Nachrichten Kroatiens EU-Beitritt (3/6)
Der Markt von Rijeka, Juni 2013. Foto aus der Serie „Der Beitritt, die große Illusion” von Eloisa d'Orsi für Presseurop.

„Wir werden zu einem Mini-China”

Was wird der EU-Beitritt den Kroaten bringen? Um herauszufinden, wie die Menschen über den Beitritt ihres Landes in die Europäische Union denken, hat Novi List einige Bewohner der Stadt Rijeka befragt. Hier eine Auswahl ihrer Antworten.

Veröffentlicht am 26 Juni 2013 um 11:33
Eloisa d'Orsi/Presseurop  | Der Markt von Rijeka, Juni 2013. Foto aus der Serie „Der Beitritt, die große Illusion” von Eloisa d'Orsi für Presseurop.

Was wird der EU-Beitritt dem einfachen Bürger bringen? Niemand weiß es wirklich. Es sind nur noch ein paar Tage bis zum Beitritt und wir fragen uns, was sich wirklich ändern wird. Wie wird er sich auf unseren Alltag, auf die Lebenshaltungskosten, den Arbeitsmarkt, das Reisen usw... auswirken? Keiner hat eine genaue Vorstellung.

Sieht man sich die anderen Beitrittsländer an, kann man sagen, dass jedes seine eigenen Erfahrungen gemacht hat. Deshalb kann man nur Vermutungen anstellen, was die Union dem kroatischen Bürger bringen wird. Es wird weder alles gut noch alles schlecht sein. Nur eins ist sicher: Es wird nicht einfach sein.

Und auch wenn die Politiker versprechen, dass es ab dem 1. Juli Gold vom Himmel regnet, wollten wir wissen, wie denn die Menschen denken und haben die Bewohner von Rijeka befragt, was sie vom EU-Beitritt Kroatiens halten — und welchen Einfluss er ihrer Meinung nach auf ihr Leben haben wird.

Für Zdravko-Ćiro Kovačić, Rentner und Wasserball-Legende, „werden die ersten zwei Jahre schlimmer sein als jetzt. Doch ein EU-Beitritt war unumgänglich. Es wäre absurd für ein so kleines Land wie Kroatien, nicht in der EU zu sein. Mit anderen Worten: Uns erwartet harte Arbeit. Wir sind noch weit entfernt vom Standard-Modell des EU-Bürgers, vor allem wenn man auf den Arbeitsmarkt schaut“, erklärt er. „Die Kroaten werden sich den Gewohnheiten des europäischen Markts mit seiner Rekordarbeitslosigkeit, vor allem bei den jungen Leuten, anpassen müssen.“

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Jammern hilft nicht!

Jammern hilft nicht weiter, meint auch die Verkäuferin Mirjana Šafar: „Ich denke, dass es besser wird. Ich bin ja auch von Natur aus optimistisch. Ich hoffe, dass es die jungen Leute leichter haben werden, dass sie studieren, arbeiten können... Natürlich wird auch das Reisen einfacher werden. Es wird keinen Grenzkontrollen mehr geben, wenn man nach Triest fährt. Was die regionalen Produkte anbetrifft, merke ich, dass die Menschen befürchten, auf ihnen sitzen zu bleiben. Doch denke ich, dass man sich nicht weiter sorgen sollte. Die anderen Länder verkaufen ja auch noch ihren Käse und ihre Sahne.“

Für Hasna Jukić, die einen Laden auf dem Stadtplatz von Rijeka führt, ist der Beitritt hingegen mit Vorsicht zu genießen. Sie sagt, dass die Preissteigerungen sich bereits jetzt, noch vor dem Beitritt, bemerkbar machen: „Ganz ehrlich, ich denke, es wird noch schlimmer werden. Wer das Gegenteil behauptet, will uns Märchen auftischen. Bei mir wohnen zwei Studenten im Haus, die bald gezwungen sein werden, von der Uni zu gehen, um zu arbeiten. Ich fürchte, dass sie keine finden werden. Es ist heute dermaßen hart, einen Job zu finden“, erzählt sie. Und über die Öffnung der Grenzen spricht sie in sehr deutlicher Art und Weise: „Hätte ich Geld, würde ich nach Triest zum Shoppen fahren. Aber da hier eh keiner welches hat, ist es mir egal.“

Die Tourismusbranche jedoch hofft, dass mit dem Verschwinden der Grenzen und der einfachen Tatsache, dass Kroatien EU-Mitglied ist, das Land noch mehr Touristen anziehen wird, wie uns auch der Restaurant- und Hotelbesitzer Nenand Kukurin bestätigt: „Erstens wird es keine Grenzen mehr geben, und zweitens wird es für uns einfacher sein, Waren zu kaufen, die auf dem heimischen Markt schwer zu finden sind. Für die Hotelbrache ist das eine positive Entwicklung. Darüber hinaus werden die Preise von bestimmten Produkten wie beispielsweise Champagner, Wein, Parmesan oder Olivenöl, sinken. Ansonsten bin ich nicht so optimistisch. Aber für meine Branche ist der EU-Beitritt eine positive Sache.“

Wer Arbeit hat, muss keine Angst haben

Auch der Fischer Ante Bočina sieht den EU-Beitritt als eine positive Veränderung für seine Branche: „Ich denke für jene, die einen Job haben, wird sich die Lage verbessern. Die anderen aber müssen aufpassen. Wer einen Job hat, braucht keine Angst zu haben. Konkurrenz belebt das Geschäft.“ Für ihn bedeutet die Öffnung der Grenzen mehr Absatzmöglichkeiten für die Fischer, die ihren Fang beispielsweise nach Italien verkaufen können.

Im Handwerk ist man da skeptischer. „Eine offene Panik ist zu spüren“, meint der Schuster Dinče Jovanovski. „Die EU überrollt uns wie ein Tsunami. Leider erwartet niemand irgendetwas Positives. Alle haben Angst. Die Kaufkraft ist dramatisch gesunken und wir erkennen nicht, was uns Europa Positives bringt. Ich für meinen Teil erwarte nichts Gutes. Die Europäische Union hat mehr zu gewinnen als wir. Seit langen sagt man schon, dass wir überbezahlt werden. Die EU nimmt uns nicht auf, damit sich unsere Lage bessert, sondern um aus uns eine Art europäisches China zu machen. Wir werden zu einem Mini-China, wo nur gearbeitet wird. Eine Ausbildung oder einen ordentlichen Lohn zu bekommen, ist ja sowieso schon zu viel verlangt?

Die Geister scheiden sich ganz offensichtlich. Wer hat Recht? Wer hat Unrecht? Bald werden wir es wissen.

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