Regeln müssen befolgt werden

Erstmals seit Beginn der Finanzkrise wird am 1. Juli ein weiteres Land der EU beitreten: Kroatien. Allerdings darf diese Ausnahmesituation nicht dazu führen, dass die Anforderungen an die Achtung der Rechtsstaatlichkeit vergessen werden.

Veröffentlicht am 23 April 2013 um 11:20

Obwohl die Krise der Eurozone und die wirtschaftlichen Probleme die europäischen Führungsspitzen vollkommen in Beschlag nehmen, halten sie dennoch am Erweiterungskurs fest. Am 1. Juli 2013 wird Kroatien das 28. Mitglied der Europäischen Union werden. Allerdings darf der historische Auftrag der EU im Hinterland und an den Grenzen keinesfalls die Probleme kaschieren, mit denen das europäische Projekt kämpft, und auch nicht die Skepsis der Öffentlichkeit überspielen.

Die letzte Erweiterung Anfang 2007 schien in der Tat zu offenbaren, dass die neuen Mitglieder in gewisser Weise ungenügend vorbereitet waren. Rumänien und Bulgarien waren den Anforderungen keinesfalls gewachsen, weder im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, noch bei der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität. Um die [Länder dazu zu bringen, die] unerfüllten Versprechen doch noch zu halten, musste die Europäische Kommission improvisieren und ein „Kooperations- und Kontrollverfahren“ einführen. Allerdings sind Bulgarien und Rumänien bis heute nicht in der Lage, dem Schengen-Raum beizutreten.

Verstärkte Überwachung

Selbstverständlich hat die EU die Lektion aus dieser Angelegenheit gelernt und geht im Fall von Kroatien anders vor. Nun gibt es noch mehr Kapitel, die anlässlich der Beitragsverhandlungen besprochen werden müssen. Zudem hat Brüssel einen „spezifischen Mechanismus zur verstärkten Überwachung“ eingeführt. Im Grunde genommen geht es darum, der Kommission die Möglichkeit zu geben, im Laufe der Verhandlungen zu überprüfen, ob die eingegangenen Verpflichtungen auch eingehalten wurden. Darüber hinaus ist der Beitritt Zagrebs zum Schengen-Raum an Sondervereinbarungen geknüpft.

Folgt man dem Monitoring-Bericht über die Beitrittsvorbereitungen Kroatiens, der am 26. März veröffentlicht wurde, steht dem EU-Beitritt Kroatiens nichts im Wege. Bereits vor über einem Jahr erklärten sich die EU-Staats- und Regierungschefs mit dem Beitritt einverstanden. Zudem stimmen [die einzelnen EU-Länder] seitdem über die Ratifizierung des Beitrittsvertrags Kroatiens ab. Neunzehn der siebenundzwanzig Mitgliedsstaaten haben ihn bereits angenommen.

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Dabei wies der Bericht ausdrücklich auf die Fortschritte hin, die noch unternommen werden müssen, um den Rechtsapparat effizienter zu machen. Genauer gesagt geht es um die notwendige Achtung der Rechtsstaatlichkeit und die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz. Wie in Rumänien und Ungarn lassen auch die kroatischen Verfahren zu wünschen übrig. Insbesondere in Prozessen, in die frühere Regierungschefs verwickelt sind, mangelt es noch immer an europäischen Rechtsstandards.

Korruptions-Affäre Sanader

Diesbezüglich ist der Fall des früheren Regierungschefs (2003-2009), Ivo Sanader, ganz besonders bezeichnend. In einem Verfahren, in dem es um eine Unternehmensübernahme durch den ungarischen Ölkonzern MOL und deutsch-österreichische Banken ging, wurde Sanader wegen Korruption verurteilt. Ein Schuldspruch, der zunächst einmal als Fortschritt auf dem Weg zum Rechtsstaat begrüßt wurde. Allerdings fällt beim näheren Hinsehen auf, dass bestimmte Gutachten eigenmächtig beiseite geschoben worden, ohne die Verfahren dabei angemessen zu wahren. Letztendlich wurde die Entscheidung verurteilt, den Landesenergiekonzern an einen ausländischen Konkurrenten zu verkaufen, anstatt den Korruptionsvorwurf genauer zu prüfen. Wir sind folglich noch weit von einer unabhängigen Justiz entfernt, die den europäischen Normen gerecht werden würde.

Diese Schwäche des Rechtsstaats kennzeichnet mehrere Länder Zentral- und Osteuropas – in jeweils unterschiedlichem Maße. Hier schwingen auch immer die vermögensrechtlichen Praktiken der autoritären Regime im Osten Europas mit. Und genau diese Tatsache lässt die sowieso schon pessimistische Öffentlichkeit noch schwärzer sehen, und das ohnehin ermüdete europäische Projekt noch hoffnungsloser wirken. Die Erweiterung der EU scheint schlicht und einfach keinen Sinn mehr zu machen, nicht mehr richtungsgebend zu sein.

Aus Erfahrung lernen

Derartige Ansichten ziehen schwere Konsequenzen nach sich. Insbesondere zum derzeitigen Zeitpunkt, in dem der Eurozone vor allem Unverständnis, aber auch Feindseligkeit entgegengebracht wird. Diese gefährliche Mischung könnte das wichtigste Erweiterungsziel gefährden: Eine weitläufige gesamteuropäische Gemeinschaft, die gleiche Rechts- und Gerechtigkeitsideale verfolgt.

Folglich sollte jede neue Erweiterung von strengen Reformen abhängig gemacht werden, durch die das Gesetz sowohl in der Theorie als auch in der Praxis zum wichtigsten Element wird. Auf diese Weise müssten die Erfahrungen, die beim kroatischen Beitritt gesammelt werden, in die Erweiterungsstrategie der Kommission eingearbeitet, Kriterien verschärft und systematisch gewährleistet werden, dass die übrigen Bewerberländer (Serbien und Mazedonien) und potenziellen Antragsteller (restliche Republiken des ehemaligen Jugoslawiens und Albanien) diese auch einhalten.

Summa summarum ist es für die EU also ganz besonders wichtig, den Rechtsstaat ins Zentrum ihrer Erweiterungspolitik zu stellen und den Primat des Rechts auf ihre Nachbarländer auszudehnen. Erst dann wird sich die „große“ europäische „Idee“ mit Immanuel Kants Projekt des ewigen Friedens verbinden können und einem solchen Zivilisationswerk wie einem Bund freier Republiken Form verleihen.

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