Gut investiertes Geld. Giarres Polo-Stadium ist nach 25 Jahren noch nicht fertiggestellt. (Alle Rechte vorbehalten)

Sizilianisches Subventionsgrab

Der kürzlich veröffentlichte Bericht über die Verwendung der europäischen Hilfsgelder erklärt, dass Sizilien die erhaltenen Milliarden bis auf den letzten Cent ausgegeben hat – doch nicht etwa, um den Rückstand der Insel auszugleichen, sondern vielmehr zur Förderung der Günstlingswirtschaft. La Stampa berichtet.

Veröffentlicht am 8 Oktober 2010 um 15:11
Gut investiertes Geld. Giarres Polo-Stadium ist nach 25 Jahren noch nicht fertiggestellt. (Alle Rechte vorbehalten)

Ob Sizilien die europäischen Hilfsgelder zu verwenden weiß? Aber sicher doch! Das erklärten die regionalen Behörden den EU-Inspektoren aus Straßburg. Und es handelt sich hier nicht gerade um Almosen. Denn die spirituellen Erben des großartigen – und großzügigen – Friedrich II., des „stupor mundi“, dessen mit Samt und Gold ausgestatteter Palast heute Sitz des sizilianischen Parlaments ist, begehen die Dinge entweder im Großen oder überhaupt nicht. So ist von den 8,5 Milliarden Euro, die zwischen 2000 und 2007 von der Europäischen Union zur Aufholung des Entwicklungsrückstands ausgezahlt wurden, nichts mehr übrig – nicht der kleinste Krümel, wie die Regionalbehörden betonen.

Nur schade, dass die Behörden in ihrem Abschlussbericht für den Zeitraum der „Agenda 2000“, die von 2000 bis 2006 einen Subventionsregen aus Brüssel auf die Insel niedergehen ließ, eingestehen, dass das Geld ganz umsonst ausgegeben wurde. Die 700 Millionen für die Verbesserung der Wasserversorgung? Im Jahr 2000 kam das Wasser bei 33 Prozent der Haushalte nur tropfenweise aus der Leitung. Heute herrscht bei 38,7 Prozent Wassermangel.

Die Initiativen, um auch außerhalb der Saison Touristen anzuziehen? Sie kosteten 400 Millionen Euro, dafür könnte man sich eine ganze Fluggesellschaft kaufen. Und was tun diese Undankbaren, anstatt scharenweise anzureisen? Es werden jedes Jahr weniger: 2000 betrugen sie 1,2 Prozent, und 2007 nur noch 1,1 Prozent. Was die 300 Millionen anbelangt, die in große und kleine Projekte für erneuerbare Energien investiert wurden, so hat zwar jeder Hügel heute seine eigene Windturbine, doch die sizilianische Produktion deckt kaum fünf Prozent des Strombedarfs, im Vergleich zu durchschnittlich 9,1 Prozent in Süditalien.

Für die Sizilianer immer dieselbe alte Geschichte

Und so geht es immer weiter, mit einem Berg von 230 Millionen Euro für die Verbesserung des Bahnnetzes, der letztendlich eine Maus gebiert: Acht Kilometer Bahnstrecke wurden renoviert und wenn die Sizilianer für die 400 Kilometer auf dem einzigen Gleisstrang zwischen Palermo und Messina viereinhalb Stunden brauchen, von unvorhergesehenen Zwischenfällen einmal abgesehen, dann ist das eben ihr Pech.

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Im weiteren Verlauf erfährt man, dass 300 Millionen Euro – vorgesehen für ein integriertes Abfallmanagement – aus dem Fenster geworfen wurden, während die Städte weiter in Müllbergen ersticken. Trotz der Finanzierung für den Bau von 260 Mülldeponien und 64 Wertstoffhöfen mit Mülltrennung und Aufbereitung werden in Sizilien nicht mehr als sechs Prozent der Abfälle getrennt, die Zielsetzung lag bei 35 Prozent.

Schwarz auf Weiß gesehen sticht das Paradox ins Auge. Dabei machen sich die Sizilianer keine Gedanken, denn sie sind ja daran gewöhnt, sich über nichts mehr zu wundern. Sie denken sich eben einfach, dass hinter den guten Absichten, den hochtrabenden Abkürzungen und dem Mythos Europa immer, oder fast immer wieder derselbe Film abläuft. Heute hat der König zwar keine Kleider an, doch er hat sie schon längst ausgezogen, im Laufe dieser sieben Jahre Subventionen, die auf 43.000 Projekte aufgesplittert, im Rhythmus der auftretenden Günstlinge und Ausnahmegenehmigungen verteilt und in den gediegenen Vorzimmern der Kommissionspräsidenten zugewiesen wurden.

Ein riesiger Kuchen für Unternehmen, Gesellschaften und Organisationen

Sie dienten sogar dazu, 29.000 Forstaufseher oder Tausende von Kulturbegutachtern zu bezahlen, sie wurden ausgegeben für „marktbezogene Analysen“, „territoriales Marketing“ oder „Image-Förderung“. Unnötig zu erwähnen, dass für die großen Projekte – Hafenviertel, Autobahnen, Jachthäfen –, die das Gesicht von Ländern wie Spanien oder Portugal veränderten, nicht einmal der erste Stein gelegt wurde. Eine Ausnahme bilden da die Museen und Bauwerke der Insel, die tatsächlich renoviert wurden.

Beim Anblick dieses riesigen Kuchens lief Hunderten von Unternehmen, Gesellschaften und Organisationen, die überhaupt nur zur Nutzung der europäischen Hilfsfonds gebildet und entwickelt wurden, das Wasser im Munde zusammen. Sie wuseln sich durch Maßnahmen, Richtlinien und diverse Projekte, werfen mit esoterischen Kürzeln wie EEF, EFRE, EAGFL oderEFF* um sich und schöpfen aus Förderprogrammen wie Equal, Urban, Leader oder Interreg. Eine ganz neue Klasse von Büroangestellten erschien somit auf der Bildfläche, liebevoll umsorgt von Firmen und öffentlichen Stellen: Mit ihrem kostbaren Know-how gehen sie im weiten Ozean der „Agenda 2000“ auf wundersamen Subventionsfang.

Dieser gigantische soziale Stoßdämpfer entstand 1994 mit dem vorigen europäischen Programm und macht sich heute am neuen Geldsegen zu schaffen, den 6,6 Milliarden des Programms 2007-2013, das zwar einen neuen Namen (Aktionsplan), aber keine neue Substanz hat. Und dann sind da noch die vier Milliarden vom Fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, die Regionsgouverneur Raffaele Lombardo Sizilien versprochen hat – ohne dass ihm Regierungschef Silvio Berlusconi bis jetzt auch nur den geringsten Euro bewilligt hätte. Das wird der letzte Geldregen sein, denn danach verlegt Europa den Schwerpunkt der Unterstützungsgelder auf die Länder im Osten, die Neukömmlinge der Union. (pl-m)

*EEF (Europäischer Entwicklungsfonds)

EFRE (Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung)

EAGFL (Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für Landwirtschaft)

EFF (Europäischer Fischereifonds)

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