Strommasten in Pulheim

Schatten über der europäischen Energiepolitik

Mangelnde Investitionen, kaum entwickelte erneuerbare Ressourcen, konkurrierende amerikanische Kohle: Der Energiebinnenmarkt kämpft mit zahlreichen Hindernissen. Und die großen europäischen Unternehmensgruppen beginnen langsam aber sicher, die EU unter Druck zu setzen.

Veröffentlicht am 20 Mai 2013 um 15:24
Strommasten in Pulheim

Auf der offiziellen Tagesordnung des Treffens des Europäischen Rates am 22. Mai steht das Thema Energie ganz oben. Ein Grund mehr also, sich Gehör zu verschaffen. Und genau diese Strategie verfolgen die Energieriesen des Alten Kontinents, die diesmal ausnahmsweise geschlossen auftreten wollen, um der EU-Kommission ihre Forderungen zu unterbreiten.

Ihre Botschaft kann klarer nicht sein: Europas Energieversorgungssicherheit ist in Gefahr. Dementsprechend richten [die Energieriesen] einen Hilfsappel an Brüssel. Ursachen für diese Krise gibt es reichlich: Drastische Einbrüche der Investitionen in große Infrastrukturvorhaben, das Fehlen eines genauen Rechtsrahmens, eine verhältnismäßig ungenügend entwickelte gemeinsame Energiepolitik...

„Kurzum: Es fehlt ganz einfach an der nötigen Transparenz. Dabei brauchen gerade diese Industriegiganten eine bestimmte Anzahl klarer Zeichen, um effizient manövrieren zu können. Und [diese Signale] fehlen ihnen heutzutage nun einmal“, betont ein Branchenkenner.

Hinzukommt, dass die Energieriesen derzeit noch angespannter sind, als sonst, weil sie eine ganze Reihe von immer wiederkehrenden Schwierigkeiten bewältigen müssen. Ihre Aktienkurse befinden sich auf Talfahrt. Ihre Schulden haben die für ihre Investoren zulässigen Grenzen überschritten und verlangen ihnen erhebliche Veräußerungen von Vermögenswerten ab. Und ihre industrielle Kapazität wird auf eine harte Probe gestellt: Mehrere Produktionsanlagen müssen geschlossen und andere vorübergehend stillgelegt werden. Der Grund: Sie erzielen einfach nicht genügend Gewinne.

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Konkurrenz aus Nordamerika

In letzterem Fall handelt es sich meist um Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke, die dem Schiefergas-Boom in Nordamerika zum Opfer gefallen sind. [Zum einen] ist Gas jenseits des Atlantischen Ozeans momentan nicht nur viermal billiger als in Europa. [Zum anderen] können die USA dank dieser neuen Ressource nun auch riesige Mengen Kohle exportieren. Und diese versorgt die Elektrizitätswerke in Europa zu weitaus wettbewerbsfähigeren Preisen als das Gas für die Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke, die folglich ihre Aktivitäten einstellen müssen.

„In der Folge führt das zu folgender paradoxaler Situation: Ein Land wie Deutschland hat seine Kohlekraftwerke nie zuvor so intensiv betrieben wie heute, und gleichzeitig so viel Geld in seine Industrie der erneuerbaren Energien investiert“, meint eine Führungskraft eines europäischen Unternehmens. Allerdings darf man nicht glauben, dass diese beschleunigte Entwicklung der grünen Energien auf allgemeine Zustimmung stößt: Auf (mit Gas oder Kohle betriebene) Wärmekraftwerke kann einfach nicht verzichtet werden, um Unterbrechungen in der Versorgung durch Solar- oder Windenergie zu überbrücken. Nun ist es in Deutschland aber so, dass die Produktion erneuerbarer Energien ein solches Volumen erreicht hat, dass sich Investitionen in herkömmliche Kraftwerke einfach nicht mehr lohnen. Zwar sind sie unverzichtbar, ihre Konstruktion aber äußerst kostspielig. [Vor der Gefahr], in diese Klemme zu geraten, fürchten sich sämtliche Strom- und Gasunternehmen.

