Merkel bekommt ein Basta aus Rom

Die Italiener haben Mario Montis und Angela Merkels Euro-Rettungspolitik abgewählt. Jetzt kann die Kanzlerin die Eurokrise nicht einfach bis zur Bundestagswahl einfrieren. Entscheidungen stehen an.

Veröffentlicht am 27 Februar 2013 um 16:14

Angela Merkel hat ihr Bestes gegeben, um die Instabilität bis zur Bundestagswahl im September im Zaum zu halten. In Italien setzte sie voll auf Mario Monti, beschränkte sich dabei jedoch auf Bezeugungen ihrer Wertschätzung, um den Bumerangeffekt zu vermeiden, den ihre ausdrückliche Unterstützung Nicolas Sarkozys letztes Jahr in Frankreich hatte.

Dann war sie bestrebt, gute Beziehungen zu seinem Nachfolger, François Hollande, zu pflegen. Um die Ruhe an den Märkten nur ja nicht zu stören, veranlasste sie schließlich die Europäische Kommission, das disziplinlose Frankreich nicht zu bestrafen und in einem Brief die neue flexiblere Linie in Bezug auf Haushaltsdefizite, die eigentlich ohnehin schon für Griechenland, Portugal und Spanien angewandt wird, offiziell zu bestätigen.

Die Strategie der Bundeskanzlerin hat nicht gegriffen. Der Ausgang der Wahlen in Italien hat die Wunde der Instabilität sowohl im In- als auch im Ausland wieder aufgerissen. Wie vorherzusehen war, haben die Märkte erneut zum Angriff geblasen. Europa bebt und träumt davon, unser Land zur Schadensbegrenzung de jure und nicht nur de facto wie Griechenland und Co. unter Aufsicht zu stellen.

Aufbegehren gegen die herrschende Kaste

In Wirklichkeit nehmen die italienischen Wahlergebnisse Dimensionen an, die weit über die nationale Unzufriedenheit hinausgehen. Sie konfrontieren das ewig ausweichende Europa mit einer Reihe unangenehmer Fakten und ungelöster Probleme, die nun langsam ans Licht kommen. Sie könnten auch wieder den Euro in die Mangel nehmen, nicht so sehr wegen des erneuten Ausbruchs der italienischen Frage, sondern weil Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft im Bund, alle Probleme der Einheitswährung bloßlegt, die bislang nur flüchtig geflickt oder ganz einfach unter den Teppich gekehrt wurden.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Der Ausgang der italienischen Wahlen spiegelt weit mehr als die allgemeine Unzufriedenheit eines Landes wider, das unter einem strengen Sparkurs, der Rezession und hoher Arbeitslosigkeit leidet. Er drückt vor allem das Aufbegehren gegen die herrschende Kaste eines Systems aus, das zwar beschlossen hat, in den Währungsraum einzutreten, aber nichts unternommen hat, um auch darin bleiben zu können.

Es wurde nicht modernisiert, reformiert oder liberalisiert, um wettbewerbsfähiger zu werden und mit seinen Partnern Schritt zu halten. So entstand bei den Italienern der Eindruck, sie würden sich immer durchschlagen und von den größeren oder kleineren Renten ihrer Positionen leben können, ohne jemals den Preis dafür bezahlen zu müssen.

Des Euros alte Fragen

Sie haben sich geirrt. Aber die Italiener sind nicht die einzigen Europäer, die die Auswirkungen der Einheitswährung falsch eingeschätzt haben. Hier liegt die Wurzel des Dilemmas: Mehr oder weniger Europa? In der Eurozone bleiben oder ausscheiden? Die Frage betrifft nicht nur Italien, sie ist stärker verbreitet, als man annehmen möchte, sowohl in den Mitgliedsstaaten als auch in den Ländern, die an der Schwelle des Euroraums stehen. Vor dem Hintergrund der Krise wächst und gedeiht die Frage nunmehr seit vier Jahren.

