Der Stadtteil Vauban bei Freiburg, Deutschland. © Daniel Schoenen

Vauban, Labor der Öko-Revolution

Im Vorort des deutschen Freiburg ist das ehemalige Gelände einer Militärkaserne in ein Öko-Paradies verwandelt worden. Keine Autos, nachhaltiges Wohnen und eine homogene Bevölkerungsstruktur. Ist das die ideale Gesellschaft? Die Frage stellt The Independent.

Veröffentlicht am 30 Juni 2009 um 15:36
Der Stadtteil Vauban bei Freiburg, Deutschland. © Daniel Schoenen

Die Deutschen haben der Welt den Audi und die Autobahn geschenkt, doch sie haben alles, was vier Räder und einen Motor hat, aus Vauban verbannt. In diesem Stadtteil der Universitätsstadt Freiburg im Breisgau liegen vor den gepflegten Mittelklassehäusern üppige Blumenbeete statt Parkplätze. Statt Verkehrslärm zwitschern die Vögel.

"Wenn Sie hier ein Auto haben wollen, müssen Sie 20.000 Euro für einen Platz zahlen", erklärt Andreas Delleske, einer der Mitgründer des Projekts. "Doch etwa 57 Prozent der Einwohner haben ihr Auto verkauft, um hier wohnen zu dürfen." Demzufolge benutzen die meisten Einwohner das Fahrrad oder die Trambahn, die von Vauban nach Freiburg hinein fährt. Wenn sie ein Auto für den Urlaub oder für einen größeren Transport benötigen, dann mieten sie eines oder wenden sich an einen Carsharing-Anbieter.

Weil es hier keine Autos gibt, haben Vaubans Stadtplaner die Fahrbahnen fast komplett aufgehoben. Straßen und Wege sind gepflastert bzw. geschottert und Fahrzeuge dürfen sie nur befahren, um Frachtgut auszuladen. Doch die Autofreiheit ist überhaupt erst der Anfang dieses Projekts, das als eines von Europas erfolgreichsten Experimenten mit grünem Wohnen begrüßt und als Entwurf für die Zukunft betrachtet wird.

In den eleganten Wohnhäusern in Vauban leben 5.300 Menschen. Sie haben breite Balkone und Fenstertüren, die auf ruhige Gärten blicken. Der allgemeine Eindruck ist der einer IKEA-Werbung. Doch obgleich der Stadtteil an der Oberfläche sehr bürgerlich aussieht, brodelt hinter den Kulissen die Öko-Revolution. Alle Fenster sind dreifach verglast. Ein Belüftungssystem garantiert die ständige Frischluftzufuhr für die Wohnräume. Die meisten Häuser sind mit Solarkollektoren und hackschnitzelbefeuerten Block-Heizkraftwerken ausgestattet, die Heizung und Strom liefern. Die meisten Häuser in Vauban generieren einen Elektroüberschuss und verkaufen den nichtbenötigten Strom dann an die Stromgesellschaften.

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Delleske ist sehr stolz auf die Tatsache, dass die Heizkosten für seine 90 Quadratmeter große Wohnung nur 114 Euro pro Jahr ausmachen. "Viele Leute zahlen jeden Monat so viel", freut er sich. Er hat sogar die Kanalisationen für Toilette und Dusche abgeschafft: Die Hinterlassenschaften werden in Biotoiletten kompostiert, Dusch- und Spülwasser werden gefiltert und im Garten verwertet.

Was in Vauban abläuft, spricht sich natürlich herum. Jeden Tag rollen sechs oder sieben Besucherbusse an – und parken draußen. Beim Eingang begrüßt sie ein Slogan, der erklärt, dass man sich hier die Welt erschafft, die man sich wünscht. Und doch hat die Geschichte des Stadtteils ursprünglich äußerst wenig mit solch idealistischen Themen zu tun. Hier wurde 1937 eine Wehrmachtskaserne errichtet. Am Ende des zweiten Weltkriegs wurde das Gelände von der französischen Armee requisitioniert und in "Quartier Vauban" umbenannt. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden die Franzosen langsam abgezogen und 1994 wurde der Stadtteil der Stadt Freiburg übergeben.

Kurz darauf gründete eine Gruppe umweltbewusster und überwiegend zur Mittelklasse gehörender Freiburger das "Forum Vauban" und begann, mit der Stadtverwaltung zu verhandeln. Das Ende vom Lied war dann der Auftrag, ökologisch tragbare Mehrfamilienhäuser zu entwerfen. Die meisten Kasernengebäude wurden abgerissen und über 60 Architekten nahmen am städtebaulichen Wettbewerb teil.

Das Projekt erinnert daran, wie stark die grüne Bewegung in Deutschland ist. Freiburgs Stadtverwaltung wird von einer Koalition aus konservativen und grünen Stadtratsmitgliedern geleitet, wobei die Grünen die Mehrheit der Sitze innehaben. Bei der EU-Wahl erhielten die Grünen in Vauban bis zu 60 Prozent der Stimmen. Der Stadtteil widerspricht auch dem Ruf Deutschlands, eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt zu haben: Knapp 30 Prozent der Bevölkerung ist unter 18. Ute und Frank Lits sind vor fünf Jahren hierher gezogen. Ihre Kinder, 6 und 10 Jahre, gelangen von der Haustür der 250.000 Euro teueren Vierzimmerwohnung direkt in einen Stadtpark. "Wir wollten ein Eigenheim kaufen und die umweltfreundlichen Grundsätze hier gefielen uns", sagt Frau Lits. "Doch unsere Hauptmotivation war die Tatsache, dass Vauban für Kinder einfach perfekt ist. Sie haben hier eine Freiheit, die man in einer normalen Stadtwohnung wohl nicht finden würde."

Wenn Vaubans schöne neue Welt überhaupt einen Fehler hat, dann eine Art Mittelklasse-Monokulturalismus. Wenn man vor dem früheren NS-Gebäude sitzt, das heute als Bio-Restaurant Ravioli mit Ricottafüllung und Straußensteaks anbietet, kann man kaum jemanden sehen, der außereuropäisch, alt oder arm ist. Laut Jugendarbeiter Wolfgang Konradi benehmen sich die Teenager hier wie ganz normale Jugendliche überall. "Das Problem sind hauptsächlich die Eltern, die von ihren Kindern erwarten, dass sie sich als perfekte Bürger verhalten", bedauert er. Seine Frau Ina fügt hinzu: "Es ist sehr schön hier, aber ein bisschen wie ein Leben unter einer gläsernen Glocke. Ich würde nicht für immer hier leben wollen."

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