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Europas Kultur in Lebensgefahr

Die „kulturelle Ausnahme“ ist entscheidend für die Zukunft der europäischen Filmindustrie, warnen Filmemacher vor den Gesprächen über den freien Handel zwischen der EU und den USA. Ohne Subventionen und ohne Freistellung von dem zukünftigen Abkommen wird es keinen europäischen Film mehr geben.

Veröffentlicht am 14 Juni 2013 um 10:28

Die Anfang des Jahres eingeleiteten Verhandlungen der EU und der USA über die Einrichtung einer Freihandelszone stießen bei manchen auf enthusiastischen Widerhall, bei anderen wiederum auf Zweifel. Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, meint, das geplante Abkommen werde „dazu beitragen, auf beiden Seiten des Atlantiks hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, ohne auf Steuergelder zurückzugreifen. Damit wird die weltweit größte Freihandelszone geschaffen, und die transatlantischen Beziehungen werden wiederbelebt.“ Die meisten Wirtschaftsminister innerhalb der EU sprechen sich zugunsten des Abkommens aus, was seine Unterzeichnung sehr wahrscheinlich macht. Doch falls es unterzeichnet wird, könnte die Kultur zu seinem ersten und größten Opfer werden.

1988 führte die Europäische Kommission eine allgemein gültige Regelung ein, die als „exception culturelle“, als kulturelle Ausnahme, bekannt ist: Filme und audiovisuelle Werke werden nicht so behandelt wie andere Handelsgüter. Das heißt unter anderem, dass sie von den Mitgliedsstaaten durch unterschiedliche Mechanismen unterstützt werden können, denn „die Förderung der Kultur ist eines der politischen Hauptziele der EU“. Doch falls das Freihandelsabkommen für die EU und die USA in Kraft tritt, werden sowohl Film als auch Musik wieder in die Rolle gewöhnlicher Handelsgüter relegiert. Was bedeutet das?

Schließung und schwindende Mittel

Erst einmal die Schließung der nationalen Filminstitute, die Finanzierungen für den Großteil der europäischen Filmproduktionen bereitstellen (in Polen ist dies das Polnische Filminstitut PISF). Die Einrichtung dieser öffentlichen Institutionen diente just dazu, einen kulturellen Protektionismus umzusetzen. Doch nicht das Verschwinden der Institutionen selbst wäre das Problem, sondern vielmehr das Verschwinden der Mittel, die sie für die Kulturförderung beschaffen, indem sie von Filmvertrieben und TV-Sendern Abgaben einziehen. Ohne diese Mittel würden die Filme von polnischen Regisseuren wie Smarzowski, Jakimowski, Krauze oder Holland, oder von europäischen Regisseuren wie Haneke, den Dardenne-Brüdern oder Mungiu nie zustande kommen.

Ebenfalls bedroht sind die so genannten europäischen Quoten: eine Regelung, laut welcher die TV-Sender in der EU verpflichtet sind, mindestens 50 Prozent europäische Inhalte zu senden. Das aktuelle Finanzierungssystem für die öffentlichen Medien, das eine allgemein gültige Rundfunkgebühr beinhaltet, wird unter dem geplanten Abkommen nicht mehr möglich sein. Ebenso wenig wie die staatliche Unterstützung für kleine Kinos, die europäische (und von Europäern unterstützte) Filmproduktionen zeigen, oder für europäische Songtexter. Gemäß Polens derzeitigem Mediengesetz müssen Rundfunksender mindestens 33 Prozent polnische Inhalte senden. Wenn das Freihandelsabkommen zum Gesetz wird, dann wird diese Auflage null und nichtig.

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60% Hollywood-Produktionen

Es sieht zwar so aus, als seien die Kulturgüter und –dienste nur ein Thema am Rande der Verhandlungen über den Freihandel zwischen EU und USA, doch das stimmt nicht. Washington fordert schon seit langem, dass die EU ihren Kulturmarkt liberalisiert, doch die EU ließ sich bis jetzt nicht überzeugen. „Schon heute sind bis zu 60 Prozent der Filme, die in den Kinos in Polen oder Frankreich gezeigt werden, Hollywood-Produktionen“, sagt Jacek Fuksiewicz vom PISF. „Was passiert dann erst, wenn wir die Unterstützungen für den europäischen Film zurückziehen?“

„Die Amerikaner denken wie Vertriebsmanager. In den USA ist der Film eine Industrie, die jedes Jahr mehr einbringt als in jedem anderen Land, und das seit den 1920er Jahren. Doch in Europa sehen wir Kultur anders“, meint dazu Dariusz Jabłoński, der Präsident der Polnischen Filmakademie.

Über 7000 Regisseure, darunter knapp 200 aus Polen, haben einen offenen Brief unterschrieben, der die „kulturelle Ausnahme“ unterstützt. Zu ihnen gehören Berühmtheiten wie Michael Haneke, Pedro Almodóvar, Ken Loach, Cristian Mungiu, die Dardenne-Brüder, Andrzej Wajda, Agnieszka Holland, Krzysztof Zanussi oder Jerzy Skolimowski. „Europa könnte sein Recht verwirken, die eigene Kultur zu verteidigen. Das lässt sich nicht rechtfertigen und alles spricht dagegen“, schreiben sie. Während der Filmfestspiele in Cannes wurde ihr Einsatz von Steven Spielberg und Harvey Weinstein (Gründer von Miramax und unabhängiger Produzent in New York) unterstützt.

Die Kommission als letztes Gericht

Diese Lobbyarbeit hat zwar das Europäische Parlament davon überzeugt, sich für die „kulturelle Ausnahme“ auszusprechen, doch die Verhandlungen führt die Kommission. Handelskommissar Karel De Gucht versprach am 17. Mai, das geplante Abkommen werde die öffentlichen Subventionen für kulturelle und audiovisuelle Produktionen in der EU nicht beeinträchtigen, doch nicht alle scheinen davon überzeugt. „Das ist nur Gerede ohne jegliche Rechtswirkung“, meint PISF-Leiterin Agnieszka Odorowicz. Es scheint, das von der Kommission angestrebte Verhandlungsmandat sei zu vage und zu allgemein. In gewisser Weise verlangt die Kommission ein Blankomandat, was für Polen gefährlich sein könnte. Hierzu muss noch betont werden, dass polnische Filme über keinerlei Steuererleichterungen verfügen (anders als in den USA), einer Mehrwertsteuer von 23 Prozent unterliegen (anders als in den USA) und dass allein das Budget für Avatar so hoch war wie neun Jahre aller öffentlichen Subventionen für polnische Filmproduktionen zusammen.

Vor ein paar Tagen trat eine Gruppe europäischer Filmemacher – Costa-Gavras, Mungiu und Jabłoński, unter anderen – in Straßburg mit dem Präsident der Europäischen Kommission, Jose Manuel Barroso, zusammen. Alles wird sich am Freitag den 14. Juni entscheiden, wenn die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten das Verhandlungsmandat der Kommission festsetzen.

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