Lissabon kapituliert vor den Märkten

Nach monatelangem Widerstand gegen den Druck der Märkte entschloss sich die Regierung von José Sócrates letztendlich doch dazu, die Hilfe der EU und des IWF zu beantragen, um einen Zahlungsausfall zu verhindern. Die Unterstützung in Höhe von rund 75 Milliarden Euro dürfte vor den Wahlen vom 5. Juni freigegeben werden. Eine zu lange herausgezögerte Entscheidung, findet die europäische Presse.

Veröffentlicht am 7 April 2011 um 14:37

„Der portugiesische Ministerpräsident José Sócrates hat zwei Wochen gebraucht, um das Unvermeidliche zu akzeptieren, nun ist es ihm endlich gelungen“, schreibt The Guardian. Die Londoner Tageszeitung ist der Meinung, Sócrates habe, „indem er in Brüssel einen Notkredit beantragte, die radikalste der ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen getroffen“ – und auch getan, „worauf die europäischen Entscheidungsträger, die Finanzmärkte und zahlreiche Portugiesen seit langen Tagen warteten“.

In der Tat seien dem portugiesischen Ministerpräsidenten „die Möglichkeiten ausgegangen“, und dies seit seinem Rücktritt vom 23. März, als das Parlament sein neues Sparprogramm ablehnte. „Seit diesem Abend hängt Portugal politisch in der Luft – und gilt für die Finanzmärkte in gewisser Art als todgeweiht.“

„Es wird nicht einfach sein, noch mehr Sparmaßnahmen zu akzeptieren, doch noch mehr Demagogie, Realitätsverweigerung, politische Inkompetenz oder Verantwortungslosigkeit zu akzeptieren, das ist unmöglich,“, wettert Público in einem (nicht unterzeichneten) Leitartikel:

„Die Rückkehr des Internationalen Währungsfonds (IWF) bedeutet für Portugal eine schwere Niederlage.“

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In derselben Zeitung meint Autorin Teresa de Sousa, die Entscheidung der portugiesischen Regierung habe seit dem Rücktritt von José Sócrates in der Luft gelegen und es sei so weit gekommen, dass der kurzfristige Zins der portugiesischen Verschuldung einen gefährlich hohen Stand erreicht hatte: Wie The Guardian erklärt, hätte Portugal „immer mehr Geld aufnehmen müssen, nur um die Zinsen für seine Schulden zurückzahlen zu können“. Kurz, so fasst Teresa de Sousa zusammen, „es lohnte sich nicht mehr, weiter standzuhalten“.

„Der Antrag auf Rettung von außen, vor den Parlamentswahlen am 5. Juni, gehörte zu den Szenarien, die der Ministerpräsident schon am Tag seines Rücktritts auf den Tisch gelegt hatte“, schreibt de Sousa weiter. „Trotz offizieller Dementis über Kontakte zu den europäischen Behörden war diese Möglichkeit erstmals beim Europäischen Rat vom 24. und 25. März in Brüssel erwähnt worden, gleich nach dem Rücktritt der Regierung. Die Ereignisse überstürzten sich, nachdem in den letzten drei Tagen die wichtigsten Banken des Landes öffentlichen Druck auf die Regierung ausübten, damit diese einen europäischen Rettungsschirm beantragte.“

Auch andere Faktoren bewegten die Sócrates-Regierung zu diesem Schritt, so de Sousa weiter:

„Zunächst die informelle Zusammenkunft der Wirtschafts- und Finanzminister [am 8. und 9. April] in Budapest, bei welcher die Portugiesen den Forderungen ihrer europäischen Amtskollegen hinsichtlich einer sofortigen Klarstellung der täglich schwerer tragbaren Situation ausgesetzt gewesen waren. Dann hatte die britische Financial Times [am 6. April] die am Vortag im Público veröffentlichten Enthüllungen der Kontakte zwischen den portugiesischen und europäischen Behörden über die Modalitäten einer Rettung durch die Europäischen Kommission bestätigt. Trotz des offiziellen Widerrufs bestätigten regierungsnahe Quellen der Zeitung Público, dass zwischen der Regierung, der Kommission und dem IWF Kontakte stattgefunden hatten.“

Im Gegensatz zu Griechenland und Irland steht Brüssel mit Portugal einer besonderen Situation gegenüber, wie de Sousa schließlich betont, denn „es muss mit der Regierung, mit dem Staatspräsidenten und mit den Parteien, die nach der Wahl an die Macht kommen könnten, verhandeln“. Die wahrscheinlichste Hypothese ist ein Eingreifen des Europäischen Finanzstabilisierungsfonds (EFSF) und des IWF.

Nach Angaben von El País, war von dem portugiesischen Antrag „niemand überrascht, doch er wurde aus politischen Gründen aufgeschoben“, da José Sócrates die ganze Sache der nächsten Regierung übertragen wollte.

Die Portugiesen werden mit einer „paradoxen Situation“ fertig werden müssen, findet die Tageszeitung aus Madrid, denn die Rettung durch die EU bedeutet nicht, dass mit den wirtschaftlichen Problemen nun Schluss ist. Die portugiesische Wirtschaft wird „einen drastischen Sparplan“ annehmen müssen, der sogar „noch strenger als der am 23. März vom Parlament abgelehnte“ sein könnte. Was die möglichen Niederschlagungen der portugiesischen Krise auf die spanische Wirtschaft betrifft, so ist letztere „zum Einstürzen zu groß, zum Retten zu groß“, so die Formulierung in El País.

„Ein Angriff auf die spanischen Schulden wäre in Wirklichkeit eine Bedrohung für den ganzen Euro: Spanien ist das Limit zwischen diesem kalten Krieg und einem regelrechten Konflikt mit dem Euro und dem EU-Projekt [...]. Die Reaktion der Märkte in den kommenden Tagen wird bestätigen, ob die Domino-Theorie zutrifft.“

So kommentiert die Tageszeitung, die jedoch auch findet, dass sich die Zahlungsfähigkeit Spaniens „deutlich von der Portugals und Irlands unterscheidet“, insbesondere dank der kürzlich verabschiedeten Wirtschaftsreformen. Deshalb schließt El País optimistisch, es sei sehr wahrscheinlich, dass „die europäische Schuldenkrise mit Portugal endet“.

In Österreich ist das Urteil strenger. So titelt etwa der Wiener Standard über das „Euro-Lügengebilde“.

„Es wird sich wohl irgendwie ausgehen. Doch die Glaubwürdigkeit der Eurozone hat mit dem aufgeflogenen Täuschen und Tarnen mehr als einen weiteren Kratzer erhalten. Die Währungsunion verkommt zusehends zu einem Lügengebilde: Die erste war, dass Griechenland es ohne Hilfe schafft. Irland und Portugal wurden bei Lüge II und III ertappt. Der goldene Pinocchio, Lüge Nummer IV, geht an die Eurozone, die immer noch vorgaukelt, die mit Steuergeld aufgefangenen Staaten könnten die Euro-Kredite ohne Umschuldung zurückzahlen.“ (pl-m)

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