Gekauft. Im Schlosspark von Sanssouci, Potsdam.

Chinesen sind die neuen Japaner

Aus dem Land mit der größten Mittelschicht der Welt strömt ein stetig steigender Besucherstrom auf andere Kontinente. Der chinesische Reisende könnte die Zukunft der europäischen Tourismusindustrie sichern. Davor muss aber die Branche erst lernen, mit der neuen Kundschaft umzugehen.

Veröffentlicht am 25 Januar 2011 um 17:24
Gekauft. Im Schlosspark von Sanssouci, Potsdam.

Hoteliers und Geschäftsleute träumen weiter von einer Invasion der Amerikaner und Japaner, die Nostalgiker unter ihnen trauern den Deutschen und Engländern nach, wer sich für besonders fortschrittlich hält, wirbt noch um russische Oligarchen. Die globale Statistik allerdings spricht bereits eine andere Sprache, denn eine Trendwende bahnt sich an: 2011, im Jahr des Hasen, sind es die chinesischen Touristen, die das Wachstum im Bereich Fernreisen ankurbeln; bis 2015 werden sie im Bereich Pauschalreisen und Luxusartikel überhaupt die absolute Nummer Eins sein.

Laut Jahresbericht der chinesischen Tourismusakademie werden dieses Jahr 57 Millionen Chinesen ihren Urlaub im Ausland verbringen und dabei knapp 50 Milliarden Euro ausgeben – 2010 waren es 54 Millionen bei einem Umsatz von 40 Milliarden, vor 5 Jahren 34 Millionen; bis 2015 ist gemäß den Berechnungen des nationalen chinesischen Tourismusplans mit 100 bis 130 Millionen Auslandsreisenden und mehr als 110 Milliarden Euro Umsatz zu rechnen.

Traumziel Europa - und keiner ist vorbereitet

Das überwältigende Wirtschaftswachstum in China hat die zahlenmäßig umfangreichste Mittelschicht und die größte Anzahl an Milliardären weltweit hervorgebracht: Über 400 Millionen Chinesen mit einem Durchschnittsgehalt von 15.000 Euro sparen erstmals, um die Welt jenseits der Chinesischen Mauer zu erkunden. 70 Prozent bleiben für ihre erste Auslandsreise in Asien, 30 Prozent jedoch (Tendenz steigend bis 42 Prozent laut Nielsen-Berechnungen) entscheiden sich bereits für das Traumziel Europa – um bei ihrer Ankunft feststellen zu müssen, dass man dort kaum oder gar nicht für sie bereit ist.

Nach einem jährlichen Zuwachs chinesischer Auslandstouristen um 10 Prozent zwischen 2005 und 2009 kann man nun bei 15-20 Prozent bereits von einer Explosion sprechen, und Pekings Politik der wirtschaftlichen Öffnung, bei der Auslandsreisen für Angestellte gegen interne politische Stabilität gehandelt werden, lässt den regen Zustrom chinesischer Reisegruppen garantiert nicht versiegen. Für den westlichen Fremdenverkehr bricht eine neue Zeit an.

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Angebot in Europa: alles sehr kompliziert

Der typische chinesische Europa-Tourist der nächsten Jahre ist zwischen 30 und 45 Jahre alt; reich, besitzt einen Universitätsabschluss, stammt aus einer der großen Metropolen und ist hohen Komfort gewohnt. Sein erster Aufenthalt außerhalb Asiens ist meist eine Pauschalreise, behandelt werden möchte er allerdings wie ein Individualtourist. „Das Problem liegt darin, dass in Europa nach wie vor alles sehr kompliziert, das Angebot im Gegensatz zur Situation in Japan, Korea, Thailand und Singapur noch nicht auf chinesische Touristen zugeschnitten ist“, so Li Meng, Leiter der staatlichen chinesischen Agentur für Auslandstourismus.

Die Wartezeit für ein Visum beträgt mehrere Wochen, die wenigen Flüge, die es gibt, sind teuer, die Sprache bleibt ein unüberbrückbares Hindernis. Hotels, Geschäfte, Restaurants und Museen wissen noch gar nicht um ihre demnächst so wichtige Einnahmequelle, die Preise sind nicht marktgerecht, die Behandlung der Gäste kommt nicht im Entferntesten an die extreme orientalische Höflichkeit heran.

