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Großbritanniens Ex-Premierministerin Margaret Thatcher mit dem ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission Jacques Delors in London, 1989

Euro-Schreck mit Handtasche

Ihre schwierige Beziehung zur EU ist das politische Erbe der Eisernen Lady, meint die Financial Times.

Veröffentlicht am 17 April 2013 um 11:18
Großbritanniens Ex-Premierministerin Margaret Thatcher mit dem ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission Jacques Delors in London, 1989

Jeder, der Margaret Thatcher kannte, bekam irgendwann einmal die schmerzliche Macht ihrer legendären Handtasche zu spüren. Meine Zeit kam während ihres großen Streits mit dem [damaligen Schatzkanzler] Nigel Lawson über dessen Bemühungen, den Wert des Pfunds an die D-Mark zu binden. Ich hatte sie provoziert: Sie werde sich doch gewiss letztendlich dem Druck des Finanzministeriums beugen und das Pfund in das europäische Währungssystem (EWS) einbinden?

Das Jahr war 1989 und wir befanden uns bei einem von politischen Journalisten in Westminster veranstalten Umtrunk. Als Antwort auf meine Majestätsbeleidigung packte Thatcher mich (buchstäblich!) an den Jackenaufschlägen: „Mister Stephens! Sie verstehen das nicht! Ich werde es nicht zulassen, dass Belgien über den Wert des Pfunds entscheidet!“ Wenn ich über die Wirtschaftspolitik der Regierung schreiben wolle, so fuhr sie fort, solle ich weniger auf das achten, was mir das Finanzministerium erzählte.

Das Gespräch war vertraulich, doch sogar ohne seine identifizierbaren Details gab es eine gute Story ab. Abgesehen von der seltsamen Vorstellung, ihr eigener Schatzkanzler könne nicht mit der Wirtschaft betraut werden, brachte ihr Verhalten das ganze Ausmaß ihrer immer stärker werdenden Antipathie gegenüber Europa zum Ausdruck. Diese Feindseligkeit sollte erst sie selbst ins Verderben stürzen und dann, mit der Zeit, auch zum toxischen Vermächtnis für die Tory-Partei werden. Vielleicht verlässt Großbritannien die EU sogar ganz.

Feldzug gegen Jacques Delors

Mir wurde nie klar, was sie eigentlich gegen die Belgier hatte. Mit den Holländern kam sie gut aus. Vielleicht lag Belgiens Verbrechen darin, dass die EU-Institutionen dort ihren Sitz hatten. In den späten 1980er Jahren führte sie Krieg gegen Jacques Delors, dem französischen Sozialisten, der die in Brüssel niedergelassene Europäische Kommission leitete. Es lag aber wohl eher daran, dass Belgien zwischen den frankophonen Wallonen und den Flamen aufgeteilt ist und für sein Überleben von jener kontinentalen Einvernehmlichkeit abhing, die sie nicht ausstehen konnte.

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Belgiens Begeisterung für einen europäischen Staatenbund, so hätte sie wohl sagen können, entstand daraus, dass es selbst gar kein richtiger Staat war. Sie pflegte Leute wie den französischen Staatspräsidenten François Mitterrand und den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl oft daran zu erinnern, dass die britische (und damit meinte sie eigentlich die englische) Souveränität auf einer tausendjährigen Geschichte beruhte.

Wie sich herausstellte, sollte ihre bewegte Beziehung mit Europa bald ihren politischen Nachruf schreiben. Die Kopfsteuer („poll tax“) wendete das Land gegen sie, doch es war ihre entschiedene Ablehnung einer verstärkten europäischen Integration – das berühmte „Nein, nein, nein“ –, die den Kollegen aus dem Kabinett Grund gab, von ihr abzufallen. Der Rücktritt ihres Schatzkanzlers hatte sie dazu gezwungen, ihre Aussagen über das Pfund und die Belgier zurückzunehmen. Großbritannien trat doch dem EWS bei. Für ihre Rettung war es jedoch zu spät.

Churchillianische Erinnerungen

Die führenden europäischen Politiker der 80er Jahre waren Kinder des Zweiten Weltkriegs. Kohl sah seine Aufgabe darin, Deutschland für Europa sicher zu machen. Mitterrand wiederum dachte, dies sei nur möglich, wenn eine französische Vorherrschaft auf dem Kontinent aufrechterhalten werde. Thatchers Erinnerungen waren churchillianisch, sie wurzelten in glorreichen Schilderungen einer großen Nation, die allein und unerschütterlich gegen die tyrannischen Kräfte jenseits des Ärmelkanals besteht.

