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Ein Spielplatz für Hacktivisten ?

In der vergangenen Woche wurde die Tschechische Republik Opfer einer ganzen Serie von Hacker-Angriffen. Das gut entwickelte Netz des kleinen Landes ist eine ideale Testzone für weit größere Angriffe, glaubt ein Internetexperte.

Veröffentlicht am 13 März 2013 um 12:16

Am 4. März sind die Systeme der größten tschechischen Online-Newsportale zusammengestürzt. Am Tag darauf war das größte Internetportal des Landes, Seznam.cz, mehr als zehn Minuten außer Betrieb.

Am Mittwoch traf dieses Schicksal die Internetseiten zahlreicher Banken, am Donnerstag die Mobilfunkanbietern. Seitdem herrscht Ruhe. Aber man sollte sich nicht zu früh freuen, denn noch ist relativ unklar, was eigentlich passiert ist.

Die größten erkennbaren Schäden, die der Internetsturm verursacht hat, sind im Augenblick Einbussen bei Werbeeinnahmen für die Medien und nicht ausgeführte Transaktionen bei den Banken. Noch kann niemand den Schaden beziffern. Die Zuverlässigkeit des tschechischen Internet steht aber allemal auf dem Spiel.

Die Tschechen haben schon einmal einen solchen, wenn auch weniger spektakulären Sturm auf das Netz erlebt. Dabei richteten sich die Angriffe gegen die Seiten der OSA (Vereinigung für den Schutz der Urheberrechte), des Parlaments und der Regierung.

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Jedes Mal wird nach dem selben Muster vorgegangen: ein Angriff des Typs DDoS. Die Piraten überfluten den Server mit Datenpaketen, bis er aufgrund von Überlastung zusammenbricht. „Allerdings gab es vorher immer einen bestimmten Grund, wie die Verabschiedung des umstrittenen Internetkontrollgesetzes.”

Cyber-Ausnahmenzustand mit realen Folgen

Trotz der ernsten Lage versuchen die Experten zu beruhigen: die Strukturnetze des Staates, wie das der Stromversorger, der Polizei oder der Ministerien, funktionieren über unabhängige Informatiksysteme und seien nicht mit dem klassischen Internet verbunden.

Die jüngsten Ereignisse in der Tschechischen Republik sind jedoch nicht vergleichbar mit der gezielten Piraterie von Kundenangaben internationaler Banken oder Unternehmen wie Visa oder MasterCard. Auch aus geographischer Sicht sind die Folgen der Attacke weit von den Schwierigkeiten entfernt, mit denen Estland vor sechs Jahren zu kämpfen hatte.

Ein Hacker-Angriff hatte damals zu einem dreiwöchigen Zusammenbruch der Internetseiten fast aller staatlichen Institutionen in Estland geführt. Die Polizei hatte sich schließlich dazu entschlossen, das lokale Netz zeitweilig vom Rest der Welt zu trennen.

Der Hacker-Angriff auf die Tschechische Republik hat schon erste Reaktionen ausgelöst. Bereits am 12. März dürften sich Vertreter der verschiedenen Ministerien, der Polizei und der tschechischen Nationalbank zu einer ersten außerordentlichen Sitzung des Rates für Internetsicherheit zusammengefunden haben.

Die Politik hat angekündigt, die Verabschiedung des Internetkontrollgesetzes beschleunigen zu wollen. Der Gesetzentwurf soll der Regierung noch vor Ende Juni vorgelegt werden. In ihm ist auch festgelegt, wie sich die Verwaltung im Falle eines solchen Angriffes zu verhalten habe.

Mit dem Thema der Internetsicherheit beschäftigt sich auch das internationale Forschungszentrum der NATO, welches in Tallinn am Tag nach dem Cyberangriff auf Estland gegründet wurde.

Heute glauben viele Experten, dass es sich bei dem Angriff auf Estland um einen politischen Vergeltungsschlag des russischen Geheimdienstes handelte, nachdem die Statue des sowjetischen Soldaten im Stadtzentrum entfernt wurde (obwohl die Ermittlungen ohne Ergebnisse eingestellt wurden).

Testgelände für Cyber-Attacken

In Tschechien hat man noch keine Idee, wer die Verantwortlichen des Cyberangriffes sein könnten. Experten sehen allerdings einen Zusammenhang, denn die Angriffe wurden gleichzeitig und nach dem selben Schema ausgeführt.

Aus Erfahrung wissen wir, dass es sich meistens um Angriffe von „Hacktivisten” handelt — Informatikpiraten mit ideologischer oder politischer Motivation. Im Falle der Tschechischen Republik fehlt allerdings eine solche Motivation mit konkretem politischen Hintergrund.

„Wie man am Beispiel des Internets sieht, agieren die Hacker auf globaler Ebene”, erklärt Obluk, Mitbegründer von AVG, eines der erfolgreichsten tschechischen Unternehmen, das sich in der Entwicklung von Sicherheitsprogrammen spezialisiert hat.

Für ihn, wie auch für andere Experten, ist die recht kleine Tschechische Republik mit ihrem gut entwickelten Internet eine ideale Testzone für großangelegte Cyberangriffe.

Der Hacker-Angriff auf die Tschechische Republik veranschaulicht, dass das Internet immer mit einem gewissen Grad an Unsicherheit verbunden ist, die proportional zur Bedeutung des Netzes noch zunehmen wird.

Der nur wenige Stunden dauernde Internetsturm der letzten Woche scheint doch Teil eines großen Spiels zu sein. (MZ)

Aus Rumänien

Krise zieht Cyber-Piraten an

Auch wenn Rumänien im Februar die erste nationale Strategie im Bereich der Internetsicherheit erstellte, bleibt das Land dennoch nicht von Internetpiraterie verschont.
„Der Internetkrieg betrifft auch Rumänien. Das Land wurde Anfang März Zielscheibe eines Angriffs, der zu einer ganzen Spionagekampagne in mehreren osteuropäischen Ländern gehörte”, berichtet QMagazine.

„Dieser Angriff war von noch größerem Ausmaß als der ‚Rote Oktober’. Dieser Angriff im Herbst 2012 zielte auf Informationen über Nationalpolitik und natürliche Ressourcen ab”.
„Sind wir auf diesen Cyberkrieg vorbereitet?”, fragt sich Florian Coldea vom rumänischen Nachrichtendienst und schreibt

Wir befinden uns in einer Weltwirtschaftskrise, die riesige soziale Gegensätze geschaffen hat. Genug Anreiz, um Angriffe auf die öffentlichen Informatiksysteme zu starten und damit Informatikspezialisten abzuwerben. Ein Bereich, in dem Rumänien mit seinen vielen Hackern, so wie in anderen Ostländern, glänzt. Besonders die Mitgliedsstaaten der NATO sind die Zielscheiben der Piraten.

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