Die EZB vor dem Bundesverfassungsgericht

Seit dem 11. Juni prüft das Bundesverfassungsgericht, ob die Europäische Zentralbank ihre Kompetenzen überschritten hat, als sie den Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Erwerb von Staatsanleihen klammer Eurostaaten beschloss. Wieder einmal hängt das Schicksal der Eurozone an der Entscheidung des deutschen Gerichts.

Veröffentlicht am 12 Juni 2013 um 15:47

Verhandelt werden die Anleihenkäufe überschuldeter Euroländer durch die EZB. Darf die Zentralbank, um den Euro zu erhalten, unbegrenzt Anleihen von Schuldensündern kaufen, wie EZB-Präsident Draghi ankündigte („whatever it takes”)? Oder handelt es sich dabei nicht um Geldpolitik, sondern um die verbotene Finanzierung von Staaten, wie Bundesbankpräsident Weidmann meint?

Eigentlich ist das Gericht für die EZB nicht zuständig. Doch europäische Institutionen dürfen nur handeln, wenn sie die Mitgliedstaaten dazu ermächtigen. Die Verfassungsrichter könnten entscheiden, dass die EZB ihre Kompetenzen überschreitet, wenn sie in einem „ausbrechenden Rechtsakt” Anleihen einzelner Eurostaaten aufkauft, für die hauptsächlich der deutsche Steuerzahler haftet - und das ohne jede parlamentarische Ermächtigung, ohne dass der Bundestag auch nur gefragt wird.

Das Verfassungsgericht könnte den Fall auch an den Europäischen Gerichtshof weiterleiten. Dann wäre der Ausgang wohl klar: Als der irische Supreme Court den ESM den Luxemburger Richtern vorlegte, winkten die den dauerhaften Rettungsfonds durch.

In seiner Eilentscheidung zum ESM hat Karlsruhe den Rettungsfonds unter der Auflage einer Beteiligung des Bundestags erlaubt, aber Anleihenkäufe kritisiert: Der Erwerb von Staatsanleihen durch die EZB, „der auf von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten zielte, ist als Umgehung des Verbots monetärer Haushaltsfinanzierung ebenfalls untersagt“.

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Gegenmeinung

Deutscher Streit mit Folgen für Europa

Für den Leitartikler der Tageszeitung müsste der Prozess gegen die EZB vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg stattfinden und nicht in Karlsruhe:

Man stelle sich einmal vor, ein Franzose - nennen wir ihn Monsieur Dupont - würde mit einem anderen Franzosen - Monsieur Picon - vor einem französischen Gericht über die Europapolitik streiten [...] und vom Ausgang ihres Streits hinge das Schicksal der gesamten Eurozone ab. Was würden wir dazu sagen ? [...] Ein absurdes Theater, eine französische Farce? Vermutlich letzteres. Doch genau diese Szene spielt sich [derzeit] vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ab. Monsieur Dupont heißt in Wahrheit [Jens] Weidmann und ist Bundesbankchef, Monsieur Picon heißt [Jörg] Asmussen und vertritt die Europäische Zentralbank (EZB).

Empört fährt das linksliberale Blatt im ironischen Ton fort, sorgt sich dabei aber um die Folgen der Karlsruher Entscheidung:

Denn setzt sich Dupont - pardon: Weidmann - durch, dann könnte das umstrittene Anleihenkaufprogramm der EZB zum Erliegen kommen. Dann dürfte die Spekulationswelle gegen den Euro, die EZB-Chef Draghi nur mit der Drohung gebändigt hatte, unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, wieder von vorne beginnen. Die Leidtragenden wären zu allererst Italien und Spanien, [...] aber auch Frankreich, Belgien und die Niederlande könnten bei einem Wiederaufflammen der Spekulation massiv unter Druck geraten. Doch in Deutschland wird die Diskussion so geführt, als gehe es einzig und allein um uns - um unsere Verfassung, unser Parlament, unser Geld.

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