Ich kann Sie nicht hören. Der Portugiesische Regierungschef Sócrates, Kommissionspräsident Barroso und Kanzlerin Merkel an der tschechischen Grenze, 21. Dezember 2007

Eurozone: Wo die kalte Schulter König ist

Könnte Portugal nun doch unter den erniedrigenden Rettungsschirm schlüpfen? Und der Schirm selbst ohne Limit aufgestockt werden? Die Debatte gewinnt an Fahrt und die Spannungen innerhalb der Eurozone steigen. Mitschuld daran sind die zankenden Führungskräfte und „Europas großes Kommunikationsproblem“.

Veröffentlicht am 19 Januar 2011 um 15:20
Ich kann Sie nicht hören. Der Portugiesische Regierungschef Sócrates, Kommissionspräsident Barroso und Kanzlerin Merkel an der tschechischen Grenze, 21. Dezember 2007

Als das Telefon im schillernden Berliner Kanzleramt klingelte, saß Angela Merkel gerade in einem Gespräch über die Eurokrise fest. Aus Lissabon rief der portugiesische Regierungschef José Sócrates an und bat um Hilfe. Portugal droht als drittes der 17 Länder der Eurozone unter der Last seiner Staatsschulden zusammenzubrechen und braucht deutsche Hilfe. Laut Anwesenden hörte sich Sócrates verzweifelt an und war bereit, jeder Forderung nachzukommen.

Er fragte Merkel, was er tun solle, versprach all das zu tun, was sie verlange. Mit einer großen Ausnahme: Er möchte nicht um Geld im Sinne des Rettungsschirms der Eurozone bitten, an das schwerwiegende Bedingungen geknüpft wären. Nach in Berlin kursierenden Berichten ließ Merkel Sócrates warten, während sie die Meinungen ihrer hochkarätigen Gäste einholte: Der Franzose und Chef des Internationalen Währungsfonds Dominique Strauss-Kahn und der hoch angesehene italienische Finanz- und Wirtschaftsminister Giulio Tremonti, der kürzlich für die Einführung der „Eurobonds“ als Teillösung für die jahrelange Krise eingetreten war. Zum Leidwesen von Sócrates lehnte der deutschsprechende IWF-Direktor ab. Die portugiesische Bitte sei – wie er erklärte – zwecklos. Sócrates befolge keinen der ihm gegebenen Ratschläge.

Das große Kommunikationsproblem

Dieser Austausch, der sich in der vergangenen Woche in Berlin ereignete, unterstreicht das, was ein hochrangiger deutscher Beamter als „Europas großes Kommunikationsproblem“ beschreibt: Inmitten einer der schwersten Krisen, die die EU je erlebt hat, vertrauen sich Politiker und Entscheidungsträger nur geringfügig. Das macht die Suche nach einem Ausweg aus dem existenziellen Euro-Problem ungeheuer kompliziert.

In Brüssel rangen die EU-Finanzminister diese Woche mit der neusten politischen Unstimmigkeit in Sachen Euro: Wie kann man den im vergangenen Mai geschaffenen 750 Milliarden Euro schweren Rettungsschirm neu konfigurieren? Die Europäische Kommission trat für eine sofortige Erhöhung ein. Deutschland widersetzte sich, und erklärte, dass weder sofort erhöht, noch die Darlehenstätigkeit ausgebaut werden müsse. So fuhren sich die Gespräche fest.

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Das wirtschaftliche Fundament der Eurozone folgt zwei sich widersprechenden Richtungen: Deutschland und Nordeuropa gehen gestärkt aus der Rezession hervor, während Südeuropa in einem Teufelskreis aus Schulden und Deflation gefangen ist. Das und die Staatsschulden von einem halbe Dutzend Länder gefährden den Euro. Zudem verschlechtern die Unstimmigkeiten zwischen den Krisenmanagern die Situation.

Man bekriegt sich seit einem vollen Jahr

Am selben Tag vergangene Woche, als Berlin Sócrates eine Abfuhr erteilte, erklärte Kommissions-Präsident José Manuel Barroso in Brüssel, dass der EU-Rettungsfonds gestärkt werden müsse. Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble beschrieben Barrosos Eingriff als „unnötig“. Unter vier Augen gab das Kanzleramt Barroso zu verstehen, dass er den Mund halten solle. Die 440 Milliarden Euro, welche die Regierungen der Eurozone garantieren, fielen nicht in seinen Zuständigkeitsbereich; ganz einfach, weil es nicht sein Geld sei.

