Eine Tomahawk-Rakete wird von einem amerikanischen Schiff im Mittelmeer abgeschossen, 19. März 2011.

Gerechter Krieg, unklare Ziele

Die libysche Zivilbevölkerung schützen – mit dem Hauptziel der Operation Odyssey Dawn ist die europäische Presse einverstanden. Was aber könnte noch dahinter stehen: Erdöl? Der Sturz Gaddafis? Das Image Nicolas Sarkozys?

Veröffentlicht am 21 März 2011 um 15:37
Eine Tomahawk-Rakete wird von einem amerikanischen Schiff im Mittelmeer abgeschossen, 19. März 2011.

„Ein vor allem europäischer Krieg“ ist das, meint Kolumnist Xavier Vidal-Folch in El País. Für ihn erinnert „das Vorgehen gegen Libyen“ an das im Kosovo 1999, als „die westliche Öffentlichkeit an einem Punkt angekommen war, an dem es aus humanitärer Sicht kein Zurück mehr gab: Das gute Gewissen Europas konnte die unweit entfernten Massaker nicht mehr akzeptieren“. Jedoch ist der Krieg in Libyen „improvisierter“ und es kann damit gerechnet werden, dass der Weltsicherheitsrat „alle möglichen“ Dinge „absegnet“. Diese „strenge internationale Rechtmäßigkeit ist der Schlüssel, der den ‚gerechten Krieg‘ von dem unterscheidet, der es nicht ist“.

In Rzeczpospolita scheint Kolumnist Marek Magierowski genau darauf zu antworten: „Die Operation Odyssee Morgendämmerung ist weitestgehend als dieser ‚gerechte Krieg‘ zu betrachten, von dem Cicero und Thomas von Aquin sprachen“. Für ihn „vereinen sich die Muslime heute mit dem ungläubigen Westen, um den gefährlichen Verrückten zu stürzen“.

Um einen „Krieg französischer Art“ handelt es sich für România Libera. Das Blatt hebt hervor, dass Nicolas Sarkzoy die NATO aus dem „Spektakel“ ausgeschlossen hat: Der französische Präsident „muss vor allem Frankreichs Ansehen in der arabischen Welt wiederherstellen. Schließlich wirft man Paris vor, zu freundschaftliche Beziehungen zu einigen Diktatoren unterhalten zu haben. Um die Offensive zu legitimieren und eine Wiederholung der Ereignisse im Irak zu verhindern, benötigt er außerdem die Zustimmung so vieler arabischer Länder wie möglich. Und schließlich braucht Sarkozy diesen Krieg ebenso, wie er einst den in Georgien [2008] brauchte, um sein Image vor den nächsten Präsidentschaftswahlen aufzupolieren.“

Jedoch „spielt Frankreich im Gegensatz zum Kosovo eine tragende Rolle. Deutschland ähnelt eher einem politischen Zwerg“, meint Xavier Vidal-Folch in El País. „Wieder einmal balanciert sich die Beziehung neu aus zwischen dem deutschen Wirtschaftsriesen, der besonders während der Eurokrise wuchs, und der politischen Macht Frankreichs, die sich auch durch seine Militärmacht auszeichnet.“ „Während der [Krieg im] Kosovo zur Stabilität auf dem Balkan beigetragen hat, könnte er in Libyen neue Grundlagen für den Annäherungsprozess zwischen Europa und dem Mittelmeerraum schaffen, den Paris untergraben hat.“

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Für De Standaard wäre es das Beste, wenn „Gaddafi selbst die Flinte ins Korn wirft“. Obwohl das nach den Erklärungen vom Wochenende alles andere als wahrscheinlich sei. Die Tageszeitung aus Brüssel schreibt von einer Teilung Libyens, wenn es das Ziel sei, „die libysche Bevölkerung vor den Truppen Gaddafis zu schützen“. Sollte es aber um einen Regimewechsel gehen, so stellt sich die Frage, ob man ihn ohne den Einsatz von Bodentruppen überhaupt erreichen kann.

Dagegen betont De Morgen die zynische Wendung dieses x-ten „Ölkrieges“. Wenn die libyschen Behörden erst einmal „die Lieferung von Erdöl nach Frankreich und von Erdgas nach Italien garantieren können, dann wird das Kriegsziel erreicht sein“, fügt Dziennik Gazeta Prawna hinzu. Ein anderes Ziel sei „die Zerstörung der Macht des Diktators“: Ein Diktator, der „von den Rebellen gehängt wird, wenn er nicht bei einer der Bombardierungen stirbt“, prophezeit das polnische Tagesblatt.

Unterdessen „schnappt die Falle über Gaddafi zu“, titelt Le Figaro und warnt vor „diesem Krieg, dem man nicht voll und ganz zustimmen wird, wenn nicht auch sein Sieg abzusehen ist. Um zu verhindern, dass der Konflikt sich festfährt und das Land sich spaltet, muss den Aufständischen geholfen werden, damit sie sich organisieren, ihre eigene Offensive planen und ein neues Regime in Tripolis schaffen können. Dann wird man sie von allen Seiten her unterstützen. Bleibt zu hoffen, dass sie dazu in der Lage sind.“

Mit „einem Mann“, dem man „Kriegsverbrechen vorwirft“, den der amerikanische Präsident einen ‚Tyrannen‘ nennt, und der laut des UN-Generalsekretärs jegliche Legitimität verloren hat, kann nicht verhandelt werden, urteilt Le Temps und ruft zur „Bewaffnung der Aufständischen“ auf, „damit sie sich gegen ein Regime wehren können, welches sie seit 42 Jahren unterdrückt“. Diese Meinung vertritt auch Gazeta Wyborcza, für die „der Eingriff in Libyen zeigt, dass die internationale Gemeinschaft das Recht der Menschen auf ein Leben in Sicherheit höher stellt als das von Diktatoren, andere daran zu hindern, sich in die internen Angelegenheiten ihrer Länder einzumischen.“

Trotz des Widerstandes der Liga Nord und der ursprünglichen Vorsicht Silvio Berlusconis gegenüber seinem alten „Freund“ Gaddafi hat Italien sich schließlich für eine aktive Beteiligung an der Koalition entschieden. Im Corriere della Sera schreibt Angelo Panebianco, dass die Italiener „nicht nur wirtschaftlich aber auch geografisch stark gefährdet sind. Wir sind am Nächsten gelegen und vollkommen ausgeliefert“: Beispielsweise wurde am 20. März ein ziviles italienisches Boot von bewaffneten libyschen Männern durchsucht.

Die italienischen Ängste sind berechtigt: Während die militärischen Operationen in Libyen fortgesetzt werden, spitzt sich die humanitäre Krise auf der nahen italienischen Insel Lampedusa zu. La Stampa berichtet von mehr als 5.000 Einwanderern in den Auffanglagern der Insel, deren – nicht wesentlich zahlreicheren – Bewohner den Bau eines Übergangslagers verhindert und die sofortige Weiterreise auf den Kontinent gefordert haben. (jh)

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema