Barack und Michelle Obama im Prager Hradcany Square, 5. April 2009 (AFP)

Lieber Barack, zur Erinnerung...

Mehrere führende Politiker aus Mittel- und Zentraleuropa haben dem US-amerikanischen Präsidenten einen offenen Brief geschrieben. Darin warnen sie ihn: Amerika solle Mittel- und Osteuropa nicht vergessen und gegenüber Russland eine entschlossene und an Grundwerten ausgerichtete Politik verfolgen. Die Debatte um die Raketenabwehr stelle Washingtons Glaubwürdigkeit auf die Probe.

Veröffentlicht am 16 Juli 2009 um 15:01
Barack und Michelle Obama im Prager Hradcany Square, 5. April 2009 (AFP)

In den Jahren seit 1989 hat es eine solche Initiative noch nicht gegeben. Eine Gruppe ehemaliger Präsidenten, Ministerpräsidenten und Kabinettsmitglieder des – wie man ihn einst nannte – sowjetischen Blocks, machen den US-amerikanischen Präsidenten in einem offenen Brief darauf aufmerksam, dass das einst allgemein anerkannte enge Bündnis mit Washington auf seine bisher härteste Probe gestellt wird.

"Die neue Obama-Regierung legt ihre eigenen Prioritäten für die Außenpolitik fest", heißt es in diesem Brief, doch "unsere Region ist ein Teil der Welt, über die sich die Amerikaner keine Sorgen mehr machen. Tatsächlich haben wir hin und wieder den Eindruck, dass viele amerikanische Beamte aufgrund der [hier] so erfolgreich gewesenen US-Politik nun schlussfolgern, dass unsere Gegend ein für allemal standfest ist. So können sie einfach 'einen Haken daran machen', um dann anschließend mit anderen, noch dringlicheren strategischen Problemen weiterzumachen. Die Beziehungen waren so eng, dass viele Menschen auf beiden Seiten annahmen, dass die transatlantische Orientierung der Region, so wie ihre Stabilität und Wohlstand für immer anhalten werden. Jedoch handelt es sich hierbei um eine voreilige Annahme."

Der heute anlässlich einer Konferenz in Washington präsentierte Brief, den die ehemaligen Präsidenten Polens und der Tschechischen Republik, aber auch die ehemaligen Staatsoberhäupter von Litauen (Valdas Adamkus), Rumänien (Emil Constantinescu), der Slowakei (Michal Kováč) und Lettland (Vaira Vīķe-Freiberga) unterschrieben haben, schlägt einen viel schärferen Ton an, als man es in der Diplomatie gewöhnt ist.

Die meisten Unterzeichner sind eigentlich für ihre Sympathie gegenüber Amerika bekannt. Der Brief scheint daher vielmehr eine Reaktion auf die sich unlängst abkühlenden Beziehungen der Region mit den USA zu sein. Zahlreiche Experten meinen, dass Mittel- und Osteuropa für die Obama-Regierung keine Priorität darstellt. Zudem weisen Meinungsumfragen darauf hin, dass die Menschen in der Region immer weniger mit dem Bündnis mit Washington einverstanden sind.

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Die Autoren des Briefes machen darauf aufmerksam, dass Mittel- und Osteuropa "an einer politischen Kreuzung steht, und man heutzutage in dieser Region immer nervöser wird". Ein Grund dafür ist sicherlich, dass das "atlantische Bündnis unterstützend bereitstand", als Russland im Krieg vergangenen Jahres internationales Recht und die "territoriale Unantastbarkeit" Georgiens "verletzte". Auch machte man sich keinerlei Illusionen über die langfristigen Zielsetzungen Moskaus.

"Unsere Hoffnungen darauf, dass die Beziehungen zu Russland sich verbessern, und dass Moskau unsere vollständige Souveränität und Unabhängigkeit dann ausnahmslos akzeptiert, wenn wir erst einmal der NATO beigetreten sind und zur EU gehören, wurden enttäuscht. Anstatt dessen ist Russland als revisionistische Macht zurückgekehrt, die ihre Agenda aus dem 19. Jahrhundert mit Taktiken und Methoden des 21. Jahrhunderts verfolgt", schreiben die Autoren des Briefes. Sie warnen Präsident Obama davor, Russland gegenüber „falsche Zugeständnisse“ zu machen. Auch betonen sie, dass eine "entschlossenere und an Grundwerten ausgerichtete Politik gegenüber Moskau nicht nur dazu beiträgt, die Sicherheit des Westens zu verbessern. Sie werde Moskau letzten Endes auch dazu bewegen, einen viel kooperativeren Kurs einzuschlagen."

In diesem Kontext scheint die in Polen und der Tschechischen Republik geplante US-amerikanische Raketenabwehrinstallation die "heikelste Frage" zu sein. Die Abkommen mit Warschau und Prag wurden von der Administration George W. Bushs unterzeichnet. Ihr nun amtierender Nachfolger hat sich diesbezüglich noch nicht geäußert. "Wenn man dieses Projekt völlig aufgeben sollte, oder Russland zu sehr miteinbezieht, ohne Polen oder Tschechien auch nur um Rat zu fragen, so stelle das die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika in der gesamten Region in Frage", behaupten die Autoren des Briefes.

Außerdem rufen sie zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa auf, wenn es um Krisengebiete wie Afghanistan und Pakistan geht. Sie wünschen sich gegenüber Russland eine gemeinsame auf NATO-Level koordinierte Politik, und eine "bessere und strategischere USA-EU Beziehung". So würde die NATO nicht nur gegenüber Russland die gleiche Meinung wie die EU vertreten, sondern auch hinsichtlich der europäischen Energiesicherheit zusammenarbeiten.

Kwasniewski, Walesa, Adamkus, Havel und andere finden es „absurd“, dass die Bewohner einiger Länder der Region, einschließlich Polen und Rumänien, "die zwei wohl größten und pro-amerikanischsten Staaten der Region", noch immer Visa benötigen, um in die USA zu reisen. "Es sei nicht zu verstehen, dass ein Kritiker, wie beispielsweise der französische Antiglobalisierungsaktivist José Bové, kein Visum für die Vereinigten Staaten braucht, während ehemalige Solidarnosc-Aktivisten und Nobelpreisträger wie Lech Walesa dieses noch immer benötigen."

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