Schon das letzte Jahr über bekriegte man sich gegenseitig. Griechenlands Rettungspaket im Mai war ein hässlicher Wortwechsel über Reparationszahlungen aus dem Zweiten Weltkrieg vorausgegangen. Im November wurde Irland gedemütigt und Dublin beklagte sich bitter darüber, von den Großmächten der EU gemobbt zu werden. Und nun sind Portugal und Spanien an der Reihe und müssen leiden.

Amerikaner glauben nicht mehr an die Rettung

EU-Währungskommissar Olli Rehn warnte heute vor der „Selbstzufriedenheit“ der Mitgliedsstaaten, die es ablehnen, den Rettungsfonds zu reformieren und aufzustocken. Erneut war Deutschland mit dieser dezenten Stichelei gemeint. Jedoch sorgt sich die deutsche Regierung nicht wirklich um Portugal. Es hält seine Wirtschaft für zu unwichtig, als dass sie tatsächlich das Schicksal des Euros beeinflussen könnte. Ähnlich sieht es auch mit Irland und Griechenland aus. Die drei Länder machen weniger als fünf Prozent des EU-Bruttoinlandsproduktes aus (12 Billionen Euro).

Die größte Sorge für die Kernländer der EU ist der Glaube der internationalen Investoren in die Einheitswährung. Aufgrund des schwindenden Vertrauens – ganz besonders vonseiten der USA – in die Rettungsmaßnahmen der Eurozone (vielmehr als Portugals Not) üben die Europäische Zentralbank und die Europäische Kommission immer mehr Druck aus. Ihr Ziel ist es, ehrgeizigere und flexiblere Rettungswege zu finden. Die Strukturfondsmanager, vor allem in den USA, haben klargemacht, dass die europäische Antwort auf die Krise sie alles andere als beeindruckt, und sie sich zurückziehen werden. „Die Märkte vertrauen den Rettungspaketen nicht“, erklärte ein hochrangiger EU-Beamter. „So mancher Amerikaner gibt dem Euro nur noch wenige Jahre.“

Aus dem Englischen von Julia Heinemann

Krisenmanagement

Brüssel für mehr Kürzungen und mehr Geld

Währungskommissar Olli Rehn hat an die Regierungssitze ausgewählter Hauptstädte der Eurozone eine „Gesamtstrategie“ zum Ausweg aus der Schuldenkrise geschickt, berichtet Der Spiegel. Auf elf Seiten fordert Rehn die Mitgliedsstaaten auf, weiter ihre Arbeitsmärkte zu reformieren und bei den Sozialabgaben zu kürzen. Der Kern des Papiers betrifft aber eine Reform der sogenannten EFSF, der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität.

Die EU-Kommission will die effektive Finanzausstattung der EFSF auf 440 Milliarden Euro erhöhen. Soviel hatten die Regierungen im Mai zwar auf den Tisch gepackt. Da aber nur wenige Länder über die Bestnote der Rating-Agenturen (AAA) verfügen, muss die EFSF hohe Garantien an den Märkten zahlen. Somit besitzt sie effektiv bisher nur 250 Milliarden Euro, um angeschlagene Staaten zu unterstützen. Daher sollen solvente Staaten, allen voran Deutschland, weitere Garantien und neue Milliarden bereitstellen.

Außerdem soll die EFSF künftig auch Anleihen von Ländern in Finanznot aufkaufen, um so die Europäische Zentralbank zu entlasten; und sie soll den Ländern per Kredit helfen, die alte Anleihen mit hoher Verzinsung oder ungünstiger Laufzeit zurückkaufen wollen. Zudem sollen auch die Strafzinsen sinken, die ein Land entrichten muss, wenn es Mittel aus der EFSF beansprucht.

„Setzt die Kommission ihre Pläne durch, liegt das Ergebnis auf der Hand“, schreibt der Spiegel: „Die betroffenen Länder sind künftig weniger bei Anlegern im In- und Ausland verschuldet als vielmehr bei den Partnerländern“ der Eurozone.

Die Rettungsmittel sollen auch für Banken in Schieflage eingesetzt werden können. Die Regierungsämter haben bis Anfang Februar Zeit, Rehns Pläne in ihrem Sinn zu ändern.

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