Europa fällt auf die Füße

Der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit heißt jetzt „Pakt für den Euro“. Unter dem neuen Namen haben die Europäer eine Form der Wirtschaftsregierung besiegelt. Die Sparpolitik wird beibehalten, schreibt El País.

Veröffentlicht am 14 März 2011 um 15:26

Den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union bleiben noch ganze zehn Tage, um auf ihrem nächsten Treffen [am 25. März] die Pläne für eine Wirtschaftsregierung zu konkretisieren. Dieses Gipfeltreffen wird zu einer wichtigen Zäsur werden. Es wird ein vorher und nachher geben, denn nur wenige Treffen vorher hatten eine so richtungsweisende Bedeutung für die Zukunft der EU. Dabei lassen sich drei Paradoxa ausmachen. Das erste Paradoxon besteht darin, dass wie so oft in der EU, die Ergebnisse eine Reaktion auf Krisensituationen waren und in diesem Fall ist es die brutal hohe Staatsverschuldung, die sogar die Währungsunion in Frage gestellt hat.

Auf dem bevorstehenden Gipfeltreffen müssen die vor einigen Tagen auf der Sondersitzung der 17 Länder der Eurogruppe beschlossenen Vorschläge dann konsolidiert werden: eine strukturelle Wirtschaftspolitik unter dem Namen „Pakt für den Euro“ soll anstelle der Ausweitung und Flexibilisierung des Rettungsschirms für die Länder in Schwierigkeiten ins Leben gerufen werden (440.000 Milliarden Euro effektive Ausstattung für den Aufkauf der hohen Schulden der betroffenen Länder, ohne dass diese dafür immense Zinsen zahlen müssen). Dieser Pakt sieht eine Anpassung der Lohnentwicklung an die Produktivität vor, eine verbesserte Kontrolle des Staatsdefizits, den Anstieg des Renteneintrittsalters, Pläne für eine Rekapitalisierung der angeschlagenen Banken und der progressive und jährliche Abbau der öffentlichen Verschuldung.

„Das reaktionärste Papier, das die Kommission je erarbeitet hat“

Dieser Vorschlag ist zwar bereits von den Regierungen abgemildert worden, beinhaltet aber dennoch in Kern die strengsten Positionen (Lohnkürzungen, Haushaltskürzungen, Sanierung der Staatsfinanzen, Arbeitsbedingungen) von Frau Merkel, die im eigenen Land große Schwierigkeiten hat, die Deutschen davon zu überzeugen, den Ländern an den Rändern Europas mehr Geld zu geben, damit diese ihre wirtschaftlichen Probleme überwinden.

Das zweite Paradox hat der stellvertretende Präsident der Europäischen Kommission, Joaquín Almunia, in einem Interview mit der französischen Tageszeitung Le Monde benannt: die größten Probleme bei der Restrukturierung der Banken hat das Land, das gerade mit Gewalt versucht, seinen europäischen Partnern zu zwingen, die nötigen Reformen so rasch wie möglich anzustoßen.

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Das dritte Paradoxon hängt mit den Inhalten der geplanten europäischen Wirtschaftsregierung zusammen. Es herrscht zwar allgemeiner Konsens über ihre Notwendigkeit, aber man vermisst eine grundlegende Debatte über die möglichen Konsequenzen für die Bürger. Der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, ein Verfechter einer Europäischen Union, die nicht zu einer reinen Wirtschaftsunion verkommt, hat den von Barroso vorgestellten jährlichen Wachstumspakt als „das reaktionärste Papier, das die Kommission je erarbeitet hat“ bezeichnet. Die darin vorgesehenen Maßnahmen zur Senkung der Arbeitslosigkeit in Europa, die mehr als 23 Millionen Menschen betreffen, sind schlichtweg verschwunden. Es gibt nicht einmal mehr eine rhetorische Anspielung auf die Beschäftigung in der Eurozone.

So weit man die Wirtschaftsregierung heute überblicken kann, wäre sie eine weitere Schraube, um die Lebensbedingungen der Mehrheit der Bürger weiter anzuziehen. Wir sind gespannt, mit welchen Argumenten ihnen dies verkauft wird.

Aus dem Spanischen von Ramona Binder

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