Jerzy Buzek, der neue Präsident des Europaparlaments, Straßburg, 14. Juli 2009 (AFP)

Volle Kraft voraus trotz Gegenwind

Wirtschaftskrise, Klima, Einwanderung, Erweiterung, die Wiederwahl Barrosos oder das Abkommen von Lissabon...Das Programm der Europaabgeordneten für ihre neue Legislaturperiode ist randvoll. Mit ihrem frischgewählten Präsidenten an der Spitze, der zum ersten Mal aus den neuen Mitgliedsländern stammt, steuert es auf einige Turbulenzen zu, warnt die europäische Presse.

Veröffentlicht am 14 Juli 2009 um 17:43
Jerzy Buzek, der neue Präsident des Europaparlaments, Straßburg, 14. Juli 2009 (AFP)

Die 736 am 7. Juni gewählten bzw. wiedergewählten Abgeordneten haben die Legislaturperiode des EU-Parlaments eröffnet. Eine fünfjährige Amtszeit, die sich als arbeitsintensiv abzeichnet. "Der EU-Vertrag von Nizza räumt dem Parlament viel Mitsprache in der EU-Gesetzgebung ein. Kommt im Herbst der neue EU-Vertrag von Lissabon, hat es in der Agrar-, Justiz- und Innenpolitik sowie beim EU-Budget noch mehr Einfluss", erklärt Die Presse. Doch die Wiener Tageszeitung listet auch die Hauptthemen auf, mit denen sich die EU-Parlamentarier beschäftigen werden und die sich als konfliktreich ankündigen: So die Wirtschaftskrise und die Frage der Unterstützung der Banken, oder der EU-Haushalt, der insgesamt 2,4 Milliarden Euro für die Energiemaßnahmen vorsieht, von denen man jedoch noch nicht weiß, woher sie kommen sollen.

Die Frage der Erweiterung der Union wirft ebenfalls Probleme auf, so Die Presse, denn die deutschen Christdemokraten in Straßburg fordern, dass ihr nationales Parlament über die Öffnung jedes Verhandlungskapitels abstimmt. "Dies könnte vor allem den Beitrittskandidaten Türkei negativ betreffen", meint die Zeitung. Weitere Herausforderungen: die Vorbereitung eines neuen Klimaabkommens und vor allem das strittigste Thema, nämlich die Frage der Zuwanderung: Im Frühjahr setzte sich das EU-Parlament für lockerere EU-Regeln ein, doch die meisten Mitgliedsstaaten sind dagegen.

Unterdessen ist das Ereignis des Tages die allseits erwartete Wahl des Polen Jerzy Buzek zum Parlamentsvorsitzenden, nach einem Abkommen zwischen der europäischen Volkspartei und den Sozialisten und Demokraten. Für die Gazeta Wyborzca hat diese Ernennung einen symbolischen Wert, denn sie erfüllt Hoffnungen und Träume, die vor 30 Jahren in den polnischen Schiffswerften aufkamen.

In Bukarest findet auch der Evenimentul Zilei, dass die Nominierung des ersten Osteuropäers an die Spitze des Parlaments "nicht nur das Einvernehmen der mächtigsten politischen Gruppen bestätigt, sondern auch den wachsenden Einfluss, den die östlichen Staaten mit vollem Recht in der EU gewonnen haben". Und doch weiß Buzek, so die Gazeta Wyborzca, "dass er auf Schritt und Tritt als Repräsentant Polens und des neuen Europas beurteilt werden wird. Die "alten" Mitgliedsstaaten werden an seinen Leistungen ermessen, ob die "Neuen" schon europäisch genug sind und ob sie wie die anderen denken".

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Für die [Polska](http://polskatimes.pl/opinie/odredakcji/140918,polska-wchodzi-do-ligi-mistrzow-ue,id,t.html) hingegen bedeutet Buzeks Wahl, dass Polen jetzt zur europäischen "Champion’s League" gehört. "Polen ist in die Elitegruppe der Staaten aufgenommen worden, die in der EU den Ton angeben", freut sich die Warschauer Tageszeitung, bemerkt jedoch auch, dass Buzek nicht länger Pole bleiben könne, er müsse sich jetzt nämlich als "vorbildlicher Europäer" bewähren. "Wer glaubt, es wird einfacher, unsere nationalen Interessen zu verfolgen, weil wir nun einen Mann in einer Top-Position in Brüssel und Straßburg haben, irrt sich schwer", warnt die Polska.

Die andere Ernennung auf dem Arbeitsplan der Abgeordneten ist die des Präsidenten der EU-Kommission. Der Evenimentul Zilei stellt fest, dass die EU-Abgeordneten bereits "ihre Macht gezeigt haben, indem sie die Bestätigung des Portugiesen José Manuel Barroso ablehnten". "Diese Institution hat Zähne", resümiert die rumänische Tageszeitung. "Die echte Frage, die sich in Straßburg stellt, ist, wie lange dieser Verzögerungskrieg noch dauern wird und wann der Name José Manuel Barroso zur Wahl gestellt wird. Der Kandidat wird einstimmig von den 27 Staaten unterstützt", liest man im Figaro. Die französische Tageszeitung erklärt, dass die europäischen Grünen und Liberalen das Ergebnis des irischen Referendums über den Vertrag von Lissabon abwarten wollen, das für den 2. Oktober angesetzt ist. "Wenn die irischen Wähler den Vertrag von Lissabon absegnen, was durchaus plausibel ist, dann ist der Vorsitz der Kommission vielleicht wirklich nur noch ein Sitz unter anderen, der zugeteilt werden muss", so die Zeitung. "Der aktuelle EU-Vertrag von Nizza sieht einen Mehrheitsbeschluss aller Anwesenden vor. Der Vertrag von Lissabon, falls er von den Iren angenommen wird, schreibt die absolute Mehrheit vor", und gibt somit diesen beiden Gruppen eine höhere Gewichtung.

"Für Barroso liegt der Schlüssel zum Erfolg links, bei den Sozialisten", beobachtet also Le Figaro. Doch "eine bis zum Herbst aufgeschobene Wahl würde den Gegnern des Kommissionsleiters ermöglichen, die Bilanz und das – im Übrigen auf sich warten lassende – Programm zu verunglimpfen". Ein derartiger Aufschub könne "Zeit herausschlagen, um eine gegnerische Kandidatur aufkeimen zu lassen, sowie von rechter als auch von linker Seite".

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