„Mehr Europa”: ein Slogan auf der Demonstration vom 3. November in Chişinău.

Europa ist die Lösung

Kurz vor dem Gipfel in Vilnius, auf dem die Republik Moldau ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen soll, machen sich Proeuropäer und Prorussen zum Kampf bereit. Einzig die Perspektive eines EU-Beitritts könnte die Situation entspannen, meint ein rumänischer Journalist.

Veröffentlicht am 6 November 2013 um 16:58
„Mehr Europa”: ein Slogan auf der Demonstration vom 3. November in Chişinău.

Die Demonstration vom 3. November in Chişinău war ein Erfolg, wie ihn die rumänischsprachigen Moldawier seit langem nicht gekannt haben. Und das trotz der russischen [Gegenoffensive] (4172191) in den ehemaligen Ostblockländern, bei der die Kriegserklärungen von damals mit Drohungen von heute, wie „Der Winter wird sehr hart“ [Zitat Dmitri Rogosin, Stellvertretender Ministerpräsident der russischen Föderation bei seinem Besuch in der moldawischen Hauptstadt], ersetzt wurden.

Auch wenn es das erklärte Ziel der Veranstaltung war, den Bürgern und den europäischen Politikern die Bedeutung der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Republik Moldau beim Gipfel in Vilnius am kommenden 28./29. November vor Augen zu führen, so wurde vor allem deutlich gemacht, meine ich, dass es die amtierende Regierung erkannt hat, wie wichtig es ist, der Welt zu zeigen, dass man das Volk hinter sich hat. Besser noch: Die Regierung hat erkannt, dass sie das Volk braucht.

Die EU bleibt abstrakt

Selbst als die pro-europäischen Parteien nach der Twitter-Revolution vom April 2009 die Zügel wieder in die Hand genommen hatten, stand das Land noch unter dem Einfluss der Kommunisten [Veto im Parlament, Demonstrationen auf den Straßen und so weiter]. Die Pro-Europäer hatten es nicht geschafft, die Wähler vom Land zu erreichen, die ihre Informationen nur aus dem öffentlichen Funk und Fersehen bekommmen. Unterstützt wurden sie nur von den jungen und urbanen Wählern, von denen die meisten ausgewandert sind [rund eine der insgesamt vier Millionen Moldawier leben im Ausland]. Auch in der Wirtschaftspolitik war man nicht sonderlich erfolgreich, was den Kommunisten Gelegenheit gab, die Nostalgie für eben jene Zeiten zu schüren, als Moldawien noch im Schatten Russlands lebte. Für die Moldawier, die im Land geblieben sind, ist die Europäische Union eine Abstraktion. Die russischen „Unwetterwarnungen“ sind für sie aber so konkret, dass ihnen das Blut in den Adern gerinnt.

Doch paradoxerweise könnte die pro-europäische Initiative der rumänischsprachigen Moldawier missverstanden werden, denn manche der Slogans forderten eine Vereinigung mit Rumänien. Es ist verständlich, dass sich die meisten Moldawier wünschen, die von den Kommunisten aufgezwungene Staatslüge über die moldawische — und nicht rumänische — Identität möge aus der Welt geschafft werden. Das heißt aber noch lange nicht, dass daraus automatisch eine [Vereinigung mit Rumänien] (4254201) herrühren muss. Die rumänischsprachigen Menschen der Republik Moldau sollten sich eher für die europäische Integration einsetzen als für eine Vereinigung mit Rumänien, denn Letzteres bringt sowohl die Europäische Union als auch Rumänien in eine knifflige Situation.

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Ein Volk kann man nicht besiegen

Auf EU- und NATO-Ebene gibt es Verträge, welche den Fluß Pruth als Grenze anerkennen. Weder die EU noch die NATO würden die Idee einer Union der rumänischsprachigen Staaten auf beiden Seiten des Pruths mit Wohlwollen betrachten. Es wäre ein Bruch der bestehenden Verträge und würde einen gefährlichen Präzedenzfall für die Stabilität der Region darstellen. Heute mit der Flagge der Vereinigung zu winken, würde die pragmatische Politik von EU und Rumänien zugunsten der Republik Moldau gefährden (Öffnung des europäischen Markts für moldawische Weine, Eröffnung der Erdgaspipeline zwischen Rumänien und der Republik Moldau, Anerkennung der rumänischen Staatsbürgerschaft für Moldawier, die von den Kommunisten zu Unrecht ihrer Staatsbürgerschaft beraubt wurden, und so weiter).

[[Der einzige Weg, wie sich die beiden rumänischsprachigen Gebiete in einer gemeinsamen politischen Einheit wiederfinden können, ist die Integration der Republik Moldau in die Europäische Union]]. Derzeit sollte man also lieber nicht mit der Tür ins Haus fallen. Niemand weiß aber, wie die Lage in 15 oder 20 Jahren sein wird. Vielleicht wird dann das, was uns heute zu riskant erscheint, eine Selbstverständlichkeit sein. Wie viele Menschen glaubten denn in den Sechzigerjahren an eine mögliche Wiedervereinigung Deutschlands? Und dennoch wurde sie Wirklichkeit, als der politische Kontext es zuließ.

Für die Moldawier ist der Weg zur europäischen Integration noch lang, aber es sind bereits Fortschritte zu erkennen. Was die Regeirung in Chişinău über rein wirtschaftliche Maßnahmen hinaus noch tun muss, ist, die Menschen zu informieren und diese für die Integrationsanstrengungen zu gewinnen und zu mobilisieren. Wie ich bereits sagte, sie muss zeigen, dass das Volk hinter der Regierung steht. Russland hat aus seiner postsowjetischen Zeit gelernt, dass man zwar eine Armee besiegen kann, nicht aber ein Volk. Und eine Europäische Union wird den möglichen Problemen unseres Volkes umso näher sein, je mehr von uns zu Europäern geworden sind.

Aus Sicht Chişinăus

Nicht alle sind für die europäische Integration

„Man kann sagen, was man will, Ziel Nummer Eins der Demonstration [vom 3. November] war es, der Kommunistischen Partei und Russland den Wind aus den Segeln zu nehmen”, meint Ziarul Naţional aus Chişinău. Das Blatt betont die „reservierte bis feindselige Haltung“ der pro-kommunistischen Politiker, Wortführer oder Journalisten. Diese hätten...

...die Teilnehmer und Organisatoren — die regierende pro-europäische Koalition — mit Dreck beworfen, denn mehr als hunderttausend Menschen aus allen Ecken des Landes [angeblich] zwangweise in die Hauptstadt zu bringen, ist in einer Demokratie ein quasi unmögliches Unterfangen...

Für das Blatt wäre eine derartige, nicht freiwillige Mobilisierung nur „in totalitären Ländern wie der Sowjetunion oder Kuba möglich. Sollte unser Volk tatsächlich jene manipulierbare Masse sein, die man einfach dazu zwingen kann, eine ausländische Causa zu bejubeln, so wie es ein Teil der Presse behauptet?“

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