Und der Gewinner ist... Beppe Grillo

Indem er die zahlreichen von der klassischen Politik enttäuschten Italiener um sich scharte, brachte der ehemalige Komiker Beppe Grillo die Linkskoalition von Pier Luigi Bersani um einen als sicher gehandelten Wahlsieg. In Zukunft wird man mit dem neuen Akteur rechnen müssen – und er ist ebenso unumgänglich wie unvorhersehbar.

Veröffentlicht am 26 Februar 2013 um 13:58

Eines an dieser Wahl ist sicher: Beppe Grillo hat gewonnen. Und das ist eine Untertreibung. Der Urnengang hat eine massive Auflehnung gegen die Elite ausgelöst. Mindestens jeder vierte Wähler stimmte für die Liste des bärtigen Komikers – oft, ohne es vorher den Umfrageinstituten anzukündigen, die selbst als zur Elite zugehörig empfunden werden.

Das ganze kann nicht als „Bauchgefühl“ abgetan werden, selbst wenn der Bauch umso mehr rebelliert, je leerer er ist. Hier sind echte Empfindungen im Spiel, nicht nur Groll.

Es besteht die verzweifelte Hoffnung, dass die Abgeordneten der Fünf-Sterne-Bewegung [Grillos Partei] anders sind, dass sie nicht in die eigene Tasche arbeiten und vor allem dass sie zuhören: Die anderen taten das nämlich nicht mehr.

Es ist, als wäre aus tausend Wahllokalen der Schrei von tausend Einsamkeiten emporgeschallt, miteinander verbunden durch Computerkabel. Eine virtuelle Emotion, die mit der Zeit zu einer Protestbewegung wurde.

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Die Menschen, die sich hier zusammenfinden, fühlen sich unverstanden und beherrscht durch die düsteren Schatten zu vieler Interessen: die Kaste der Politiker, der Journalisten, der Bankiers, der durch Beziehungen Aufgestiegenen.

Franchise der Unzufriedenheit

Jedes Mitglied der Grillo-Gemeinschaft hat seine eigene Geschichte und seine eigene Erfolglosigkeit: dieser hat seine Arbeit verloren oder nie eine gefunden, jener das Vertrauen auf die Zukunft, auf den Staat und auf die Organe dazwischen, wie die Parteien und die Gewerkschaften.

Sie hassen nicht die Politik, sondern diejenigen, die den Job schon zu lange machen, ohne die Kompetenzen oder die moralische Autorität dafür zu besitzen.

Rund um diese betrübten Einsamkeiten bestand ein Mangel an Aufmerksamkeit und Grillo hat ihn gedeckt. Zuerst mit einem „Vaffanculo“ [„leck mich am Arsch“ bzw. „fuck you“] und dann mit einer Reihe von konkreten Vorschlägen und einer guten Dosis Utopie. Er hat Landschaften entworfen, die jeder dann nach eigenem Belieben ausgemalt hat.

Von der sozialen Zusammensetzung her ist seine Bewegung eine Franchise: In Turin sitzen dort die Alternativen, die den Kapitalismus abschaffen wollen, in Bergamo die kleinen Chefs von mittelständischen Unternehmen, die mit dem Fiskus im Clinch liegen, in Palermo die Verzweifelten und auf jede Art von staatlicher oder privater Unterdrückung Allergischen.

Da, wo Unbehagen herrschte, stellte Grillo ein Format zur Verfügung, und auch ein Gesicht, nämlich sein eigenes.

Die Profis der Politik wollten keine Alternative bieten – vielleicht konnten sie es auch nicht. Es hätte gereicht, eine sei es auch nur ehrbare Eigenreform durchzuführen, ein paar Kürzungen bei Kosten und Anzahl der Abgeordneten, eine Wahlkampagne, bei der es nicht nur um Zahlen, sondern auch um Umwelt, Leben und Zukunft geht.

Doch sie haben im Gegenteil kalte Zahlen heruntergebetet, über Frau Merkel diskutiert und unverständliche Metaphern gemurmelt, so versunken waren sie in ihrer eigenen Welt.

Hoffnungsgeschenke des großen Impresario

Auf der Erde blieb nur ein alter Impresario, die Taschen voller Geschenkgutscheine für die Welt der Träume, und ein Schmierenkomödiant, der Berlusconis Verführungsmechanismus so gut studiert hatte, dass er ihn zu übertreffen vermochte.

Grillo hat die Welt des Theaters gewählt und die Italiener haben gezeigt, dass dies nach 20 Jahren Leere die einzige ist, die sie verstehen.

