Hochgeschwindigkeit als wären wir reich

Spanien ist in Europa das Land mit den meisten Hochgeschwindigkeitsstrecken. Aber ist das ökologisch? Und sinnvoll, in Krisenzeiten?

Veröffentlicht am 12 Januar 2011 um 08:11

Spanien hat in den letzten Jahren beispiellos in neue Infrastruktur investiert. Und das Ergebnis ist sichtbar: heute belegt Spanien in Europa einen Spitzenplatz bei den Autobahn-Kilometern und hat mit der Inbetriebnahme der Hochgeschwindigkeitsstrecke Madrid-Valencia gerade Frankreich vom ersten Platz bei den Hochgeschwindigkeitszügen verdrängt. Mit insgesamt 2.665 km befahrbarer Einsenbahnstrecke plaziert sich das Land an zweiter Stelle nach China.

Angesichts dieser Zahlen stellt sich zunächst die Frage, ob Spanien sich diese Ehre überhaupt leisten kann. Die zweite Frage ist, ob diese Strecke auch raumplanerisch sauber durchgeplant wurde und ob ein radiales Schienennetz mit Madrid als Epizentrum nicht auch auf Nebenlinien angewiesen ist, wie zum Beispiel der nachgefragte Mittelmeerkorridor Barcelona-Valencia.

6 Milliarden Euro für knapp 3,5 Millionen Fahrgäste

Valencia, die letzte Stadt, die an das AVE-Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen wird, hat die neue Infrastruktur sehr begrüßt. Für Ökologen, Gewerkschaften und Bürgerplattformen für Nachhaltigkeit ist die Politik des Neureichtums ein großer Fehler. „Der große Unterschied zwischen Spanien und anderen Länder in Europa besteht darin, dass dort die Wartung miteingeplant wurde, während in Spanien nur die Infrastruktur geplant wurde,“ bemängelt Pau Noy, Mitglied der Stiftung für nachhaltige und sichere Mobilität. „Hier geht es in erster Linie darum, den AVE-Zug zu haben, egal ob er nützlich ist, zu teuer oder zu wenig Fahrgäste hat“, kritisiert Noy.

Warum sollte man ein Vermögen von 6 Milliarden Euro ausgeben für diesen AVE, der laut offiziellen Vorerhebungen im ersten Jahr 3,5 Millionen Fahrgäste befördern wird? Eine verschwindend geringe Zahl gegenüber den 400 Millionen Personen, die den Nahverkehr der staatlichen Bahn Renfe im Jahr 2009 nutzten. Die Epoche der fetten Jahre und großen Investitionen wurde jäh durch die Krise beendet, und die Kritiker fordern beim Projekt „AVE für alle“ die Regierung auf, rationaler vorzugehen. „Es ist ein segregierendes Modell, das die Jugendlichen auf den Busverkehr und auf die Straße zwingt, denn der Hochgeschwindigkeitszug ist sehr teuer“, kritisiert Noy.

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Nur die Großstädte haben was davon

Gregorio Martín, Professor an der Universität Valencia unterstreicht, dass die Debatte nicht ganz so einfach sei. „Man müsste die Lkws von der Straße und die Flugzeuge aus der Luft verbannen, weil sie laut Kyoto-Protokoll gegen den Klimawandel die Umwelt am meisten belasten. Deshalb stimmt es, dass aus Sicht der Umwelt und beim Energieverbrauch der AVE viel bessere Werte erzielt als das Flugzeug, nämlich fast vier Mal so umweltfreundlich ist.

Die spanischen Umweltschützer und die Bürgerplattformen für die Mobilität im Transportwesen sind gegen eine Trennung der Netze. „Europa schaut überrascht zu, wie die europäischen Mittel ausgegeben werden. In Spanien hat man statt auf Stärkung des Zusammenhalts zu setzen, indem man mehr Nahverkehr anbietet, auf die Hochgeschwindigkeitszüge gesetzt. Davon profitiert aber nur Madrid und macht Valencia, Zaragoza und andere Städte zu Vororten der Hauptstadt“, argumentiert Noy.

Durch den AVE ist Madrid mit 21 spanischen Städten verbunden. Die ursprüngliche Idee verschiedener Regierungen war es, die Mehrheit der regionalen Hauptstädte mit dem Zentrum zu verbinden. Heute ist die Priorität des Ministeriums für Verkehr das erste Radialsystem fertig zu stellen, was nicht ohne privates Kapital gewährleistet werden kann. Dazu ist der zuständige Minister José Blanco schon seit geraumer Zeit auf der Suche nach privaten Investoren in China und den USA.

Aus dem Spanischen von Ramona Binder

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