„Das ist kein Neonazi”. „Bloß ein einfacher Wähler, schon lange frustriert, weil sich niemand um seine Probleme kümmert.”

Der kleine Führer stellt die Demokratie auf die Probe

Die Wahl des Neonazis Marian Kotleba zum Regionsgouverneur ist das jüngste Beispiel für den Aufschwung der Rechtsextremisten in Europa. Politik und Gesellschaft in der Slowakei haben den Aufstieg des Outsiders zugelassen. Können sie der Situation nun die Stirn bieten?

Veröffentlicht am 26 November 2013 um 16:18
„Das ist kein Neonazi”. „Bloß ein einfacher Wähler, schon lange frustriert, weil sich niemand um seine Probleme kümmert.”

Polens ultranationalistische Rechtsradikale verbrannten kürzlich an einem Feiertag die Regenbogenskulptur auf einem Platz im Warschauer Stadtzentrum und setzten im Anschluss daran ein Wachhäuschen vor der russischen Botschaft in Brand. Daraus ergab sich ein internationaler Skandal. Ein slowakischer Kollege der polnischen Ultranationalisten, Marian Kotleba, ging noch weiter: Am Wochenende gewann er eine Regionalwahl und wurde zum Gouverneur der Region Banská Bystrica. Für die Slowaken war das ein Schock.

Zum Vorsitzenden einer der acht Regionen des Landes wurde also ein Mann gewählt, der den faschistischen slowakischen Staat und die Vertreibung der Juden lobpreist, der sich gerne „Vodka“ (Führer) nennen lässt, der eine Bürgerwehr gegen die Roma aufstellt und der eine Partei mit dem Namen „Unsere Slowakei“ anführt, deren Programm man als „populistisches Improvisieren mit neonazistischen Elementen“ zusammenfassen könnte.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Nachdem die Jobbik 2010 ins ungarische Parlament einzog, überrascht es heute nicht mehr, dass Frust und Enttäuschung über die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Mitteleuropa zu Wahlerfolgen für einen extremistischen Politiker und seine Partei führen konnten. Gegenseitige Schuldzuweisungen der slowakischen Politiker von links und rechts, nach dem Motto „du bist schuld, nicht ich“, deuten jedoch darauf hin, dass die Politiker den Wandel in der Denkweise der Bevölkerung nicht begriffen haben.

Kotlebas Teilnahme am zweiten Wahlgang zog mehr Wähler zu den Urnen als in den anderen vier Regionen, in denen am Samstag gewählt wurde. Und seine Stimmen kamen aus mehr als nur einer Sozialschicht. [[Kotlebas Wahlsieg wird ihn ganz offensichtlich nächstes Jahr auf die Präsidentschafts- und die Kommunalwahlen zusteuern lassen]]. Obwohl er dort keine Chance auf einen Sieg hat, sind die Grundlagen für die Parlamentswahlen von 2016 gelegt. Als Gouverneur der Region wird er zwar isoliert dastehen, doch die Gelegenheit, sich selbst als Opfer des Systems darzustellen und Punkte zu sammeln, wird dafür umso größer sein, meint zum Beispiel der Soziologe Martin Bútora.

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Allgemeine Unzufriedenheit

Kotlebas Erfolg ist mehrschichtig und resultiert aus mehreren Faktoren, denen nicht alle Slowaken ausgesetzt sind. Eine allgemeine Unzufriedenheit über die Entwicklung der slowakischen Gesellschaft in den letzten Jahren ist einer dieser Gründe. Ein anderer ist das Scheitern der linken und rechten Eliten, die nicht in der Lage waren, Kotleba Widerstand zu leisten. Dieser überraschte alle, indem er in die Stichwahl vordrang.

Ministerpräsident Robert Fico stand den Kandidaten seiner Partei SMER in den Regionen Nitra und Trnava gegen die (angebliche) ungarische Gefahr bei, hatte jedoch keine Zeit für den Kandidaten seiner Partei in Banská Bystrica übrig. Was die konservativen Rechtsparteien betrifft, so weigerte sich ihr Kandidat hartnäckig, den SMER-Mann in der Stichwahl zu unterstützen.

Der dritte Faktor ist langfristig und eher unterschwellig. Nach Ansicht des Soziologen Michal Vašečka gibt es in der slowakischen Gesellschaft eine relativ große Gruppe von Wählern mit einer autoritären Neigung (wie frühere Erfolge der Slowakischen Nationalpartei und der HZDS unter Mečiar zeigten. [[Diese Wähler sind dazu bereit, den Ausgang des Zweiten Weltkriegs anzuzweifeln]] – dahingehend, dass sie die Mitschuld des slowakischen Staatschefs zu Kriegszeiten, Jozef Tiso, am Holocaust und anderen Verbrechen in Frage stellen. Seit Mitte der 90er Jahre, so Vašečka, werde diese Meinungsgruppe immer stärker, und dies sei auch dem Einfluss der katholischen Kirche zu verdanken.

Der Zigeunerfaktor

Marian Kotlebas Sieg ist, im europäischen Kontext betrachtet, nur einer von mehreren, die alle zeigen, wie die Extremisten an Rückenhalt gewinnen. Doch sein Sieg geht auch deshalb über eine simple Protestwahl hinaus, weil dieser völlig unvorhersehbare Radikale seinen Populismus mit der heiklen, permanent ungelösten Frage der Roma kombiniert.

Inoffiziell machen die Roma rund ein Zehntel der slowakischen Bevölkerung aus. Die Mehrheit der Slowaken sieht das Roma-Problem vor allem als eine Sicherheitsfrage und nicht als eine Frage der Menschen- oder Sozialrechte, und das spielt Kotleba in die Hände. So hat er zum Beispiel ein Stück Land gekauft, auf dem sich eines der vielen Roma-Lager befindet, und will nun dieses Lager ausweisen – und zwar mit Gewalt.

Statt des traditionellen Ungarnfaktors hat der aus der Versenkung geholte Zigeunerfaktor nun die slowakische Politik in die extremistische Enge getrieben. Die Reaktion der Politiker der traditionellen Parteien enthüllt, dass sie strategisch überflügelt wurden und dass sich Kotlebas Erfolg außerhalb des Rahmens der aktuellen politischen Entwicklungen abspielt.

Diese Entwicklungen in der Slowakei nach 1989 sind für die liberale Demokratie und ihre Grundwerte nicht völlig ungefährlich. Doch sogar Ján Slota, der berühmte frühere Anführer der Slowakischen Nationalpartei, erklärte sich nie so offen als Anhänger der Nazis und ihrer slowakischen Entsprechungen wie Kotleba. „Es ist ernster als es aussieht“, sagt Martin Bútora.

Regionsgouverneur als Härtetest

In einer Veröffentlichung des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten in Bratislava („Woher und wohin: 20 Jahre Autonomie“) erklärt die ehemalige Regierungsbevollmächtigte für Roma-Fragen, Klára Orgovánová, dass die Roma den Härtetest darstellen, wenn beurteilt werden soll, wie die Slowaken mit dem Aufbau einer zivilen Gesellschaft fertig werden. Von daher stellt Marian Kotleba, der mit der Roma-Frage so eng verbunden wird, insgesamt einen Test für die slowakische Politik dar.

[[Mit seiner Wahl zum Regionsgouverneur scheint die Slowakei einen Schritt zurück gemacht zu haben]]. Das stimmt jedoch bei weitem nicht. Nur die Reaktionen der Politiker und ihre Art und Weise, auf die Realität einzugehen, die diese demokratische Wahl in der Slowakei herbeigeführt hat, können uns den wahren Stand der slowakischen (zivilen) Gesellschaft sowie die Beschaffenheit ihrer Demokratie und ihrer Institutionen zeigen.

In anderen Worten, sie könnten seine Beliebtheit steigern, indem sie ihn wie einen Paria behandeln. Oder sie könnten ihn schlau als Politiker in seiner Rolle als Regionsverwalter in Verruf bringen. Die Chancen für letzteres sind jedoch, so wie es derzeit aussieht, eher gering.

Aus Sicht Bratislavas

Parteien weisen jede Verantwortung von sich

„Die Wahlen haben die Parteien nicht erschüttert“, stellt SME nach dem Wahlsieg von Marian Kotleba fest. Der langjährige rechtsradikale Aktivist wurde überraschend zum Gouverneur der Region Banská Bystrica gewählt.

Kotlebas Erfolg in einer Hochburg der (sozialistischen) Partei SMER wurde deutlich dadurch begünstigt, dass der im ersten Wahgang unterlegene Kandidat der SDKÚ (rechts) den Kandidaten der SMER nicht unterstützte. Doch beide Parteien weisen jede Verantwortung zurück, bedauert die Tageszeitung und schreibt dazu:

Mangel an Selbstkritik ist eine der schlimmsten Eigenschaften der Politiker [...] und einer der Hauptgründe, warum die Wähler nicht nur ihnen nicht mehr vertrauen – was teilweise durchaus berechtigt ist – sondern auch der Demokratie nicht – was wiederum eine eher törichte Reaktion ist.

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