In Kroatien läuft die Zeit mit dem nahenden Beitritt zur Europäischen Union immer schneller. Wie ein Soldat im Einsatz zählt Kroatien die Tage, bis es zum vollwertigen Mitglied der EU wird. Mit jedem Tag wächst die Ungeduld. Sicher, der Abend des 30. Juni wird mit einer gewissen Befürchtung erwartet, doch das Fest wird einzigartig, denn wir erhoffen uns den EU-Beitritt schon so lange.
Im fieberhaften Kontext des Countdowns darf man nicht vergessen, dass wir seit zehn Jahren auf diesen Moment warten, nämlich seit Februar 2003, als Ministerpräsident Ivica Racan in Athen den offiziellen Beitrittsantrag stellte.
Wer jedoch findet, an diesem Datum habe nicht wirklich alles angefangen, der hätte natürlich recht. Andere Ereignisse fanden vorher statt – der Gipfel in Zagreb und auch das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen.
Die Brüsseler Faktoren
Manche möchten meinen, dass sich in zehn Jahren nur wenig geändert hat. Alle Tage wirkten ähnlich. Unsere Spitzenpolitiker fuhren zu Konferenzen nach Brüssel und die führenden Politiker aus Brüssel kamen zu Konferenzen zu uns. Sie debattierten die ganze Zeit. Manchmal trafen sie auf ernste Probleme, deren Lösung Zeit erforderte und den Verhandlungsprozess verlangsamte, manchmal gab es sogar eine Pause in den Diskussionen. Sehr oft wurden uns Hausaufgaben aufgetragen, die wir mehr oder weniger erfolgreich bewältigten. Nun hat Brüssel befunden, dass wir alle Bedingungen erfüllt haben und demzufolge der Union beitreten können.
Erfüllt haben wir die auferlegten Bedingungen wie ein Schüler: Die EU gab uns eine Aufgabe (wir sollten eine bestimmte Regelung einführen oder einen Aktionsplan umsetzen). Wir taten es. Man gab uns eine gute Note und so ging es weiter. Viele Leute sahen diese zehn Jahre, von denen sechs Jahre lang verhandelt wurde, wie einen langen Fluss, der zu langsam floss, ohne seinen Lauf zu ändern. Doch nun, kurz vor dem Beitritt, ist nichts mehr dasselbe.
Die Gesellschaft ist reifer geworden, vieles hat sich verbessert, die Anzahl von Rechtsfällen, die auf ein Urteil warten, hat abgenommen. Die Macht ist transparenter als zu Beginn der 2000er Jahre, die Sicherheitskontrollen von Lebensmitteln sind effizienter, wir haben sogar gelernt, in Geldangelegenheiten mehr Verantwortung zu zeigen... Doch auch nach dem 1. Juli müssen diese Bemühungen fortgesetzt und die Dinge weiter ausgefeilt werden.
Stärkung der Demokratie
Eine der wichtigsten Errungenschaften im Lauf des Beitrittsprozesses war zweifellos die verstärkte Rolle der Bürger. Das wäre uns wahrscheinlich auch ohne die EU gelungen, doch die Verhandlungen haben diese Entwicklung beschleunigt. Heute begnügen sich die Kroaten nicht mehr damit, nur durch Wahlen am politischen Leben teilzunehmen, sondern sie kämpfen im Rahmen von Verbänden und Bürgerinitiativen für ihre Rechte und verstärken somit die direkte Demokratie.
Das ausdrucksstärkste Beispiel, das von der Entwicklung der kroatischen Gesellschaft zeugt, ist die letzte Zagreb Pride am 15. Juni. Die erste Pride-Parade in Zagreb fand 2002 statt, acht Monate bevor Ivica Racan (damals Ministerpräsident) unseren Beitrittsantrag in Athen offiziell machte. Es waren damals wahrscheinlich mehr Heteros gekommen, um die Rechte der Homosexuellen zu verteidigen, als Homosexuelle selbst.
Es gab nur wenige Teilnehmer und sie waren weit weniger zahlreich als die Gegner, die ihrer Feindseligkeit hemmungslos brutalen Lauf ließen – durch einen Angriff auf den Umzug. Elf Jahre später ist die Zagreb Pride eine gewöhnliche politische Demonstration geworden. Das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe könnte bis Ende des Jahres gesetzlich geregelt werden. Das war 2002 unvorstellbar.
Beitritt war kein einfaches Ziel
Für Kroatien war die Europäische Union kein einfaches Ziel, aber es gelang dem Land, dieses zu erreichen. Die EU drängte Kroatien ohne Unterlass zum Wandel – einem Wandel, den Zagreb akzeptierte, denn das war der Preis für unseren Beitritt. Während dieses langen Tanzes mit der Europäischen Union haben sich viele Dinge geändert. Die Europäische Union wird nicht mehr als ein Eldorado wahrgenommen, was eindeutig durch die Krise bedingt ist. Die Kroaten idealisieren die EU nicht mehr, sie wird nicht mehr mit einem gut gestimmten Musikinstrument gleichgestellt, das ohne Misstöne funktioniert.
Heute hat sich die Europäische Union in eine Ansammlung von Paragraphen verwandelt, die sich mehr mit Details wie Aflatoxinen (krebserregende Pilze in manchen Lebensmitteln) beschäftigen als mit großen Idealen.
Der Tanz mit der EU endet am 1. Juli mit einem für diesen Anlass zusammengestellten Programm auf dem Hauptplatz von Zagreb. Auch in der Galerie Klovicevi Dvori wird eine Feier organisiert, nur ein paar Meter von den dort ausgestellten Picasso-Gemälden entfert. Kroatien hat einen Zyklus beendet und beginnt einen neuen, ganz anderen.(PLM)