Ein Euro für alle, aber jedem der seine

Zuzeiten des Wohlstandes machten die Unterschiede in Steuer-, Haushalts- und Lohnsystemen zwischen den Mitgliedsstaaten die Menschen nicht unsicher. Nun sind sie jedoch der Grund dafür, dass es den gegen die Krise ankämpfenden Europäern an Zusammenarbeit und Solidarität mangelt, meint ein französischer Wirtschaftsexperte.

Veröffentlicht am 24 November 2010 um 16:05

Weltweite Handels- und Währungsungleichgewichte schüren die Spannungen zwischen den großen Wirtschaftszonen und zwischen den Ländern ein und derselben Region. Und der letzte G20-Gipfel hat die Hindernisse für eine kooperative Lösung nur noch deutlicher gemacht. Vermutlich wird die sino-amerikanische Kraftprobe mit einem Waffenstillstand enden. Schließlich benötigt Wal-Mart die Shanghaier Fabriken ebenso wie Peking die Wall Street braucht.

Gegenüber diesen riesigen Feilschaktionen ist Europa machtlos, passiv, ausgegrenzt und uneins. In der großen internationalen Währungsschlacht dient der Euro lediglich als Ausgleichsvariabel. Nach dem die griechische Krise im Süden überstanden ist, steht die Zone erneut unter Hochspannung. Diesmal ist mit Irland der Norden betroffen. Immer greifbarer wird das Risiko eines möglichen Angriffes der Finanzmärkte. Diese könnten eine der großen Wirtschaftssysteme Südeuropas, oder gar Frankreichs angreifen. Zumal die Europäische Union sich als unfähig entpuppt, eine wirkliche Politik der Zusammenarbeit durchzusetzen. An die Stelle der Hoffnung auf ein vereintes Europa ist ein mehrstimmiges Europa getreten.

Der außerhalb des Euro gebliebene britische Pol verfügt weiterhin über seine Handlungsfreiheit. Immer mehr entfernt sich das Vereinigte Königreich vom Kontinent. Das Fallen des Pfundes und die Beziehungen zum Commonwealth und zum Fernen Osten werden es ihm ermöglichen, seine Industrie anzukurbeln, oder sogar die Rolle des Flugzeugträgers für die europäischen Schwellenländer zu spielen.

Deutschland blickt wieder gen Osten

Innerhalb der Eurozone spielt der deutsche Pol nunmehr eine zentrale Rolle. Untrennbar ist er mit dem Blick nach Osten verbunden. So entdeckt unser Nachbar seine historische Einflusszone wieder. Die sowjetische Bedrohung und die Berliner Mauer hatten ihn in eher nach Westen schielen lassen. Nun wendet sich Deutschland wieder dem Osten und dem Orient zu. Es handelt sich um ein industrielles Deutschland, welches den anderen europäischen Ländern ununterbrochen Marktanteile wegschnappt. Ein Deutschland, dessen Handelsüberschüsse nur die Kehrseite der Defizite seiner Nachbarn sind. Seiner Industrie dienen die östlichen Länder als Fabrikhallen, Russland als Rohstoff- und Energielagerstätte, China und der Ferne Osten als Absatzmarkt seiner Waren und Ausrüstungen.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Seinerseits driftet Südeuropa mehr und mehr ab. Nachdem die Immobilienblase geplatzt ist, schmort Spanien im Höllenfeuer, während die Offensiven der deutschen Industrie und die Konkurrenz der Schwellenländer die italienische Industrie ordentlich in die Mangel nehmen. Bleibt noch die Schattenwirtschaft…

Die Urheber des Euro haben nicht mit einem Mangel an Zusammenarbeit gerechnet

Frankreich dagegen fehlt es an einer entschlossenen Strategie. Die Sparpolitik behindert das gute Funktionieren seines auf Konsum aufbauenden Wirtschaftsmodelles. Was seine Industrie anbelangt, hat das Hexagon gegenüber den Schwellenländern die Konsumgüter verloren. Und der Ausrüstungssektor leidet an den immer wiederkehrenden Sturmangriffen der deutschen Industrie. In diesem Kontext ist der Verlust des Eurostar-Marktes von Alstom an Siemens weit mehr als nur ein Symbol. Tatsächlich ist Frankreichs Problem nämlich vielmehr deutsch als chinesisch.

Europa ist also gespaltener als je zuvor. Während die Einheitswährung noch die Hoffnung barg, dass die Märkte irgendwo wieder zusammenlaufen, so haben sich nun die Gegensätze durchgesetzt. Jedes Land hat sich spezialisiert. Diese Entwicklung war vorherzusehen. Dafür reichte es schon aus, die Theorie der vergleichenden Vorteile anzuwenden.

Die Spezialisierung der Länder scheint in einer Währungsunion normal zu sein. Jedoch hatten die Urheber der Einheitswährung nicht mit einem solchen Mangel an Zusammenarbeit, einem solchen Opportunismus der Strategien und so zerbrechlichen Solidaritäten gerechnet. Letztendlich überwiegen seit Einführung des Euro die nationalen Interessen. Und es ist zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Ein Jahrzehnt voller Meinungsverschiedenheiten in Sachen Steuer, Haushalt, Sozial- und Lohnpolitik, sowie Industrie und Innovation haben in den Wirtschaftsmodellen eines jeden unauslöschliche Spuren hinterlassen.

Immer die gleichen Mechanismen führen zum Zusammenbruch des EWS

mmer zerbrechlicher macht die Ablehnung eines föderalistischen Modelles die Währungsunion. Die Länder Südeuropas – und Frankreich – müssen mit dem dramatischen Problem einer Überbewertung der europäischen Devise fertigwerden. Und dies nicht nur gemessen an den Schwellenländern! Mehrere Länder haben gegenüber Deutschland schwerwiegende Wettbewerbsprobleme.

Wenn man sich die Situation genauer ansieht, so fällt auf, dass viele der Mechanismen, die 1992/1993 zum Zusammenbruch des Europäischen Währungssystems (EWS) geführt haben, nun wieder greifen. Damals mussten Italien und Spanien aufgrund der Angriffe der Märkte abwerten, und das Pfund den EWS ganz verlassen. In wenigen Monaten wurden alle Währungsparitäten neu geordnet. Die Mark wurde de facto aufgewertet.

Natürlich ist der aktuelle Kontext ein anderer. Das Pfund hat seine Freiheit beibehalten und mit dem Euro ist auch die Widerstandsfähigkeit grösser. Jedoch kann keines der geschwächten Länder durch Abwertung oder einen anderen Mechanismus zügig wieder zu seinem Gleichgewicht zurückfinden und seine Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen. Gleichermaßen ist Deutschland durch nichts gezwungen, aufzuwerten. Was für das Land… eine großartige Gelegenheit ist.

Übersetzung aus dem Französischen von Julia Heinemann

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema