Beim Festival von Internazionale, Ferrara, Oktober 2011

Die übergangene Generation

Noch nie ging es einer U-30-Generation in Italien so schlecht. Dennoch bleibt sie im aktuellen Wahlkampf außen vor.

Veröffentlicht am 21 Februar 2013 um 11:50
Beim Festival von Internazionale, Ferrara, Oktober 2011

Niemand wird der kommenden Regierung vorwerfen können, nicht ihre Wahlversprechen gegenüber der jungen Generation gehalten zu haben. Aus dem einfachen Grund, dass ihr keine gemacht werden. Die Erstwähler sind die Vergessenen in diesem Wahlkampf. Für sie ähnelt die Politik einer Diskothek, bewacht von breitschultrigen Türstehern, die sie nicht durchlassen.

Die fünf antretenden Bündnisse scheinen direkt dem Gangnam-Style-Video entsprungen: Man hüpft, gestikuliert, wiegt die Hüften und schubst den anderen, um selbst ins Rampenlicht zu kommen. Die jungen Italiener sehen das auf ihren Bildschirmen und hinterlassen niederschmetternde Kommentare auf den sozialen Netzwerken. Die Versuchung der Enthaltung ist groß, doch das würde bedeuten, den Politikverächtern Vorschub leisten. Für die wäre das ein gefundenes Fressen.

Die traditionellen sozialen Netzwerke zerfallen ganz allmählich. Die Familien sind mit ihrer Geduld und mit ihrem Geld am Ende, wie an den Goldankaufläden, am Immobilienmarkt oder an den Verkaufszahlen von langlebigen Konsumgütern zu beobachten ist. Die Jugendarbeitslosigkeit erreicht 37 Prozent, die höchste Marke seit 1992. Und das ist nationaler Durchschnitt. Man stelle sich erst einmal vor, in welchem Zustand Süditalien ist. In den vergangenen zehn Jahren stieg der Anteil der Hochschulabsolventen, die ihr Glück im Ausland versuchen, von 11 auf 28 Prozent.

Wir können nicht eine ganze Generation opfern

Angesichts des Ausmaßes des Phänomens würde man eigentlich eine Reaktion aus der Politik erwarten — dass man Dinge hinterfragt, dass Entscheidungen getroffen, genaue Strategien erarbeitet und konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Kein Land kann es sich leisten, eine ganze Generation zu opfern. Doch man wartet umsonst: Unsere Kandidaten zanken sich lieber über Steuern und Renten. Sie scheinen sich nur für jene zu interessieren, die einen Job haben oder zumindest einmal gehabt haben. Man könnte meinen, dass jene, die vielleicht nie einen finden werden, nichts zählen. Nach und nach wird die U-30-Generation durchsichtig. Aus ihrem Frust könnte einmal Wut werden, mit dramatischen Folgen. Vorzeichen gibt es dafür genug.

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Die Mediengeilheit der Politikveteranen — zwischen dem 2. Dezember 2012 und dem 14. Januar 2013 allein 63 Stunden Fernseh-Präsenz für Silvio Berlusconi, 62 für Mario Monti und 28 für Pier Luigi Bersani (Linksbündnis) — wird auf Dauer zur Provokation. Die Auftritte [des Anti-Mafia-Richters und Kandidaten des linken Bündnisses „Zivile Revolution] Antonio Ingroia werden zur Schlammschlacht.

Beppe Grillo [5-Sterne-Bewegung] ist zwar kaum im Fernsehen zu sehen, aber keinen Deut besser. Ein Hauch von Déjà-vu und Déjà-entendu, alles schon einmal gesehen und gehört. Das politische Italien 2013 ähnelt der kleinen Stadt im Film The Groundhog Day („Und täglich grüßt das Murmeltier“), in dem Hauptdarsteller Bill Murray immer wieder denselben Tag durchleben muss.

Der Gipsverband auf einem Holzbein

Der Eifer der Monti-Regierung gegenüber den jungen Menschen beschränkt sich auf die Wiedereinführung des dualen Systems in der Berufsausbildung, sowie die schwer umsetzbare„digitale Agenda“ [ein Maßnahmenkatalog zur Förderung der öffentlichen E-Verwaltung]. Die 5-Sterne-Bewegung verspricht ein „garantiertes Mindestarbeitslosengeld“, ohne zu verraten, wie das finanziert werden soll.

Die Konservativen haben die jungen Leute gänzlich von ihren Listen verbannt, um der Prätorianergarde ihres Chefs Platz zu machen. Und im linken Lager hat zwar einige neue Köpfe aufgestellt, doch radikale Maßnahmen zugunsten der Jugend? Fehlanzeige. Das von [der ehemaligen Ministerin für Chancengleichheit] Anna Finocchiaro ins Gespräch gebrachte zinslose Darlehen für junge Menschen ist im Grunde so nützlich wie ein Gipsverband auf einem Holzbein. Was wir brauchen ist mehr Flexibilität bei Einstellung und Kündigung.

Wenn wir eine neue und starke Autorität am Ruder Italiens haben wollen, dürfen wir nicht über die Steuermänner von morgen spotten: Sie würden uns am Weg stehen lassen — zu Recht. Und vor allem: Wir müssen aufhören, so zu tun, als würden wir helfen wollen, solange wir nicht bereit sind, die geringsten Zugeständnisse zu machen. (js)

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