Demonstration in Caen (Normandie), 19. Oktober 2010

Rente ist hier nicht das Thema

Tankstellen ohne Sprit, Autos in Flammen, Schulen geschlossen. Die Millionen-Proteste gegen die Rentenreform stürzen Frankreich ins Chaos. Dabei geht es nicht nur um die Rente, ein Regierungssystem steht in Frage.

Veröffentlicht am 19 Oktober 2010 um 14:41
Demonstration in Caen (Normandie), 19. Oktober 2010

Nun also auch noch die Lastwagenfahrer. Mit Straßenblockaden bringen sie seit diesem Wochenende ihren Unmut gegen die Rentenreform zum Ausdruck. Die Raffineriearbeiter sind bereits zur Tat geschritten. Sie haben vor Erdöldepots Barrikaden errichtet und wollen dem Land den Benzinhahn abdrehen. Seit Tagen schon streiken die Eisenbahner. Schüler und Studenten machen Anstalten, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen. Und alle zusammen wollen heute beim nun schon siebten landesweiten Protesttag auf die Straße gehen.

**Lesen Sie den kompletten Artikel auf der Website der Frankfurter Rundschau**

Debatte

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„Es mutet irgendwie lächerlich an, dass Schulkinder für den Schutz ihrer Renten streiken“, findet Gideon Rachman in der Financial Times. Doch die Streiks in Frankreich, so erklärt er, „verursachen ernsthafte wirtschaftliche Störungen und dem Land droht bald das Benzin auszugehen.“ Mit der europäischen Krise im Hintergrund und einer Regierung, deren Verschuldung fünf Prozent über den vom EU-Stabilitätspakt festgelegten drei Prozent liegt, wirft Rachman den Franzosen vor, dass sie „den potentiellen Ernst ihrer Situation“ nicht zu begreifen scheinen. „Der Vorschlag ihrer Regierung, das Rentenalter von 60 auf 62 anzuheben, ist eine extrem gemäßigte Reform – jedenfalls im Vergleich zu den Lohn-, Renten- und Dienstleistungskürzungen, die in anderen verschuldeten europäischen Ländern wie Griechenland, Spanien, Irland und sogar Großbritannien durchgedrückt werden. [...] Vielleicht brauchen die Franzosen eine echte Haushaltskrise, damit sie endlich verstehen, was Margaret Thatcher einmal so formulierte: ‚Es gibt keine Alternative.’“

Beim Guardian hingegen vertritt Philippe Marlière den entgegengesetzten Standpunkt: „Die Regierung hat [die jungen Streikenden] herablassend als ‚manipulierte Kinder' bezeichnet, doch diese Bemerkungen gingen nach hinten los und hatten nur den Effekt, die jungen Leute anzufeuern... Die Eltern sorgen sich um die Zukunft ihrer Kinder, also hindern sie sie nicht am Streiken.“ „Es herrscht ein Gefühl der moralischen Empörung“, meint er. „Es wird eine neoliberale Medizin aufgezwungen gegen eine Krankheit, die durch eben diese neoliberale Politik hervorgerufen wurde. Die Franzosen sind nicht generell gegen Reformen: Sie verlangen nur solche Reformen, die den Reichtum umverteilen und die Mittel denjenigen zuteilen, die sie am nötigsten brauchen.“

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