Brüssels leere Kassen

Die EU ist mit immer größeren Kompetenzen ausgestattet, doch fehlt es ihr an den Mitteln für ihre Ambitionen. Schuld daran sind die Mitgliedsstaaten, die die EU-Organe zu zögerlich finanzieren.

Veröffentlicht am 24 September 2010 um 12:16

Man hadert schon mit sich selbst, wenn man wieder einmal über die EU klagt, verlangt die Höflichkeit doch, dass man nicht über den spottet, der schon am Boden liegt. Auf internationalem Parkett hat die EU immer weniger Gewicht. Und bei seinen Bürgern ruft sie bestenfalls noch Gleichgültigkeit hervor. Und gerade zankten sich ihre Polit-Spitzen auch noch auf skurrile Weise über die Roma-Abschiebungen.

Und zu all den Gründen, die Europa zu Boden drücken, kommt noch ein weiteres Übel: Die EU ist pleite. Wir reden hier nicht von der Summe der Staatsschulden aller EU-Mitglieder, sondern vom EU-Etat selbst, dem Budget für Finanzplanung und Haushalt. Die Kassen in Brüssel sind leer!

Gandenlose Schlacht um das Budget

Die Schlacht um den EU-Haushalt wird die Sitzungen des EU-Parlaments in diesem Herbst dominieren. Es wird eine gnadenlose Schlacht werden. Zum ersten Mal wird die Debatte nach den Regeln des Lissabon-Vertrags geführt werden, der dem EU-Parlament das letzte Wort einräumt. Kleiner Hinweis für alle Nörgler: In einem Bereich macht die EU konstant Fortschritte, nämlich in ihrer Demokratisierung. Die 736 Parlamentsmitglieder werden mächtiger. Na, da haben wir doch endlich eine demokratische Versammlung, die diesen Namen verdient: Sie entscheidet über ihren Haushalt selbst.

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Doch damit genug der guten Nachrichten. Die EU-Kommission hat in diesem Sommer einen Haushaltsentwurf für das kommende Jahrin Höhe von 126,6 Milliarden Euro vorgelegt. Das entspricht 1,02 Prozent des BIPs der Unionsländer. Krise und Schuldenberge zwingen zum Sparen: Die Priorität der Mitgliedsstaaten ist es, ihre eigene Staatshaushalte zu sanieren, nicht das Budget der Union zu finanzieren. Dem Europäischen Rat war das immer noch zu viel, und er hat diese Vorlage nach unten korrigiert, bevor das Papier der EU-Finanzkommission vorgelegt wurde. „Das Budget steckt in der Sackgasse“, sagt der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der Franzose Alain Lamassoure.

"Gesetzgebungsriese, Zwergenhaushalt"

Die EU sei zu einem „Gesetzgebungs-Riesen“ geworden, erklärt er. Mit jedem neuen Vertrag — Maastricht (1993), Amsterdam (1999), Nizza (2003), Lissabon (2009) — hat der Europäische Rat der Union neue Kompetenzen eingeräumt. Im Klartext, die Staats- und Regierungschefs haben der EU immer mehr Aufgabenbereiche übertragen: Energie, Umwelt, Hochschulbildung, Schaffung eines EU-Außendienstes mit 6000 Beamten, etc.

Doch mit dreister Nonchalance gibt der Rat bis heute der EU nicht die Mittel, um diese neuen Aufgaben zu bewältigen. Im Gegenteil: Der Etat, der Mitte der 1980er Jahre sich noch auf 1,28 Prozent des EU-BIPs belief, ist heute auf 1,02 Prozent geschrumpft...

Daher der Eindruck der Entschlusslosigkeit der Union. Die Gipfeltreffen setzen grandiose Projekte in die Welt, die nie realisiert werden. Es sei an Lissabon erinnert, wo der Rat beschloss, aus Europa die „wettbewerbsfähigste Wirtschaft des Wissens“ zu machen. Zum lachen oder zum weinen? In Europa, wie viele Patente?

Finanzminister, die nicht zahlen wollen und nicht zahlen können

Die Union sei zwar ein „Gesetzgebungs-Riese“ aber „mit einem Zwergenhaushalt“, führt Alain Lamassoure aus. Seit Anfang an, seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, 1951) verfügt die Union über eigene Ressourcen: die an ihren Grenze erhobenen Steuern (die EGKS-Umlage). Im Laufe der Verhandlungen zum Abbau der weltweiten Handelsschranken ist diese Einkommensquelle abgeschafft worden. Um die Kassen wieder zu füllen, wurde 1984 beschlossen, Europa über Mitgliedsbeiträge zu finanzieren, die proportional zum BIP und zum Mehrwertsteuersatz jedes Mitgliedslandes berechnet werden.

Das Vorläufige wurde zum Dauerzustand: Aus der zusätzlichen Einkommensquelle wurde die hauptsächliche. Keine weiteren eigenen Einnahmen wurden beschlossen. Heute besteht der EU-Haushalt im Wesentlichen aus den Mitgliedsbeiträgen. Das ist die Linie, die auch im aktuellen Haushaltsplan der 27 beibehalten wird, sehr zum Ärger der Zentralbanken als auch der nationalen Politiker. Die Logik des „Fair Share“ triumphiert — Europa muss mir ebensoviel zurückgeben wie ich einzahle — die Antithese des Gemeinschaftsgeists.

Lamassoure bemerkt nüchtern, dass gestern „die Finanzminister nicht zahlen wollten“ und heute, nach der Krise, „nicht mehr zahlen können.“ Die Haushaltslage der EU muss aus der Sackgasse herauskommen. Man muss sich aus der Zwangsjacke der nationalen Beiträge befreien.

Das bedeutet vor allem eines: Die EU braucht eigene Einnahmequellen. Die konservative Fraktion im EU-Parlament (die Europäische Volkspartei, EVP) schlägt vor, eine EU-Steuer einzuführen (über eine Finanz-Transaktionssteuer oder Steuer für CO2-Emissionen). Alain Lamassoure ist da einfallsreicher. Er empfiehlt, dass ein Teil der Mehrwertsteuer auf EU-Importe (beispielsweise bei Automobilen) direkt an die EU abgeführt wird.

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