Spaß am Machtmissbrauch. Silvio Berlusconi, 2. Juni 2010 in Rom

Macht nach Maß

Wer die Macht hat ist auch stets in der Versuchung, sie zu missbrauchen. Darum strotzen unsere Verfassungen nur so vor Schutzklauseln. Aber jüngste Fälle – wie in Italien – zeigen, dass die Herrschenden das Recht manchmal so verbiegen, dass es ausschließlich ihren eigenen Interessen dient.

Veröffentlicht am 4 November 2010 um 16:13
Spaß am Machtmissbrauch. Silvio Berlusconi, 2. Juni 2010 in Rom

Ohne Macht geht es nicht. Daher muss man sie begrenzen. Hannah Arendt schrieb, dass die Macht keiner Rechtfertigung bedarf, weil sie jeder politischen Gemeinschaft innewohnt. Was die Macht braucht ist Legitimation. Wenn politische Macht reguliert und öffentlich ausgeübt wird, so ist sie auch begrenzbar und passt sich der Legitimität und der individuellen Freiheit bestens an. Mit anderen Worten stimmt sie mit den Prinzipien und der Praxis der konstitutionellen Demokratie überein. Damit kommentierte Hannah Arendt 1971 das, was die amerikanische Öffentlich dank der Presse gerade zu entdecken schien: eine Reihe systematischer Machtmissbräuche durch das Weiße Haus.

Verschleiert werden sollten zum einen die Arbeiten des Geheimdienstes, zum anderen die Rolle, die das Außenministerium seit dem Zweiten Weltkrieg in Indochina und dem Vietnam spielte. Machtmissbrauch ist eine außerordentlich schwere Tat: Er zerstört die politische Gemeinschaft, indem er die Bürger auf Subjekte reduziert und sie in eine Situation der Unwissenheit verweist, in der sie nicht kompetent urteilen können. Den Regierenden verleiht er die außerordentliche Freiheit zu machen, was sie wollen. Der Missbrauch nagt an der Wurzel des Vertrauens, ohne die es in einer auf Recht gründenden Gesellschaft keine politischen Beziehungen geben kann.

Der Liberalismus hat sich dieses Problems mehr oder weniger gut angenommen: Einerseits erkennt er an, dass Macht notwendig ist. Andererseits weiß er auch, dass ihre Ausübung beim Menschen dazu führen kann, dass er nie genug davon hat und sie demnach missbraucht. Macht nährt die Leidenschaft der Macht. Eine verhängnisvolle Spirale bis zum Monopol droht. Die modernen Verfassungen beruhen alle auf dem Prinzip, dass man immer mit Missbräuchen des Machtausübenden rechnen muss. Daher institutionalisieren sie die öffentlichen Dienste und schnüren die politische Macht in strengen und klaren Regeln ein.

Hannah Arendt in Italien

Von dieser liberalen Konzeption ausgehend hat sich folgende Idee durchgesetzt: Die einzige Legitimität, über welche die politische Macht verfügen kann, speist sich aus dem Respekt der Garantien der individuellen Freiheiten. Macht muss begrenzt und kontrolliert werden (Zeitliche Begrenzung, sowie Begrenzung der Intensität durch Wahlen, der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit und der Gewaltenteilung). Dies geschieht durch eine Reihe von Zwängen, denen sich der Regierende nicht entziehen kann. Die Grenzen dieser Freiheit zu überschreiten, bedeutet gesetzlos zu handeln (ein aufrührerischer Akt, der John Locke dazu führte, Ungehorsam und Rebellion zu rechtfertigen.

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Unglücklicherweise fügte er hinzu, dass die Völker fähiger sind, Missbräuche zu ertragen, als sich gegen diese aufzulehnen.). Wenn Macht willkürlich ausgeübt wird, dann handelt es sich nicht mehr um eine politische Macht. Vielmehr spricht man dann von einer Herrschaft, und damit von einer nackten Gewalt, die aus demjenigen, der sie erträgt, ein unterworfenes Wesen macht. Genau darin liegt der Unterschied zwischen Herrschaft und Regierung. Die Gedanken Hannah Arendts passen wunderbar zu den Ereignissen in Italien.

Dass es sich hier statt eines ungerechten Krieges um erotische Beziehungen mit Minderjährigen und jungen Frauen handelt, ändert nichts an der Willkür. Allenfalls ist das Ganze dadurch nur noch schmutziger und erniedrigender. Auch im italienischen Fall sind Manipulation, Tatsachenbeschönigung und Verheimlichung die Waffen einer Regierung, die einen „Krisenstab“ einberufen hat, um „die Wahrheit des Ratspräsidenten über einen Telefonanruf beim Polizeipräsidium“ neu zu schreiben. [Mit dem Anruf sollte die Haftentlassung der minderjährigen Prostituierten erwirkt werden].

Berlusconi ist kein Regierungschef, er ist ein Herrscher

Zur Verdunklung der Wahrheit gesellt sich hier eine kalkulierte Veränderung der Tatsachen, die Italien und seine internationalen Beziehungen aus zahlreichen Gründen in eine schwierige Lage bringen: In dem Telefonanruf, der zur Freilassung der Minderjährigen dienen sollte, hieß es, das junge Mädchen sei die Nichte des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak. Der italienische Regierungschef benutzt seine Autorität des Garanten der nationalen Interessen, um sein eigenes, sittenwidriges Verhalten zu vertuschen.

Es handelt sich also in jedem Fall um Missbrauch, um eine Kränkung seines eigenen Landes und die verlogene Beschuldigung eines ausländischen Staates. In einer konstitutionellen Demokratie erhalten der Regierungschef und die Minister (die Exekutive) ihre Legitimität durch den alles begründenden Pakt, der die Regeln ihrer Ernennung und der Dauer ihrer Amtszeit bestimmt. Jedoch regelt er – wenn nötig – auch ihre Amtsenthebung, damit sie „für Delikte, die sie im Rahmen der Ausübung ihrer Funktionen begangen haben“, der Justiz unterstellt werden können. Diese Regeln und diese Grenzen machen das politische Handeln zu öffentlichem Handeln. Dadurch gehört das Handeln der politischen Gemeinschaft, und nicht demjenigen, der es ausübt.

Dieser kann die gesetzlich festgelegten Regeln über seine Beziehungen zu den Institutionen nicht durch persönliche Urteile ersetzen. Weil es sich aber um eine ausschließlich private Sache handelt, fehlt es dem Machtmissbrauch an der öffentlichen Dimension. Und genau dort wird die Macht zu einer rohen Gewalt, zu einer Verfügungsgewalt in den Händen einer Person, die diese wie ein Sonderrecht-Instrument manipuliert. Wenn ein Staatsmann die Regeln verletzt, die sein Handeln regulieren, konfisziert er die Macht und beugt sie so, dass sie seinen Interessen dient. (jh)

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