanada. Denn Journalismus lebt auch von Geschichten und Beschreibungen, nicht nur von Analysen und Auslegungen.

Medien behandeln Grillo wie Mini-Diktator

Wenn ein Ausländer heute La Repubblica oder Corriere della Sera lesen würde, wüsste er nicht, was in diesem Wahlkampf passiert. Er könnte sich kein Bild von der Einstellung und der Stimmung der Italiener machen, hätte keine Ahnung, dass es zwei Italien gibt, eines, das für die 5-Sterne-Bewegung stimmen wird, und ein anderes, dem allein schon beim Gedanke daran das Grauen packt.

Die Medien, die sich selbst als einflussreich einstufen, behandeln Grillo wie einen Mini-Diktator. Die 5-Sterne-Bewegung macht nur Schlagzeilen, wenn sich ein Parteimitglied dem Parteichef widersetzt. Als ob alle Italiener, die am Wochenende bei winterlichen Temperaturen die öffentlichen Plätze füllen, nur Bürger in einem zweitklassigen Horrorfilm wären.

Warum erntet ein Kabarettist so großen Erfolg? Diese Frage zu beantworten ist Aufgabe der Medien. Man darf sie nicht einfach ignorieren. Wenn es sonst keinen anderen Grund dafür gibt, dann wenigstens aus Respekt für die Grundsätze und die Leidenschaft, die uns dazu geführt haben, diesen Beruf zu ergreifen.

Ein Platz in der Regierung?

Es ist nicht wahr, wie die Zeitungen einem glauben machen wollen, dass man in Italien darüber debattiert, ob Pier Luigi Bersani als Chef der Demokratischen Partei Nichi Vendola [der linken SEL], aufgeben sollte, damit Mario Monti ihn unterstützt. Übrigens genügt es, einen Blick auf die Meinungsumfragen zu werden. Eine Umfrage vom 6. Februar verspricht der Koalition der Mitte-Links-Parteien 34,3 Prozent der Stimmen (Demokratische Partei 29,6 Prozent) und Mario Montis Koalition 11,5 Prozent.

Theoretisch laufen Monti und seine Partner sogar Gefahr, die 10-Prozent-Hürde nicht zu schaffen. Zusammen sind das rund 45 Prozent. Also genau so viel wie die 28,7 Prozent der Mitte-Rechts-Koalition (Volk der Freiheit 19 Prozent) mit Beppe Grillos 17,5 Prozent. Wenn wir uns nur an die Umfragen halten, erhält das hypothetische und unrealisierbare Team Grillo-Berlusconi dem Meinungsforschungsinstitut SWG zufolge mit 46,2 Prozent mehr Zuspruch im Land als das Duo Bersani-Monti (45,8 Prozent), dem einzigen, über das die Tageszeitungen berichten.

Sollte es also zu einer Allianz zwischen Grillo und Berlusconi kommen, dann wäre es für den Staatschef sehr schwierig, nicht einen der beiden zu beauftragen, die Regierung zu bilden.

Zweigeteiltes Italien

Zahlen, bei denen es einem eiskalt überläuft, und fantasievolle Szenarien. Aber Zahlen sind Zahlen. Und nicht nur Zahlen, sondern Köpfe, Herzen, Menschen, Familien. So sieht das Bild aus. Es gibt zwei Italien. Eines, das wir der Kürze zuliebe europafreundlich nennen wollen, das verantwortungsbewusst und glaubwürdig ist, das aber immer noch zaudert und mit nutzlosen Streitigkeiten und Diskussionen Zeit verschwendet. Und ein Italien, das sich nicht so leicht zusammenfassen lässt. Denn Grillo und Berlusconi sind nicht dasselbe, auch wenn sie einiges gemeinsam haben.

Grob ausgedrückt gibt es so viele Italiener, die für Bersani oder Monti stimmen, wie es Italiener gibt, die Grillo oder Berlusconi wählen. So sieht die Wirklichkeit aus. Wir nehmen sie zur Kenntnis. Es passiert etwas in Italien. Etwas Tiefgreifendes. Intensives. Warnt den Tweet-Star. Und vielleicht auch die Politiker, die noch etwas dagegen unternehmen können.

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