Genug geschwiegen!

Bisher schweigt sich der spanische Ministerpräsident über die Schwarzgeldaffäre seiner Partei aus. Doch nun reicht es mit der Aufschiebetaktik. Mariano Rajoy muss sich vor dem Parlament rechtfertigen, genau wie es in anderen europäischen Ländern Sitte ist, fordert El País.

Veröffentlicht am 16 Juli 2013 um 15:02

Mariano Rajoy hat es gestern, [ am 15. Juli] abgelehnt, den von der Opposition 24 Stunden zuvor ausgesprochenen Rücktrittsforderungen Folge zu leisten. Aber er tat es nicht vor dem Parlament oder im Rahmen einer detaillierten Erklärung der Affäre Bárcenas, sondern anlässlich einer Pressekonferenz mit dem polnischen Ministerpräsidenten und stützte sich dabei auf eine bereits verfasste Mitteilung. Dabei weiß der Regierungschef genau, dass er gestern nichts klargestellt hat und dass deshalb weiterhin die dringende Notwendigkeit besteht, sich vor dem Parlament zu rechtfertigen.

Am selben Tag änderte auch der ehemalige Schatzmeister der konservativen Volkspartei PP Luis Bárcenas seine Strategie vor dem Untersuchungsrichter [Juan] Ruz. Bárcenas leugnet nun nicht mehr, Autor der von dieser Zeitung am 31. Januar veröffentlichten Unterlagen zu sein, sondern bekannte sich ausdrücklich dazu und erklärte sogar, sie würden das Prämien- und Schwarzgeldsystem der Parteizentrale abbilden. Er schloss [den ehemaligen Ministerpräsidenten Spaniens] José María Aznar von den Empfängern aus, belastete hingegen [den aktuellen Ministerpräsidenten] Mariano Rajoy und [die Generalsekretärin der PP] María Dolores de Cospedal, denen er bestimmte Beträge ausbezahlt haben will, obwohl er die entsprechenden Belege nicht aufbewahrt hat.

Vorwürfe auch gegen die PP-Generalsekretärin

Zudem legte er ein Dokument aus dem Jahr 2007 über die Übergabe von 200.000 Euro an den damaligen PP-Geschäftsführer in Toledo vor, angeblich für einen Reinigungsvertrag, als María Dolores de Cospedal den Vorsitz der PP in der Region Kastilien-La Mancha führte. Die heutige PP-Generalsekretärin wies diese Anschuldigung entschieden zurück und bezeichnete die Behauptungen Bárcenas als eine Sammlung von „Verleumdungen und Lügen“.

Die Justiz muss weiter ermitteln. Aber die Spanier wollen endlich alles wissen. Seit der Aussage Bárcenas vor dem Untersuchungsrichtermehren sich die unbeantworteten Fragen. Wie tief ist der frühere Schatzmeister der PP in die Sache verstrickt? Ist der Verdacht bezüglich der Schwarzgeldkasse der PP berechtigt? Das Argument, es hätte keinen Handel mit Bárcenas gegeben, weil er sich in Untersuchungshaft befindet, ist nicht nur dumm, sondern auch gefährlich, weil es andeutet, die Exekutive könne entscheiden, wen sie ins Gefängnis steckt und wen nicht.

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Hinauszögern geht nicht mehr

Rajoy verwies auf die Bedeutung der politischen Stabilität und gab zu verstehen, dass sie die von seiner Regierung auf den Weg gebrachten Reformen gewährleistet. Diese Antwort sollte die Debatte wieder auf das bekannte Terrain der Diskussionen zwischen Regierung und Opposition verlegen, aber sie fand nicht im Parlament statt, jenem Sitz der Souveränität, wo sich Mehrheit und Minderheit treffen. Rajoy tut gut daran, nicht in der Öffentlichkeit mit dem ehemaligen PP-Schatzmeister und dessen Umfeld zu sprechen. Damit jedoch auch die Spanier dieses Vorgehen für akzeptabel halten, muss er sich parlamentarischen Verfahren beugen, die mit denen in unseren Nachbarländern vergleichbar sind.

Die gestrige Pressekonferenz hat das Problem nicht gelöst. Rajoy hat damit nur erreicht, dass die Opposition sich vorübergehend nicht auf eine Strategie einigen kann. Der Regierungschef versucht, Widerstand zu leisten, die Lösung der Probleme hinauszuzögern und so sein politisches Leben um einige Wochen oder Monate zu verlängern. Das ist sicher nicht die richtige Methode, um die ernsten Zweifel der Bürger zu zerstreuen.

Gegenmeinung

Eine „Erpressung”, die das krisengebeutelte Land bedroht

„Rajoy hält der Erpressung von Bárcenas und dessen Komplizen stand”, titelt ABC. Die konservative Tageszeitung prangert eine orchestrierte Kampagne an, die mit Hilfe einiger Zeitungen - darunter die (ebenfalls konservative) El Mundo - darauf abziele, den Ministerpräsidenten zu stürzen.

ABC erinnert daran, dass der Direktor von El Mundo, Pedro J. Ramírez, Luis Bárcenas nicht nur getroffen, sondern diesem auch noch einen Anwalt vermittelt hat.

Doch über diese Polemik hinaus, meint ABC-Kommentator Ignacio Camacho:

Das Problem für die Nation ist, dass Rajoy regelrecht belagert wird, was die institutionelle Stabilität in einem kritischen Moment gefährdet. Regieren ist unter den gegebenen Umständen unmöglich. Fällt die Regierung, wird es zu einem Erdbeben mit geopolitischen Auswirkungen kommen. Während die EU aufgrund ihrer strukturellen Schwächen ausblutet, ist Spanien das einzige Land im Süden der Union, dessen Regierung über eine absolute Mehrheit verfügt. Die Folgen, sollte das Beben die gesamte Exekutive zu Fall bringen, wären vermutlich eine Katastrophe.

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