Opinion, ideas, initiatives Präsidentschaft der Europäischen Kommission

Welchen Ausweg gibt es aus der Sackgasse Juncker?

David Cameron hält weiterhin am Veto gegen die Nominierung des früheren luxemburgischen Ministerpräsidenten Juncker als Präsident der Europäischen Kommission fest. Die einzige Möglichkeit einer demokratischen Lösung wäre eine Entscheidung des Europäischen Parlamentes.

Veröffentlicht am 11 Juni 2014 um 16:41

Vor wenigen Tagen berichtete ich in einem Artikel über die Absicht des britischen Premiers, David Cameron, die Nominierung des Luxemburgers Jean-Claude Juncker durch den Europarat als nächsten Präsidenten der Europäischen Kommission zu verhindern.

Cameron scheint es immer noch nicht verstanden zu haben: Im Dezember 2011 drohte er, den sogenannten Fiskalpakt, über den die EU-Mitglieder damals verhandelten, zu blockieren, wenn Großbritannien nicht eine Reihe von Zugeständnissen eingeräumt würden. Wie reagierten die EU-Mitglieder darauf? Sie ignorierten die Drohung und schlossen den Pakt außerhalb der europäischen Institution als zwischenstaatliches Abkommen, gegen das Cameron kein Veto einlegen konnte.

Und jetzt begeht er denselben Fehler. Er versucht, die Ernennung Junckers zu verhindern, indem er öffentlich die Stimme erhebt, obwohl er die Nominierung nicht blockieren kann. Sie benötigt nur eine qualifizierte Mehrheit im Rat, keine Einstimmigkeit. Doch ist das nicht der einzige Fehler. Cameron verließ 2009 die Europäische Volkspartei und gründete seine eigene konservative Fraktion, wodurch er seine Verhandlungsmacht einbüßte. Die britischen Medien berichten, dass sich Camerons Einstellung zu Juncker trotz der verschiedenen Treffen mit Merkel nicht geändert hätte.

Cameron deutete an, Großbritannien würde aus der Union ausscheiden, sollte Juncker, ein von den britischen Tories gehasster Fürsprecher des Föderalismus, den Vorsitz der Kommission übernehmen. Blufft er nur? Die Antwort auf diese Frage ist eigentlich nicht ausschlaggebend. Wenn es sich um eine echte Drohung handelt und die Nominierung Junckers die Briten dazu veranlasst, aus der EU auszutreten, dann hat das Land in Europa eigentlich nicht mehr zu suchen. Denn wenn es nicht Juncker ist, dann ist es bald etwas anderes. Die europäischen Staats- und Regierungschefs werden sich zu Recht fragen, warum sie sich weiter erpressen lassen sollen. Welche wahnwitzigen Forderungen wird Cameron wohl morgen stellen?

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Wenn der Forderung des britischen Premiers nachgegeben wird, könnte das Europäische Parlament, das sich mit großer Mehrheit für Juncker ausgesprochen hat, seine Glaubwürdigkeit völlig verlieren. Merkel würde keinesfalls das Parlament demütigen, um den britischen Euroskeptikern entgegenzukommen.

Obwohl ich keine große Sympathie für Cameron hege, möchte ich ihm doch einen guten Rat geben. Es ist wirklich nicht schwer, Juncker aus dem Weg zu schaffen. Es genügt, für seine Ernennung im Europarat zu stimmen und im Parlament auch die übrigen Mitglieder der konservativen euroskeptischen Fraktion (Polen und Tschechen) davon zu überzeugen. Dann könnte er ein Gerücht in Umlauf bringen, dass er von Juncker geheime Versprechen in Bezug auf die Freizügigkeit – ein Thema, das die Briten stark beschäftigt – und den Schutz des britischen Finanzsektors – ein Thema, das die übrigen Europäer nicht minder stark beschäftigt – erhalten habe.

Können Sie sich die Reaktion der europäischen Sozialisten vorstellen? Die Sozialisten von Schulz wollen mit Juncker einen Pakt schließen und sich die Macht teilen. Damit sind sie auf dem besten Weg, politischen Selbstmord zu begehen: Da sie im europäischen Wahlkampf die strenge Sparpolitik auf das Schärfste kritisierten, können sie Juncker, dem Präsidenten der Eurogruppe in den wesentlichen Momenten der Eurokrise, nicht unterstützen, ohne sich selbst zu schaden. Wenn sie jedoch Cameron unterstützen, können sie nicht für Juncker stimmen, Juncker muss sich zurückziehen, was wiederum den Europarat und das Europaparlament dazu zwingt, nach einem neuen Kandidaten zu suchen.

Bei der Nominierung des Präsidenten der Europäischen Kommission kann viel passieren. Das Schlimmste wäre jedoch, dass die Sache hinter den Kulissen und in Abwesenheit der Öffentlichkeit gelöst wird. Juncker sollte ernannt werden und sich der Abstimmung des Parlaments stellen, auch wenn er weiß, dass er verlieren kann. Und dann muss Schulz dasselbe tun: Sich aufstellen lassen, auch wenn er verliert. Für keinen von beiden wäre das angenehm, aber für das Parlament und die europäische Öffentlichkeit wäre es großartig zu sehen, dass Europa endlich Politik macht. Dieser Prozess wäre transparent und die heutigen und die künftigen Kandidaten müssten klarstellen, wofür sie stehen.
Man kann nicht mehr Demokratie für Europa fordern und dann gleich wieder in den alten Trott verfallen. Denn wenn es mit der Unterstützung der Sozialisten zu einer Konsenswahl von Juncker kommt, wäre das eine Katastrophe. Können Sie sich vorstellen, dass die spanischen Sozialisten für Juncker stimmen, Merkels Kandidat? In dem Fall befürchte ich, dass die sozialistischen Wähler für eine europäische Wahl nie wieder zur Urne gehen.

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