„Den Verhandlungstisch finden sie hinter dem letzten Kran rechts”

Höchste Zeit für neue Töne aus Europa

In Europa werden die israelischen Siedlungen oft als größtes Hindernis für die Nahost-Friedensgespräche angesehen, die am 14. August wieder aufgenommen werden sollen. Zu Unrecht, glaubt ein niederländischer Historiker. Seiner Meinung nach sollten sich die Europäer von ihrer einseitigen Sicht auf den Konflikt lösen.

Veröffentlicht am 13 August 2013 um 15:43
„Den Verhandlungstisch finden sie hinter dem letzten Kran rechts”

Ich würde gern mal eine andere Meinung über die jüdischen Siedler hören [die so häufig europäischer Kritik ausgesetzt sind]. Sie sind zugegebener Maßen extrem religiös und hängen am Gelobten Land von Judäa und Samaria, sind zudem militant, was sie meist nicht zu angenehmen Personen macht, und haben aus ideologischen Gründen große Familien.

Aber gemessen an menschlichen Kriterien vollbringen sie große Leistungen, vor allem im wirtschaftlichen Bereich, ohne auf sonderlich viel Sympathie in ihrem eigenen Land zu stoßen.Für viele Israelis sind die Siedler mit ihrem religiösen Eifer und den damit verbundenen Privilegien ein Störfaktor. Auch viele „gewöhnliche” jüdische Immigranten leben in den Ansiedlungen, denn die Wohnungen sind dort günstiger.

Siedler sind ideale Sündenböcke

In Europa werden die israelischen Ansiedlungen oft als größtes Hindernis für den Frieden im Nahen Osten angesehen. Die Siedler mit ihrem exzentrischen Verhalten sind ideale Sündenböcke. Obwohl es vor 1967 noch keine jüdischen Kolonien in den von Israel besetzten Gebieten gab, herrschte dennoch kein Frieden im Heiligen Land.

Außerdem gab es keinen palästinensischen Staat auf arabischen Boden. Angesichts des entarteten Arabischen Frühlings und des Bürgerkrieges in Syrien scheint die israelische Siedlungspolitik nicht das Hauptproblem im Nahen Osten zu sein. Je länger allerdings die israelische Besatzung des Westjordanlandes andauert, desto schwieriger werden es die Palästinenser haben, ihren eigenen Staat aufzubauen.

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Dafür sind sie allerdings selbst verantwortlich, denn sie hatten in der Vergangenheit die weitgreifenden Teilungsvorschläge abgelehnt. Ohne Unterlass forderten sie das Maximum, das heißt, die Rückkehr von Millionen von „Flüchtlingen” (ursprünglich waren höchstens 600.000 Palästinenser aus den Gebieten geflohen, die Israel von den Vereinten Nationen zugesprochenen bekam), und das Anrecht auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines zukünftigen palästinensischen Staates. Diese Forderungen entsprechen weder der historischen Realität noch den politischen Machtverhältnissen.

Erneute Kriege nach 1967

[[Warum sollte sich eigentlich Israel mit einer Rückkehr zu den Grenzen von 1967 zufrieden geben? Schon damals konnten sie den Frieden nicht sichern.]] Israel hatte 2005 mit Ariel Sharon an seiner Spitze beschlossen, den Gazastreifen samt Siedlungen zu räumen. Der jüdische Staat wurde dafür mit Raketenbeschuss durch die machthabende Hamas (die das palästinensische Lager selbst spaltet) belohnt. Aber Europa ist geblendet von dem beunruhigenden Glaubenseifer der jüdischen Siedler.

Ganz offensichtlich führen die jüdischen und christlichen Auffassungen des biblischen Israel [wie in den Niederlanden] besonders gegenüber den Muslimen zu Komplikationen. Wir weltlichen Europäer würden das gern ausblenden, aber das würde bedeuten, eine wichtige „Realität” des Heiligen Landes außer Acht zu lassen. Für einen Frieden im Nahen Osten müssen alle Seiten einbezogen werden. Erstaunlicherweise finden es viele europäische Beobachter normal, dass die heilige Stadt Mekka nur den Muslimen zugänglich ist, während für Jerusalem in Zukunft ein internationaler Teilungsplan erarbeitet werden muss.

