Ohne Troika sind wir verloren

Vertreter des Internationalen Währungsfonds, der EU-Kommission und der EZB halten sich derzeit in Lissabon auf, um die Fortschritte bei der Umsetzung des 2011 beschlossenen Rettungsplans zu beurteilen. Umso besser, meint eine portugiesische Kommentatorin.

Veröffentlicht am 1 Oktober 2013 um 12:24

Zugegeben: Ich fürchte den Tag, an dem die Troika nicht mehr nach Lissabon kommt, um unsere Bilanzen zu prüfen, uns an unsere Verpflichtungen zu erinnern und uns danach einen Scheck zu unterschreiben. Eine Angst, die mich jedes Mal ein wenig mehr packt, wenn ich lese, was die Kandidaten der Kommunalwahlen [vom 29. September] auf ihren Plakaten versprechen: kostenlose Schulbücher, kostenlose Medikamente, kostenlose Altenpflege, kostenlose Impfungen und so weiter. Ein regelrechtes Delirium: Alles gratis und zwar sofort. Bisheriger Höhepunkt: Gegen die steigende Kriminalität verspricht man in einer Stadt des Nordens [Vila Nova de Gaia] die Schaffung einer Nahkampfschule — kostenlos, versteht sich. Und im Süden irgendwelche ebenso scheinheilige Programme gegen Arbeitslosigkeit.

Wohl wissend, dass die lokalen Behörden weder auf eine Kostenexplosion noch auf ihre komplexe Bürokratie verzichten werden, kann dies nur zweierlei zur Folge haben. Entweder werden diese Programme nicht konkret umgesetzt, oder aber sie führen zu weiteren Neueinstellungen in der Kommunen und den kommunalen Einrichtungen — zu eben jener Praxis, die bereits 2011 unter anderem dazu führte, dass man nicht mehr umhin konnte, die Troika zu Hilfe zu rufen.

Alles gratis und zwar sofort!

Meine Befürchtungen wachsen noch mehr, wenn ich [den Generalsekretär der Sozialistischen Partei] António José Seguro sagen höre, dass er keine weiteren Kürzungen hinnehmen werde, ohne zu erklären, wie das denn gelingen sollte, ohne die Steuern noch weiter zu erhöhen. Oder wenn ich die Ungeduld sehe, mit der die Sozialdemokraten und die Demokratische Partei darauf warten, sich von der Tyrannei der externen Kontrollen zu befreien, damit sie so schnell wie möglich neue Versprechen machen können: Alles gratis, und zwar sofort.

Ich bin im Portugal der Sechzigerjahre geboren. Für mich ist es also das dritte Mal, dass ich sehe, wie mein Land von der Hilfe Dritter abhängig ist. Deshalb sollte meine Generation, denke ich, auch den Geldgebern dankbar sein, die 1977, 1983 und 2011 bereit waren, bei uns zu investieren. Welche halbwegs vernünftige Person hätte mit seiner Familie in Portugal bleiben wollen, hätte es diese Hilfen nicht gegeben? Sicher, wir zahlen Zinsen. Doch weniger, als wären wir nicht unter diesem Protektorat gewesen, das [dem stellvertretenden Ministerpräsidenten] „zuwider“ ist. Man stelle sich vor, unsere Politiker müssten durch die Weltgeschichte reisen, um jemanden zu finden, der bereit ist, uns noch mehr Geld zu leihen.

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Die nächsten Versager werden kommen

[[Ich fürchte den Tag, an dem Portugal in der Tat aufhört, unter Kuratel zu stehen und an dem unsere Politiker wieder anfangen werden, die Verben „geben“ und „investieren“ zu missbrauchen]] (wenn sie doch so viel investieren wollen, warum machen sie es dann nicht aus eigener Tasche und gründen ein Unternehmen?) und wieder jenem großen Täuschungsmanöver frönen, das sie „den positiven Diskurs für unser Land“ nennen. Manche Dinge — wiederholen sie sich ständig — werden am Ende grotesk.

Denn eines ist mehr als sicher: Bald wird wieder jemand in Erscheinung treten, der — wie schon 2009 — die Flucht nach vorn antreten und uns das [wie Ex-Ministerpäsident José Sócrates] als „Volontarismus“ und „Innovation“ verkaufen wird. Wir können uns auch darauf verlassen, dass die Korporationen und Unternehmer ihre Privilegien weiter verteidigen werden, während sie gleichzeitig behaupten, dass das Land keine Sparpolitik mehr erdulden kann, vor allem wenn diese von außen verordnet wird — eine Sparpolitik, die zwar nicht den Gläubigern anzukreiden ist, sondern dem Ruin, in den uns die Korporationen und der ihnen hörige Staat geführt haben, indem sie, zumindest auf dem Papier, Ansprüche und Garantien durchsetzten, welche die Möglichkeiten der Staatskasse übersteigen.

„Unbeschreibliche Dreistigkeit”

Und zu guter Letzt werden unsere Versager große Reden schwingen über die große Politik der Vergangenheit, über jene gesegnete Zeit, als es noch eine politische Führung gab... die uns in ihrer Größe, Weisheit und mit ihren noblen Prinzipien innerhalb von 35 Jahren gleich drei Mal in die Mittellosigkeit geführt hat. Wie eh und je sieht man mit einer unbeschreiblichen Dreistigkeit darüber hinweg, wo das Geld herkommt und sucht die Schuld beim Gläubiger anstatt bei sich selbst.

Nach drei externen Interventionen, bin ich nicht nur davon überzeugt, dass die „Troika“ wiederkommen wird, sondern dass sie ein Land vorfinden wird, dessen Lage schlimmer geworden ist. In der Tat: [[Jedes Mal, wenn wir unter Kuratel stehen, wiederholen wir die Fehler, die uns zu Bettlern gemacht haben]], anstatt unsere Misswirtschaft grundsätzlich zu hinterfragen.

Deshalb bin ich überzeugt — sollte ich solange leben, wie die Statistiken es vermuten lassen — dass ich zweifelsohne noch weitere „Troikas“ in Lissabon landen sehen werde. Und die Zeit, die zwischen zwei Interventionen verstreicht, wird wie immer eine Zeit der Demagogie.

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