Gefangen im Eurobabel

Übersetzung innerhalb der EU ist eine mühsame, kostspielige Sache. Warum also nicht Milliarden einsparen und Englisch zur offiziellen Sprache der Union bestimmen? Leider wäre der Preis dafür der Verlust von Demokratie und Integration – und nicht zuletzt der Zorn einer Menge wütender Franzosen.

Veröffentlicht am 29 April 2013 um 11:31

Geld ist Macht. Wieviel, kommt in Brüssel auf die Sprache an. Eine englische „billion“ Euro ist eine deutsche „Milliarde“. Auf Portugiesisch heißt sie aber „mil milhoes de euros“, tausend Millionen. Im Spanischen ist der „billón“ gleichbedeutend mit einer Million Millionen, also heißt die Milliarde auch hier „mil millones de euros“.

Verwirrenderweise wird die kroatische „milijarde“ und niederländische „miljard“ im Englischen zur „billion“. Doch wenn die Franzosen und Deutschen von „Billion“ sprechen, meinen sie damit das, was die Briten „a trillion“ nennen. Und die deutsche „Billiarde“ ist ein französischer „quadrillion“. Alles klar, oder?

Übersetzung ist am Hauptsitz der EU eine komplizierte – und oft kostspielige – Angelegenheit. Die Europäische Kommission hat drei offizielle „Verfahrenssprachen“: Deutsch, Französisch und Englisch. Doch mit der Erweiterung der EU und den 23 Sprachen, die heute in den Mitgliedsstaaten gesprochen werden, ist die Zahl der Übersetzer von 200-300 auf 2000-3000 geschossen. Schätzungen zufolge produziert die EU 1,76 Millionen übersetzte Seiten pro Jahr, die 300 Millionen Euro (257 Mio. Pfund) kosten. Und ab dem 1. Juli kommt mit Kroatiens EU-Beitritt noch eine zusätzliche Sprache dazu.

Englisch als neue lingua franca?

In den heutigen enthaltsamen Zeiten sind die Nationalregierungen erpicht darauf, auch das EU-Budget zusammenzustutzen. Das ist einer der Gründe, warum kürzlich eine Rede des deutschen Bundespräsidenten mit Begeisterung aufgenommen wurde. In einer Ansprache über die Zukunft der europäischen Integration schlug Joachim Gauck vor, Englisch solle doch die offizielle Verkehrssprache der EU werden: „Es stimmt ja: Die junge Generation wächst ohnehin mit Englisch als Lingua franca auf.

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Ich finde aber, wir sollten die sprachliche Integration nicht einfach dem Lauf der Dinge überlassen.“ Das war Musik in der Ohren der Föderalisten und der Finanzhardliner: Spräche man in Brüssels Korridoren Englisch, würde die EU verschlankt und effizienter.

Doch wie realistisch ist das? In gewissem Maß würde es ja nur einen Trend bestätigen, der bereits existiert. Seit dem „Big Bang“ der osteuropäischen Erweiterung von 2004 ist der Einsatz von Französisch in Konferenzen zurückgegangen – und Deutsch ist heutzutage nur noch auf dem Papier eine „Verfahrenssprache“.

Beim Europäischen Parlament werden Texte nur in die relevanten Sprachen übersetzt: Es gibt zum Beispiel keine Transskripte über die Gemeinsame Fischereipolitik in tschechischer Sprache.

Verdacht einer liguistischen Infiltrierung

Die Mitgliedsstaaten im Norden und im Osten würden zwar das Englische als offizielle Verkehrssprache begrüßen, doch der Süden würde Sturm laufen. Ein paar französische Diplomaten meinen, mit der englischen Sprache würden sich auch „angelsächsische“ Auffassungen von Politik und Wirtschaft in die europäische Politikgestaltung hineinschmuggeln.

Im vergangenen Dezember boykottierte ein Journalist der französischen Tageszeitung Libération eine Pressekonferenz über den EU-Vorsitz in Dublin, weil sie nur auf Englisch stattfand. Wenn es wirklich kein Geld für Übersetzer gebe, so argumentierte er in seinem Blog, dann hätte sie auf Gälisch abgehalten werden müssen.

Es gäbe auch rechtliche Hindernisse. „Es wäre zutiefst undemokratisch, Englisch zur offiziellen Sprache Europas zu bestimmen“, findet Diego Marani, Romanautor und Referent bei der Generaldirektion für Dolmetschen der Europäischen Kommission.

Anstatt die Integration innerhalb Europas zu fördern, würde dies das Projekt womöglich noch elitärer machen. Laut Marani kostet die gesamte Sprachbearbeitung in der EU ungefähr genauso viel wie zwei Tassen Kaffee pro Person und Jahr: ein kleiner Preis für ein bisschen mehr Demokratie.

Eurospeak

Was ist mit Alternativlösungen? Die Anregung, Latein zur offiziellen Arbeitssprache zu machen, ist leider ein alter Aprilscherz, doch ein Dolmetscher meint, Esperanto wäre eine fairere Lingua franca als Englisch. Ein anderer schlägt vor, dass die Diplomaten nie in ihrer Muttersprache sprechen dürften, um Chancengleichheit zu schaffen.

In Maranis Büro haben Angestellte begonnen, mit „Europanto“ zu experimentieren, das er als „der jazz des linguas“ beschreibt: ein frei konstruierbarer Sprachenmix, der aus dem gemeinsamen Stamm europäischer Sprachen besteht, ohne Grammatikregeln oder unbegrenzten Wortschatz.

Europanto ist natürlich ein Witz, doch es könnte eine ernsthafte Botschaft übermitteln: Es mag politisch unmöglich sein, eine gemeinsame europäische Sprache zu bestimmen, doch das heißt nicht, dass sich eine solche Sprache nicht ohnehin langfristig von selbst entwickeln wird.

Letztes Jahr stellte ein genervter Übersetzer beim Europäischen Rechnungshof einen 33-seitigen Text über gemeinhin falsch verwendete englische Wendungen in EU-Publikationen zusammen (etwa „to precise“ in der Bedeutung von „zusammenfassen“ oder „actors“ als „agierende Personen oder Organisationen“ statt als „Schauspieler“).

Eurospeak mag in den Ohren der Englisch-Muttersprachler nicht sehr schön klingen, doch es ist vielleicht eine Lingua franca, die vor unseren Augen entsteht. Discardant la textbuch, externalise sus sprachangst y just improviste.

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