Lieber Deutschland und Frankreich, als Italien und Griechenland

Italien schließlich ist für Peking ein Fall für sich, ein Rätsel. Noch vor zehn Jahren war es die beliebteste Destination der ersten Europareisenden, heute wird der Italientourismus in China noch weniger gefördert als in den Niederlanden, sodass chinesische Touristen in Italien weiterhin nicht mehr als geduldet sind. Man spricht hier nicht Chinesisch: Keine Hinweise auf den Flughäfen, keine Reiseführer, keine Speisekarten; alles ist auf Reisende mit typisch westlichen Vorlieben und Gewohnheiten ausgerichtet – so sind nunmehr Frankreich und Deutschland, die sich beide rechtzeitig auf die Bedürfnisse der Chinesen eingestellt haben, die Lieblingsziele dieser neuen Protagonisten des globalen Tourismus, die einzigen europäischen Reiseziele in der weltweiten Top-Ten-Liste, gefolgt vom als Nicht-Schengen-Land benachteiligten Großbritannien und der Schweiz vor Italien, Spanien und Griechenland.

„Das Hauptproblem liegt darin, dass man chinesische Touristen und ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt“, erläutert Dai Bin, Leiter der chinesischen Tourismusakademie. Sie sind noch neu in der Tourismusbranche, quasi gerade erst der Armut entkommen, weshalb sie sich auf das Wesentliche konzentrieren, Klischees verhaftet sind, in kürzester Zeit möglichst viel sehen wollen. Laut Statistiken wird ein Drittel des Reisebudgets in Einkäufe investiert (chinesische Luxusartikel, die in Asien das Dreifache kosten), und zwar in Städten und Geschäften, die als Symbol der internationalen Modewelt gelten können. Chinesische Touristen sparen bei den Hotels und essen nur selten in Restaurants, weil dort ihre Bedürfnisse ignoriert oder überhaupt missachtet werden.

Beethovenhaus in Bonn, Karl-Marx-Haus in Trier...

Keine Kosten werden dagegen gescheut, wenn es um berühmte Reiseziele geht. Der chinesische Durchschnittstourist absolviert innerhalb von zehn Tagen (seinem jährlichen Urlaub) nach der Landung in Frankfurt die typische Standardreise: Beethovenhaus in Bonn, Karl-Marx-Haus in Trier, Hugo-Boss-Outlet in Metzingen, Chocolaterie Pelicaen in Brüssel, Großherzogliches Palais in Luxemburg (Symbol für Reichtum und gleich in der Nähe), Kaufhäuser und Eiffelturm in Paris, Bordeaux-Weingüter, Casinos an der Côte d’Azur und Lavendelfelder in der Provence (Schauplatz der populärsten chinesischen Telenovela).

Von dort geht es in die Schweiz, wo Uhren eingekauft und der Berg Titlis fotografiert werden, wo der chinesischen Goldmedaillengewinner der Olympischen Spiele von Atlanta Buddha gesehen haben soll, und dann weiter nach Italien: Haus der Julia in Verona, Canal Grande in Venedig, Schiefer Turm von Pisa (den Chinesen bekannt aus einem berühmten Fernsehspot), Shopping in Florenz und Mailand, Kolosseum in Rom, Ausgrabungen in Pompei. Nach London kommen nur die Begüterten, weil man ein anderes Visum braucht – der Rest überfliegt zum Abschluss der Reise noch das Parthenon in Athen.

Kein Angebot für Milliardäre aus China

Das Schlimmste an alldem ist nicht nur die gegenwärtige Nichtbeachtung des chinesischen Durchschnittstouristen, sondern auch die Tatsache, dass Europa sich keineswegs auf die Bedürfnisse der reicheren Touristen der Zukunft einzustellen scheint. Ein ganzes Heer frischgebackener Milliardäre aus China und Südostasien wartet nur darauf, Europa und Italien zu erkunden – sie reisen allein, brauchen Chauffeur, Butler und privaten Reiseführer, verlangen ein individuell zusammengestelltes Programm, das nur aus Golf, Weinverkostungen, Juwelierbesuchen, Haute-Couture-Ateliers, Kreuzfahrten, Besichtigungen historischer Villen (zwecks Kauf) und Luxushotels mitten in der Natur besteht.

Außerdem steht ihnen der Sinn nach „verborgenen Schätzen“, also Orten und Erzeugnissen aus dem Westen, die ihre Freude nicht kennen. Es mag alles banal und trivial klingen – das jedoch ist der Tourismus des Jahrhunderts, wo es wie letztlich bei allen Dingen, die heutzutage Geld bringen, heißt: Man spricht Chinesisch.

Aus dem Italienischen von Salka Klos

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