Das wiederum dürfte zu neuen Problemen führen. Für die Stadt wäre eine israelische Verwaltung sicher das Beste. Jeder glaubt zu spüren (ohne es immer laut zu sagen), dass die jüdischen Siedlungen das größtes Hindernis im Friedensprozess darstellen. Der Frieden mit der islamischen Welt käme sozusagen über Nacht, sobald sie nur verschwunden wären.

Die Palästinenser ihrerseits wären plötzlich fähig, ihre Autonomie ohne Hamas und Selbstmordkommandos auszuüben. Die Juden (und Christen) dagegen hätten im Westjordanland nichts mehr zu suchen (das von den heutigen Europäern als muslimisches Gebiet angesehen wird), obwohl sich ihre heiligen Stätten dort befinden.

Die Augen verschließen

Dennoch zählt man auf Israel, um auf die Demarkationslinien von 1967 zurückzukehren. Als wenn es seitdem nicht ständig neue Kriege im Nahen Osten gegeben hätte. War es von Israel falsch, die damals besetzten Gebiete wirtschaftlich zu entwickeln? Hätten es die Palästinenser, deren Bevölkerung sprunghaft angestiegen ist – was wenig mit Völkermord zu tun hat — anders gemacht? [[Ist der Siedlungsbau verwerflicher als Raketenbeschuss?]]

Seit 1967 hat sich auch die Welt stark verändert. In der islamischen Welt werden Juden und Christen systematisch vertrieben. Das Phänomen hatte sich mit dem Untergang des Osmanischen Reiches verschärft und blieb das gesamte 20. Jahrhundert präsent. Aber wir modernen Ungläubigen verschließen davor lieber die Augen - im Namen des Friedens und unseres ruhigen Gewissens.

Vielleicht sind wir uns dessen auch nicht bewusst und verleugnen die Komplexität des Nahen Ostens. Es ist dennoch Zeit für „neue Töne aus Europa”. Wir müssen mehr auf die Probleme hinsichtlich der Sicherheitsfragen für Israel und besonders der gefährdeten Christen im Nahen Osten achten. Denn früher lebten dort nicht nur Muslime.(MZ)

Aus Brüssel

Siedlungspolitik gefährdet die Verhandlungen

Kurz vor der am 14. August in Jerusalem geplanten Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen zwischen Palästina und Israel hat die Europäische Union beide Seiten aufgefordert, „jede Art von Handlungen zu vermeiden, die den Gesprächen schaden könnten", berichtet Le Monde.

EU-Außenministerin Catherine Ashton reagierte damit auf die „Ankündigung der israelischen Regierung, knapp 1200 neue Wohnungen in Ost-Jerusalem und in den israelischen Siedlungen im Westjordanland auszuschreiben”, erklärt Le Figaro. Der Sprecher der EU-Chefdiplomatin Michael Mann unterstreicht, dass die Siedlungen im Westjordanland aus Sicht internationalen Rechts „illegal" wären und „eine Einigung zwischen den zwei Staaten unmöglich machen könnten".

Le Figaro sieht den Moment gekommen, „die Friedenskarte” zu spielen. Die französische Tageszeitung betont

das Risiko einer zunehmenden Isolierung [Israels], wie es die europäischen Sanktionen gegen Produkte aus Palästinensergebieten bereits zeigen.

Am 17. Juli hatte die Kommission die besetzten Gebiete aus den Abkommen zur Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Israel ausgeschlossen. Damit können die im Westjordanland gebauten israelischen Siedlungen nicht mehr von den neuen Projekten für wirtschaftliche Zusammenarbeit von der Union oder einem ihrer Mitgliedsländer profitieren.

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