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Flaute für die Mittelmeerunion

Der am 13. Juli 2008 von Nicolas Sarkozy gegründeten Mittelmeerunion fehlt es nach wie vor an konkreten Zielen. Nach Meinung des spanischen Politologen Ignacio Sotelo ist sie Opfer der divergierenden Interessen ihrer Begründer und des Nahostkonflikts. Eine Analyse.

Veröffentlicht am 13 Juli 2009 um 14:34
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Die Mittelmeerunion hat am 13. Juli 2008 in Paris das Licht der Welt erblickt. Sie ist letzten Endes nichts anderes als ein Wideraufguss des Barcelona-Prozesses, den Spanien schon 1995 unterstützt hatte. Viel Lärm um nichts. Doch zum Zeitpunkt als Nicolas Sarkozy diese zweite Phase in Angriff nahm, war seine Absicht eine ganz andere.

Während eines Meetings im Februar 2007 in Toulon, als er noch einfacher Präsidentschaftskandidat war, unterbreitete er den Vorschlag einer Union, die sich auf die anliegenden Staaten begrenzen und so den Barcelona-Prozess ersetzen würde, der in seinen zwölf Jahren Existenz nicht wirklich zu vielen Ergebnissen geführt hatte. Im Grunde genommen hatte Sarkozy drei Ziele im Kopf: Zuallererst einmal musste man rasch die Stimmen der Franzosen maghrebinischer oder nahöstlicher Herkunft gewinnen, indem für die Südseite des Mittelmeerufers große Entwicklungsprojekte angekündigt wurden. Langfristig hoffte er, dass Frankreich in dieser Region seine Vormachtstellung wieder herstellen könnte. Und außerdem wollte er damit auf subtile Weise der Türkei, der Frankreich weiterhin die volle Integration in die Europäische Union verweigerte, ein Hintertürchen offen halten.

Rasch sprachen sich Italien und Spanien entschieden gegen dieses Projekt aus, welches trotz vollständiger Überarbeitung sein einziges Wohl dem Einmischen Deutschlands verdankt. Dem einzigen Land, das nicht ans Mittelmeer angrenzt, welches in dieser Region aber zahlreiche wirtschaftliche Interessen verfolgt. So wurde die Mittelmeerunion als Weiterführung des Barcelona-Prozesses, der, wie es Frau Merkel bezeichnete, "ganz einfach wiederbelebt werden musste", zu einer Institution aller 27 Länder. In dem Moment, als es Spanien gelang, den Sitz des Ständigen Sekretariates der Union für das Mittelmeer in Barcelona einzurichten, hat man letztendlich auch dort die Umstrukturierung eingesehen.

In erster Linie handelte es sich darum, ein allgemeines, sowie fünf stellvertretende Sekretariate zu gründen, von denen eines für Israel und das andere für Palästina bestimmt war. Hierbei handelte es sich um eine Maßnahme, die im vorhergehenden Prozess nicht einmal denkbar gewesen wäre, weil die arabischen Staaten für Israel eine Stellung als Exekutive ablehnten.

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An erster Stelle hat die Institution den Auftrag, die Zusammenarbeit im Rahmen konkreter Projekte zu fördern. Ihre Priorität ist der Umweltschutz in der Mittelmeerregion, welche die für ihre Wirtschaft unentbehrlichen 200 Millionen Touristen empfängt. Auch geht es darum, gemeinsame politische Programme in Sachen Zivilschutz zu definieren, um auf große Katastrophen reagieren zu können, egal ob es sich um Naturkatastrophen oder vom Menschen verursachte handelt. Zudem soll ein Plan ausgearbeitet werden, um die Solarenergie zu nutzen und die terrestrischen und maritimen Kommunikationsmöglichkeiten zu verbessern.

Anlässlich einer internationalen Versammlung, die am 17. Juni in Berlin organisiert wurde, um Bilanz nach dem ersten Jahr Mittelmeerunion zu ziehen, hat der deutsche Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, Günter Gloser, die deutschen Forderungen an sie eindeutig dargelegt: Kontrolle der illegalen Auswanderung aus einer Region, die immer mehr arbeitslose Jugendliche beherbergt, sowie die Förderung von Solarenergie, ein Bereich, in dem Deutschland technisch gesehen schon jetzt fortschrittlicher entwickelt ist als Spanien. Alles in allem geht es darum, Solarenergie in den Ländern des Maghreb zu produzieren, um sie nach Deutschland zu importieren.

Es ist sicher nicht nötig, zu erläutern, dass die Länder des südlichen Ufers die Dinge ganz anders sehen. Sie vertreten die Ansicht, dass eine wirkliche Kooperation zur Entwicklung der Region beitragen muss. Eine Kooperation, die nicht nur die Gründung einer euro-mediterranen Bank vorsieht, welche die Finanzierung großer Projekte erleichtert, die momentan nichts weiter als Absichtserklärungen sind, sondern die eine europäische Agrarpolitik entwickelt, um Agrarprodukte in Richtung Norden exportieren zu können. Zudem müssen die Visa-Beschränkungen abgeschafft werden, damit die jungen Menschen aus diesen Ländern nach Europa kommen können, um dort zu studieren.

Der Ansicht Sarkozys nach scheiterte der Barcelona-Prozess daran, dass die Europäische Union ihre Bemühungen vor allem in Richtung Osten konzentrierte und den südlichen Mittelmeerraum gleichzeitig vernachlässigte, da man von diesem annahm, dass er nur ein besonderes Interesse der anliegenden Staaten darstellte. Dieses erste Jahr des Bestehens der Mittelmeerunion hat gezeigt, dass der Nahostkonflikt zwischen Israel und Palästina, welcher den Barcelona-Prozess auf Eis hat legen lassen, doch auch seine institutionelle Inkarnation lahmgelegt hat. Übrigens antwortete man auch immer noch nicht auf diejenigen Stimmen, die sich hier und da erhoben hatten, um konkrete Projekte zu fordern, ohne auf das Ende eines Konfliktes warten zu müssen, für den noch immer kein Ausweg in Sicht ist. Jedoch wäre gerade die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der beste Friedensträger.

Neben dem Nahostkonflikt wäre es angemessen, auch andere interne Spannungen zu berücksichtigen, die alles andere als belanglos sind: Beispielsweise die Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Westsahara zwischen Marokko und Algerien. Diese behindern nämlich das Projekt einer großen Autobahn, welche die Länder des Maghreb verbinden würde. Oder aber die Position Libyens, welches in der Zusammenarbeit mit Europa einen zurückkehrenden Kolonialismus vermutet.

Auch kann man sich nur schwer vorstellen, wie man es mittelfristig zu einer wirksamen Kooperationsform zwischen beiden Ufern des Mittelmeeres bringen kann, denn die Einkommensdifferenz beträgt 1 zu 10 und ist somit weltweit die wahrscheinlich Höchste, was nicht unbedingt ein gutes Vorzeichen für das zu sein scheint, was uns erwartet.

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