Nicht alles ist ein Fall für Brüssel

Die Europäische Kommission plant ein allgemeines Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen. Diese Beharrlichkeit, mit der sie Gesetze zum Wohle der Europäer erlässt, könnte sich – im Namen der Freiheitsrechte – auch gegen sie wenden, urteilt ein tschechischer Rechtsexperte.

Veröffentlicht am 6 Dezember 2010 um 17:35

Für das kommende Jahr plant die Europäische Kommission, die europäischen Anti-Raucher-Gesetze drakonisch auszuweiten und zu verschärfen. Eine der zahlreichen Maßnahmen: Sie möchte einen einzigen unästhetischen Zigarettenpäckchen-Typ einführen, auf dem vor allem Warnhinweise und schockierende Bilder zu sehen sind. Der wichtigste Vorschlag ist aber zweifellos folgender: In ganz Europa soll das Rauchen in öffentlichen Gebäuden verboten werden, v. a. in Restaurants, Bars und den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel.

Dass sich die Geschichte in vielerlei Hinsicht wiederholt, hört man oft. Hinsichtlich dieser immer wiederkehrenden Ereignisse spielen die dogmatischen Ideologen, von denen regelmäßig immer neue Exemplare auftauchen, eine wichtige Rolle. Ununterbrochen und eigensinnig versuchen sie, die Staatsmacht zu benutzen, um ihre Artgenossen umzuerziehen, indem sie ihnen ihre eigenen Vorstellungen von dem, was „gut“ und „fortschrittlich“ ist aufzwingen.

Paternalistischer Staat, ängstliche Bürger

Unter diesen Fortschrittlichen findet man insbesondere die Rauch-Gegner. In den letzten Jahren haben sie es geschafft, die Anti-Tabak-Gesetze im Großteil der westlichen Länder maßgeblich zu verschärfen. Heute profitieren sie von einem fast überall verbreiteten Phänomen der westlichen Welt: Der Staat wird immer paternalistischer und die Menschen stehen jedem minimalen Risiko immer feindlicher gegenüber. Beide Entwicklungen verstärken sich gegenseitig. Die eine regt die andere an.

Der Staat ist dabei, so etwas wie eine Ziehmutter zu werden. Sein ganzes Leben dient dem Schutz und der Sicherheit der Bürger bei all ihrem Tun. Die Menschen vertrauen nicht mehr nur sich selbst. Sie denken, dass ein anderer für ihre Fehlentscheidungen zahlen muss. Wen kann es da verwundern, dass für diejenigen, die die Menschen für erziehens-, schützens- und leitensbedürftige Kinder halten, Tabak und Alkohol Fremdkörper sind, von denen man sich um jeden Preis befreien muss.

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Sinnvolle Regelungen, beispielsweise das Verkaufsverbot an Minderjährige, oder Werbevorschriften, bzw. höhere Besteuerungen, reichen ihnen nicht mehr. In Zukunft machen die selbsternannten Retter auch nicht mehr davor Halt, sich in intime Privatangelegenheiten einzumischen, wie beispielsweise die Beziehungen zwischen einem Restaurantbesitzer und seinen Kunden. Sie wollen die wirtschaftlichen Gedankengänge der Unternehmer ersetzen und ihnen ihre Freiheit nehmen, ihre Wirtschaftsaktivitäten so zu organisieren, wie sie es für richtig halten.

Was die EU mit Tabak zu tun hat

Zumindest eigenartig muss es einem erscheinen, dass die Tabak-Regelung in den Verantwortungsbereich der EU fällt. Und dennoch ist das der Fall. Tabak-Produkte sind Waren. In Übereinstimmung mit dem Prinzip des freien Warenverkehrs ist das Binnenmarktrecht für ihre Regelungen anwendbar (insbesondere Artikel 114 des AEUV, Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union).

Mit verschiedenen Richtlinien konnten die Regeln zur Zusammensetzung und Etikettierung von Tabakprodukten, sowie zur Werbung in Presse und Radio, oder aber Sponsoring aus der Tabakindustrie aufeinander abgestimmt werden. Im Bereich der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit haben andere Richtlinien Tabak-Werbung in audiovisuellen Medien ganz verboten. Im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik konnten wieder andere Regelungen zur Tabak-Kultur und europäischen Subventionen eingeführt werden.

Es gibt durchaus überzeugende Argumente für eine europäische Regelung. Ganz besonders im Sinne der Angleichung der Regeln, aus was Zigaretten zusammengesetzt sein dürfen, oder der indirekten Steuern, zu denen sie verpflichtet sind. Diese können vom Standpunkt des freien Warenverkehrs aus in der Tat notwendig sein. Andere Regelungen – wie die der Werbung und des Sponsoring, oder des Rauchens am Arbeitsplatz – sind schon strittiger. Schließlich ist die Verbindung zum Binnenmarkt nur sehr schwach.

Die Zigarette als Symbol des Widerstands

Und auch wenn sie in diesem Fall noch verständlich erscheinen mag, so finde ich es absolut nicht gerechtfertigt, dass Brüssel einschreitet, wenn es sich um Rauchverbote in Restaurants, an Haltestellen für öffentliche Verkehrsmittel oder anderen „öffentlichen Einrichtungen“ handelt. Selbst in den Vereinigten Staaten werden diese Angelegenheiten von den einzelnen Staaten geregelt.

In ihrem Grünbuch mit dem Titel „Für ein rauchfreies Europa: Strategieoptionen auf EU-Ebene“ von 2007 rechtfertigte die Europäische Kommission, warum diese Frage in den Zuständigkeitsbereich der EU fällt. Jedoch gab sie sich damit zufrieden, zu erklären, dass einheitliche Regelungen „einen in allen EU-Mitgliedsstaaten vergleichbaren, transparenten und rechtskräftigen grundlegenden Schutz gegen die Risiken der Belastung durch Tabakrauch in der Umgebungsluft schaffen würden.“

Die Erfahrung hat gezeigt, dass Social Engineering Projekte, die gegen die freie Natur des Menschen arbeiten, oft sehr verschiedenen Reaktionen auslösen, als die, die man sich erhofft hatte: Im Allgemeinen scheiterten sie jämmerlich. Diese möglichen repressiven und überstrengen Maßnahmen, welche die EU gegen die Raucher (d. h. ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung) ergreifen könnte, haben in meinen Augen genau diese Zukunft vor sich. Letzten Endes könnte der Tabak zum Widerstandssymbol werden. Und dies nicht nur für die Raucher. Ein Widerstand gegen die aufdringliche und paternalistische öffentliche Hand und den unstillbaren Regelungs-Durst der EU, der für immer mehr EU-Bürger unverhohlen ins Maßlose wächst. (jh)

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