Der Wettbewerb darf nicht verzerrt werden

In ihrer Botschaft, welche die Unternehmen der Kommission diese Woche schriftlich und mündlich vermitteln werden, fordern sie eine genaue Überwachung der Finanzierung der Energien. Dabei geht es in erster Linie darum, sicherzustellen, dass das Subventionierungssystems für erneuerbare Energien den Wettbewerb zwischen den einzelnen Ländern nicht verzerrt. Ferner fordern die Giganten des Sektors auch, den Kohlendioxid-Emissionsmarkt und insbesondere den Emissionshandel transparenter, kostengünstiger und effizienter zu gestalten. Außerdem würden sie sich wünschen, dass Investitionen in solche Produktionsmittel gefördert werden, die es ermöglichen, auf Spitzen im Verbrauch angemessen zu reagieren.

Neben diesen großen Fragestellungen versucht aber auch jedes einzelne Land auf seiner ganz eigenen Baustelle voranzukommen, die nur ihm gehört – und diese birgt nicht unbedingt die kleinste Schwierigkeit. Auf der anderen Seite des Rheins ist der Erfolg der Energiewende vor allem davon abhängig, ob [die einzelnen Regionen effizient miteinander verknüpft werden können]. So müssen Netze entwickelt werden, die den wind- und sonnenergieproduzierenden Norden und Osten des Landes mit dem Süden und dem Western verbinden, wo sich die großen Industrieunternehmen befinden, die ganz besonders viel Energie benötigen. Zu diesem Zweck hat [Deutschland] entschieden, bis 2022 alle Atomkraftwerke zu schließen und den Anteil erneuerbarer Energien auf 40 Prozent zu steigern. Bis 2022 sieht das Programm der Bundesregierung die Aufrüstung von 4.000 vorhandenen Leitungskilometern, sowie die Schaffung von 1.7000 Kilometern neuer elektrischer „Autobahnen“ vor. Zudem würde Berlin die Kosten für die Entwicklung der Energienetze zum kontinentweiten Transport erneuerbarer Energien gern mit seinen europäischen Nachbarn teilen.

Diskussionen um Schiefergas

Darüber hinaus ist Deutschland zunehmend mit der Nutzung von Schiefergas einverstanden. Nicht zuletzt würde dies auch zur Versorgungssicherheit und zur Stabilität der Energiepreise beitragen. Demgemäß wird Bundeskanzlerin Angela Merkel wohl zufrieden zur Kenntnis genommen haben, dass die Europäische Kommission vor dem Gipfel am Mittwoch erstmals anklingen ließ, dass eine „systematischere“ Nutzung von „heimischen“ Energiequellen“ möglicherweise in Frage kommt. Im Brüsseler Wortschatz ist [„heimisch“] das Codewort für Schiefergas.

Auch wenn nirgends erwähnt wird, dass Schiefergasvorkommen in den Mitgliedsstaaten gefördert werden müssen, und dies [beispielsweise] in Frankreich noch immer ein Tabu darstellt, macht Brüssel die [Schiefergas-]Tür hiermit einen Spalt breit auf. [Eine Entscheidung], die den Auseinandersetzungen in der ohnehin schon komplexen Energieentwicklungs-Debatte neuen Diskussionsstoff liefert.

Schiefergas

Die EU beschäftigt sich mit Fracking

Die EU dürfte demnächst mit einer Untersuchung des Frackings beginnen, berichtet Der Spiegel. Ziel ist es, rechtliche Grundlagen „für Demonstrationsprojekte und für die praktische Erprobung“ zu schaffen, um mehr über das Verfahren zur Förderung von Erdgas sowie über die damit verbundenen Kosten zu erfahren. Schon dieses Jahr könnte eine Regelung eingeführt werden.

Fracking ist eine umstrittene Abbaumethode, denn bei der Auslösung des Erdgases aus den Gesteinsschichten kann das Trinkwasser durch Chemikalien verunreinigt werden, wie die Zeitung erklärt. EU-Energiekommissar Günther Oettinger hält „den Schutz von Gebieten, wo Trink- und Grundwasser vorkommt, wie im Falle des Bodensees“ zwar für notwendig, warnt aber auch vor „einer zu hohen Furcht vor den Risiken“ der Methode.

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