Die führenden Emotionen in der britischen Euroskepsis sind das Gefühl der Überlegenheit und die Verunsicherung. Ersteres proklamiert, dass eine Nation, die in der Welt immer ihren eigenen Weg gegangen ist, es nicht nötig hat, ihre Souveränität aufs Spiel zu setzen, indem sie ihren Nachbarn zustimmt. Zweitere hat mehr mit Angst als mit Selbstbewusstsein zu tun – und sieht Brüssel als eine heimtückische Verschwörung, die berechnend Großbritanniens Freiheiten untergraben und seine Ambitionen ersticken will.

Thatcher gehörte zur ersten Kategorie. Ihr Vertrauen auf Großbritanniens globalen Einflussbereich hatte seinen Reiz.

Die 70er Jahre hatten das nationale Rückgrat gebrochen. Journalisten, die mit ihr durch die Welt reisten, konnten sich nicht daran erinnern, dass sich je so viele ausländische Köpfe nach einem Premierminister umgedreht hatten – ob auf dem Roten Platz in Moskau, beim Besteigen eines japanischen Hochgeschwindigkeitszugs in Tokio oder beim Besuch ihres geliebten Ronald Reagan im Weißen Haus.

Weise, machthungrige Visionen

Die Rede in Brügge – ihre berühmt-berüchtigte Salve gegen Delors hinsichtlich seines angeblichen Plans zur Bildung eines sozialistischen Superstaats – besaß einen Schwung, mit dem die Politiker von heute nichts anfangen könnten. Die Vision einer vom Atlantik bis zum Ural reichenden Demokratie ging ihrer Zeit voraus. Sogar ihre Bedenken über den Einfluss der deutschen Wiedervereinigung waren in ihrer Art vorausschauend. Und was die gemeinsame Währung betraf, so erfasste sie viele der Spannungen, die ihr mit in die Wiege gelegt, von ihren Urhebern aber lieber ignoriert wurden.

Was alles verdarb, waren die darunter liegenden Truggebilde. Sie hatte die sowjetische Bedrohung gemeinsam mit Reagan abgewehrt, die Falkland-Inseln von Argentinien zurückgeholt und ihr Geld aus Brüssel wiederbekommen. Die Macht war ihr zu Kopf gestiegen. Als sie in den 70er Jahren eine pro-europäische Kampagne führte, hatte sie die EU als einen wesentlichen Träger der britischen Interessen erkannt. Sie „öffnete Türen zur Welt, die sich sonst verschließen würden“. Doch nach einem Jahrzehnt im Amt war sie verblendet geworden.

Es war ja schön und gut, aufgrund der wiederkehrenden Deutschlandfrage eine Destabilisierung Europas zu prophezeien. Doch deshalb gleich denken, wie sie es scheinbar tat, dass sie durch Intrigieren mit Mitterrand den Bürgern des befreiten Ostdeutschlands die Demokratie verweigern könnte? Was die besondere Beziehung zu Washington betraf, so kehrte sich George H.W. Bush schnell dem vereinten Deutschland als natürlichem Anführer Europas zu.

Defätismus statt Schwung

In Brügge beteuerte sie, sie werde für ihre Sache kämpfen – diese spezielle Lady werde gewiss nicht schmollend am Rand des Brüsseler Spielfelds stehen. David Cameron hat, unter dem Druck der nun angeschwollenen Ränge der unnachgiebigen Tory-Skeptiker, eine andere Haltung eingenommen. Camerons Regierung hat sich von den Debatten über die wirtschaftliche Integration ferngehalten. Thatcher bewies durch ihre Unterstützung des gemeinsamen Marktes, wie Großbritannien auf die EU einwirken konnte. Doch so herausfordernd sie in Brügge war, so tendieren ihre Erben in der heutigen Tory-Partei zum Defätismus. Großbritannien, so scheinen sie zu sagen, ist ein Opfer, also sollte es besser austreten.

Die Nation hat natürlich am kostbaren Pfund festgehalten. Heute beglückwünschen sich Politiker aller Couleur dazu, den Euro gemieden und sich die Belgier vom Leib gehalten zu haben. Doch wenn man die heutige traurige Lage der britischen Wirtschaft betrachtet, ist schwer zu bemessen, was das wohl gebracht hat.

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