Doch er hat beschlossen, sie zu nutzen, um ernsthafte Dinge zu sagen, dabei unterstützt durch seine Beliebtheit, seine Energie und sogar seine Fehler. Sogar die Auswahl von unbekannten, wenig repräsentativen Kandidaten stellte sich als Stärke heraus.

Wenn unter den vielen neuen politischen Angeboten nur seines bei den Wählern ankam, dann auch weil er es – im Gegensatz zu[m scheidenden Regierungschef Mario] Monti und [dem ehemaligen Richter Antonio] Ingroia – nicht mit Pseudo-Promis, mit kalten Technokraten und angestaubten Standespersonen gespickt hat.

Gegensätzliche Sehnsüchte

Unter Grillos Anhängern findet man alles vom pragmatischen Träumer bis zum chronisch Selbstmitleidigen. Doch unter den vielen Wählern der letzten Stunde treffen, so meine ich, zwei scheinbar gegensätzliche Stimmungen zusammen: Einerseits der leidenschaftliche Wunsch, das System zum Einsturz zu bringen – in der Hoffnung, dass eine neue Führungsschicht aus den Ruinen der verschiedenen Kasten auferstehen kann.

Andererseits die rationale Berechnung, die darin besteht, eine Gruppe von scharfblickenden Außerirdischen ins Parlament zu schicken, damit sie die Mauscheleien der Machthabenden aus nächster Nähe überwachen.

Und nun? Die Bewegung der vertrauenswürdigen Prüfer ist so neu, dass sie sogar für diejenigen, die für sie gestimmt haben, mysteriös bleibt. Ist Grillo der absolute Herr in diesem Team oder ist er nur der Schiedsrichter, der über die Beachtung der Regeln wacht und entscheidet, wer vom Platz verwiesen wird?

Werden die Abgeordneten ihre Anweisungen von ihm erhalten oder nur, wie sie im Chor beteuern, vom Internet-Volk, dem sie jeden Vorschlag von einem unwahrscheinlichen Regierungsabkommen bis hin zum Namen des künftigen Staatschefs unterbreiten wollen?

Die einzig wirklich idiotische Frage wäre die, ob die Wähler der Fünf-Sterne-Bewegung links oder rechts stehen. Grillo hat den anderen Parteien keine Stimmen weggenommen. Er hat sich damit begnügt, die Stimmen aufzuheben, die die anderen haben fallen lassen. Und nächstes Mal könnten es noch mehr sein. (PLM)

Kommentar

Eine euroskeptische Wahl

„Eine erschütternde Wahl, es gibt keine Mehrheit“, stellt der Corriere della Sera fest, nachdem bei der Wahl vom Vortag die Linkskoalition zwar die absolute Mehrheit in der Abgeordnetenkammer, aber nicht im Senat erhielt und die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo sich behauptete. Für Leitartikelautor Massimo Franco „hat ein euroskeptisches Italien den Sieg davongetragen, zumindest hinsichtlich der Sparpolitik“:

Ein dritter Pol ist aufgetaucht, aber es ist nicht der von Mario Monti: moderat, europäisch, regierungsfreundlich. Statt dessen ist es der radikale, protestierende und populistische von Beppe Grillo, der überraschende Prozentzahlen erzielte. Doch neben dem Komiker, der ein Viertel der Stimmen einheimste, gewann noch ein anderer, nämlich Silvio Berlusconi, der auf sein eigenes Überleben gesetzt hatte. Mit Erfolg: Ein Kranz von Satellitenlisten verhalf ihm zur relativen Mehrheit der Sitze im Senat und beinahe zu einem aufsehenerregenden Sieg in der Abgeordnetenkammer. [...]

Es ist, als hätte Italien das Konzept einer unterbrochenen Demokratie verinnerlicht und würde es sich selbst verweigern, den internationalen Widerschein dieser Wahl zu analysieren. Schlimmer noch: Es entschloss sich für die Herausforderung und folgte der Stimmung gegen eine Sparpolitik, die nicht nach ihren positiven Auswirkungen auf den Staatshaushalt, sondern nach ihren negativen Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt beurteilt wird. Monti zahlt den Preis für diese umstrittenen Entscheidungen, für die Unbeliebtheit und den Mangel an Erfahrung.

Ohne ein Abkommen der Parteien zur Durchführung bestimmter Reformen steigen die Chancen für eine kurze oder sogar sehr kurze Legislaturperiode gefährlich. Mit dem Risiko einer kommissarischen Verwaltung, die weitaus traumatischer wäre als die der vergangenen Monate.

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