Die dogmatische Antwort lautet ausnahmslos: strenger Sparkurs und tiefgreifende Reformen, wie sie Deutschland empfiehlt, ohne die abfedernde Wirkung von Wachstum und innereuropäischer Solidarität. Und natürlich im Namen einer angeblich effizienteren technokratischen Lösung auch ohne die normale demokratische Dynamik. Währenddessen wächst die Kluft zwischen Nord- und Südeuropa und die Industrie der EU verliert weiter Anteile am Weltmarkt.

Niemand bringt gern Opfer dar. Schon gar nicht jene, die nicht zu Unrecht behaupten, „Europa habe genug Geld, um seine Banken zu retten, aber nicht genug, um das Wachstum und den Arbeitsmarkt zu fördern“. Die Märkte werden sich nicht beruhigen, bevor sie nicht wissen, wie die Zukunft des Euro aussieht. Wie lang wird ihnen noch die von Mario Draghi gegebene Garantie genügen, jetzt, wo Italien die Büchse der Pandora geöffnet hat und alle ungelösten Probleme des Euro und der Europäischen Union allmählich ans Licht kommen?

Europas Alarm

Gerade weil der Konsens zu Europa überall zerfällt, muss die dreifache Integration auf Banken-, Haushalts- und politischer Ebene schneller vorangetrieben werden. Nur so kann der Euro den internen Spannungen widerstehen. Die Euroländer müssen endlich entscheiden, ob sie auf der Basis des nun die Meinungen beherrschenden deutschen Modells auf den drei Ebenen ein gemeinsames Schicksal teilen wollen oder nicht.

Die Bundestagswahl 2013 und die europäischen Wahlen 2014 haben die Debatten und Verhandlungen vorübergehend eingefroren und so den Augenblick der Wahrheit und der Entscheidung zwischen den Widersprüchen Europas um einige Monate aufgeschoben. Aber die Sorgen bleiben und wachsen. Auch im Frankreich eines François Hollande.

Wird die von Merkel gewährte flexiblere Auslegung der Haushaltsdisziplin die Märkte bis September ohne größeren Schäden im Zaum halten können? Italien hat in Europa Alarm geschlagen. Es wäre für alle sehr gefährlich, dieses Signal zu überhören.

Aus Deutschland

Die gefährliche Unterstützung durch Angela Merkel

Hat auch Angela Merkel die italienischen Wahlen ein bisschen verloren? In der deutschen Presse rangiert die Abwahl des deutschen Spardiktats gleich neben dem „politischen Chaos in Italien“.

Die Süddeutsche Zeitung schreibt:

Der kühle Berliner Reform-Realismus, der die EU prägt, wird als feindliches Diktat wahrgenommen. Monti und Bersani - aber auch Berlin und Brüssel - konnten vielen Italienern nicht vermitteln, dass auf die Rosskur die Genesung folgt.

Da sollten die Europäer Merkel lieber gleich die Gefolgschaft in der Wirtschaftspolitik verwehren, rät Eric Bonse im Cicero. Nicolas Sarkozy in Frankreich, Mark Rutte in Holland und jetzt Mario Monti machten eines klar: „Von Angie lernen heißt... verlieren lernen!“

Bleibt die Frage, wieso all dies an Merkel abprallt. [...] Merkel hinterlässt verbrannte Erde – sage niemand, das habe nichts mit ihrer Politik zu tun…

Das allerdings ist der Standunkt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die FAZ verzweifelt an „den degenerierten [italienischen] Parteien. Denn nun können sie mit ihrer Plünderung des Landes weitermachen.“

Dieser Meisterstreich zur Destabilisierung der Nation und der Europäischen Union wurde freilich nur möglich durch den verwirrenden Wahlmodus, den gerissene Politiker notabene unter Berlusconi für dessen Bedürfnisse maßgeschneidert haben. […] Die letzte historische Zahl dieser Wahl liegt bei 357. Das ist zusammengerechnet das Alter aller vier Spitzenkandidaten und des Präsidenten. Für die Millionen junger Italiener, die im italienischen Schlemmerparadies gemästeter Abgeordneter keine Arbeit, keine gute Ausbildung, keine funktionierenden Universitäten, keine Alterssicherung vorfinden und die längst demographisch abgeschrieben sind, hat sich mit der Wahl nichts verändert.

Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema