Polarlicht über Nuorgam an der norwegisch-finnischen Grenze

Lappland, die attraktive Grenzregion

Das Dorf Nuorgam ist der nördlichste Grenzposten der EU, der Übergang für finnische und norwegische Grenzgängern zwischen den beiden Ländern. Doch der Rest Finnlands hat die Region mitten in Lappland ein bisschen vergessen.

Veröffentlicht am 6 August 2013 um 11:26
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Jeden Tag verlässt Jocke Pikkarainen das finnische Dorf Nuorgam und fährt 25 km nach Norden zu seinem Arbeitsplatz in Tana Bru [in Norwegen]. Dort zieht er seinen roten Kittel an und begrüßt die Patienten der Notaufnahme der Gemeinde. Jocke Pikkarainen stammt aus [dem südfinnischen] Kimito und hat in Turku studiert.

Dort war er Krankenwagenfahrer, bis er letztes Jahr im August zusammen mit seiner Lebensgefährtin beschloss, so weit wie möglich wegzuziehen, ohne ganz auszuwandern, und auf der Nordseite des Grenzflusses Tana in Norwegen zu arbeiten. Beide sind im medizinischen Zentrum angestellt, seine Partnerin ist derzeit allerdings im Mutterschaftsurlaub.

„Wir sind hierher gezogen, weil es zum einen eine Art Abenteuer war und weil das Bruttogehalt zum anderen rund doppelt so hoch ist wie das, was wir in Finnland für dieselbe Arbeit bekämen“, gibt er zu. Jocke Pikkarainen unterhält sich mit den Patienten und manchen seiner Kollegen in einem rudimentären Norwegisch, doch mit der Abteilungsleiterin Anu Saari auf Finnisch.

Fünf Finnen arbeiten allein in dieser Abteilung. Das medizinische Zentrum in Tana Bru ist höchst international: Nur die Hälfte des Personals stammt aus Norwegen. „Wir haben Angestellte aus den Philippinen, Russland, Thailand, Kanada oder Estland“, erklärt Anu Saari.

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Hindernisse überwinden

Die Löhne im norwegischen Gesundheitssektor ziehen seit langem die finnischen Studienabgänger an und es verstreicht keine Woche, ohne dass Anu Saari Bewerbungen aus Finnland erhält. „In Norwegen wollen die jungen Leute nicht in die Medizin. Der Schichtdienst wirkt abschreckend und andere Branchen bieten weit besser bezahlte Jobs“, erklärt sie.

Die Nachfrage aus dem Ausland ist so hoch, dass die medizinischen Einrichtungen in Norwegen nur die Qual der Wahl haben. „Die Beherrschung der Sprache ist ein entscheidendes Kriterium. Die Bewerber müssen Norwegisch können oder sich zumindest gut auf Schwedisch verständigen“, so Anu Saari weiter.

Für Jocke Pikkarainen verlief die sprachliche Eingewöhnung reibungslos. Er hatte auch keine Schwierigkeiten damit, sein Studentenleben in Turku gegen den Alltag eines Familienvaters unter dem ruhigen Himmel von Nuorgam einzutauschen. Ob hier oder in Tana Bru, viel ist allerdings nicht geboten.

Das einzige Restaurant im Dorf ist meistens geschlossen. Und die sechs Monate Dunkelheit im Winter würden manch anderen abschrecken. Doch Jocke Pikkarainen scheint das nichts auszumachen. „Die Stimmung hier ist ziemlich angenehm. Die Natur ist unglaublich“, freut er sich sogar.

Der Grenzübergang zwischen Nuorgam und dem Nachbardorf Polmak [in Norwegen] ist in der Tat recht angenehm. Für einen Ort, der nicht nur der nördlichste Punkt der EU ist, sondern auch die Grenze zwischen Finnland und der NATO [zu welcher Norwegen gehört], ist die Gegend sogar eher einladend.

Finnische Touristen anziehen

An der Grenze erklärt ein Schild, dass der Zollposten zu Bürozeiten geöffnet ist und dass außerhalb der Öffnungszeiten ohne Sondergenehmigung keine Waren ein- oder ausgeführt werden dürfen.

Anne Länsman ist zuständig für Entwicklung und wirtschaftliches Leben in der Gemeinde Utsjoki-kyrkby [in Finnland]. Sie erklärt, dass der Kurs der norwegischen Krone und die [deutlich niedrigeren] Lebenshaltungskosten in Finnland das Dorf Nuorgam für die Norweger sehr rentabel machen.

„Für dasselbe Geld bekommen sie hier mehr als wenn sie ihre Einkäufe in Norwegen tätigen. Die Kaufkraft der Norweger kurbelt unsere Wirtschaftstätigkeit an.“

Sie fragt sich allerdings, ob die Unternehmen im Süden Finnlands verstanden haben, dass Utsjoki nur 200 Kilometer von der Arktis entfernt liegt. Und dass Norwegen bereits Milliarden in deren Nutzung investiert hat. „Wenn sich in der Arktis etwas zu bewegen anfängt, dann wird Utsjoki in greifbarer Nähe liegen, aber auf der finnischen Seite. Damit Finnland aus dieser Nähe zur Arktis einen Gewinn schlagen kann, möchte ich die Unternehmen dazu auffordern, hier zu investieren“, erklärt sie.

Denn die Region kann nicht ewig von der Kaufkraft der Norweger abhängig bleiben. Nordlappland muss auch auf den finnischen Tourismus setzen, meint Aslat-Jon Länsman. Der 26-Jährige ist er zugleich Rentierzüchter, Leiter des Familienbetriebs – der lokale Delikatessen wie etwa getrocknetes Rentierherz produziert –, Geschäftsführer eines Cafés im Sommer und Veranstalter von „Abenteuerreisen“ mit Lachsfischen, Erkundung der lappländischen Kultur, Tiefseetauchen im arktischen Ozean, Sportdrachenfliegen und Skifahren.

„Es ist unmöglich, die Urlauber im Winter hierher zu bringen“, gibt er zu. Aslat-Jon Länsman ist beunruhigt, weil die meisten jungen Leute zum Studieren und Arbeiten in den Süden ziehen. Denn es ist schwierig, die lappländische Kultur am Leben zu erhalten, wenn sie sich ins eigene Fleisch schneidet. „Es stimmt schon, man muss sich das erkämpfen, aber es gibt Chancen für Leute, die sich trauen“, versichert er als guter Unternehmer.

Und trauen sich die Einheimischen? „Ich kenne hier in der Gegend keinen anderen Jungunternehmer. In der Genossenschaft sind wir nur drei Rentierzüchter unter 30.“ Aslat-Jon Länsman meint, die jungen Lappen müssen auf die Rentierhaltung setzen, um das Überleben ihrer Kultur zu garantieren. „Die lappländische Kultur ist die Rentierhaltung. Da, wo der Finne für das Rentier ein oder zwei Wörter kennt, hat der Lappe 150, mit denen er das Tier in jeder Einzelheit beschreiben kann.“(PLM)

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