Licht aus? Eine chinesische Schneiderei in Prato, Italien.

Made in China: nichts zu verzollen

Die Tschechische Republik ist der Hauptumschlagplatz für Schmuggeltextilien aus Asien. Das Land versucht, dies zu unterbinden. Dazu ist auch steuerliche Zusammenarbeit in Europa notwendig.

Veröffentlicht am 12 Oktober 2010 um 13:58
© Nadia Shira Cohen for The New York Times  | Licht aus? Eine chinesische Schneiderei in Prato, Italien.

Tag für Tag kommen rund 50 Container mit 800 Tonnen Schmuggeltextilien aus China und Vietnam in der Tschechischen Republik an. Ein Teil der Waren verbleibt im Land, der andere setzt seine Reise in andere EU-Länder fort. In den letzten Monaten hat das Phänomen des Einfuhrschmuggels von asiatischen Textilien rasant zugenommen. Jiří Barták, Sprecher der tschechischen Zollbehörde erklärt: „Alles deutet darauf hin, dass die Tschechische Republik als Umschlagplatz genutzt wird. Von hier aus finden die Produkte den Eintritt in die Freihandelszone der EU.“

Die Behörden tun sich schwer, die Drahtzieher hinter diesem illegalen Handel zu ermitteln. Die Waren werden von einzig zu diesem Zweck gegründeten Firmen importiert. Es ist in der Regel schwierig, herauszufinden, wer sich hinter den Firmennamen versteckt. Besagte Firmen kaufen in den ersten Monaten ihres Bestehens tonnenweise Textilien und schließen, sobald sie die Waren deklarieren und die Umsatzsteuer zahlen müssen. Scheinfirmen, deren Chefs sich meist schon lange ins Ausland abgesetzt haben, wenn der Betrug aufgedeckt wird.

Größter Schmugglerring fälschte die Rechnungen

Im vergangen Mai haben die Zöllner den größten Schmugglerring aller Zeiten auf tschechischem Boden ausgehoben. Der geschätzte Schaden für das Land beläuft sich auf mindestens 65 Millionen Kronen [2,65 Millionen Euro]. Doch stellt dieser chinesische Schmugglerring nur schätzungsweise zwischen 10 und 15 Prozent des gesamten illegalen Handels im Land dar. „Es handelt sich dabei, um eine der größten chinesischen kriminellen Vereinigungen, die in Europa operiert. Ihre finanziellen Mittel sind unendlich, und die Mitglieder führen in unserem Land ein Luxusleben“, erklärt Aleš Hrubý, Ermittler der Zollfahndung.

Der Sitz dieses Rings war in Prag und operierte teilweise von Ústecko [im Norden des Landes, nah der deutschen Grenze] aus. Die Zollfahnder entdeckten selbst den Ort, wo eine Chinesin Rechnungen fälschte, die es den Großhändlern ermöglichte, weniger Zölle zu zahlen. Die Summe jeder Rechnung lag stets unter 15.000 Dollar [10.800 Euro], obwohl der Wert der Waren zwischen 80.000 und 200.000 Dollar lag [57.600 und 144.000 Euro].

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Betrüger zwingen zu grenzüberschreitender Steuerpolitik

Die Zollbehörden, das Finanzministerium und selbst die Europäische Union zeigen sich sehr besorgt über die Zunahme des illegalen Handels. Auf europäischer Ebene steht derzeit die Einführung eines neuen Umsatzsteuersystems zur Diskussion. Österreich und Deutschland haben vorgeschlagen, das Abzugsverfahren auf alle Waren anzuwenden. Anders gesagt, der Leistungsempfänger soll am Ende die Umsatzsteuer zahlen. Heute wird dieses System nur auf bestimmte Leistungen angewendet.

„Es muss eine Ausnahmeregelung für bestimmte Länder innerhalb der EU geben, die von diesem Problem betroffen sind“, meint Jan Knížek, Chef der tschechischen Zollbehörde. „Die Betrüger wären somit gezwungen, ihre Aktivitäten in ein anderes Land zu verlegen. Mit der steigenden Gefahr des Steuerbetrugs muss eine globale Reform des heutigen Umsatzsteuersystems anvisiert werden.“ Es wird ebenfalls darüber nachgedacht, ein gemeinsames Informationssystem mit einer Deklarationspflicht für Spediteure über importierte Waren einzuführen, was den Zollbehörden die Kontrolle des Warenflusses erleichtern würde.

In Ungarn, das vor drei Jahren noch als Hauptumschlagplatz dieser Waren galt, wurde das Problem gelöst, indem die Umsatzsteuer gleich bei der Zollabfertigung fällig wurde. Die tschechischen Behörden planen, ein ähnliches System einzuführen. „Doch das Problem ist“, bemerkt Knížek, „dass wir auch den ehrlichen Unternehmern, und das sind die meisten, das Leben erschweren werden.“ (js)

Italien

Prato, italienischer Schick made in China

Früher galt Prato als Inbegriff des Schick „made in Italy“. Heute zählt die Stadt den höchsten Anteil an chinesischen Migranten in Europa, berichtet die New York Times. Auf eine Gesamteinwohnerzahl von 187.000 Menschen kommen 36.000 chinesische Zuwanderer — mit oder ohne Aufenthaltsgenehmigung. Sie würden „rund um die Uhr in einem der 3200 kleinen Ateliers arbeiten: sie nähen oder stellen Schuhe und Accessoires her.“ Laut der lokalen Handelskammer ist die Anzahl der Textilunternehmen in italienischer Hand um die Hälfte gesunken. „Aber was den Italienern am meisten die Galle hochkommen lässt, ist die Tatsache, dass die Chinesen sie mit ihren eigenen Waffen schlagen“, notiert die New York Times, „nämlich mit Steuerflucht und dem gewitzten Ausnutzen der notorisch komplexen italienischen Bürokratie.“ Während einheimische Unternehmen untergingen, würden die Chinesen, die angeblich eine Million Euro Gewinn pro Tag in die Heimat überweisen, die besondere italienische Note unterminieren. „Seitdem die italienischen Behörden in diesem Frühjahr mit Razzien gegen Ateliers vorgegingen, die Schwarzarbeit nutzten, gibt es Spannungen“, schreibt die New York Times. „Sie haben noch zugenommen, als die italienische Staatsanwaltschaft Ende Juni 24 Menschen verhaften ließ und gegen 100 Unternehmen aus der Umgebung von Prato Ermittlungen aufnahm.“ Die Anklagepunkte lauten Geldwäsche, Prostitution und Fälschung. Zudem hätte man im Ausland produzierte Produkte als „Made in Italy“ ausgewiesen.

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