Das französische Burka-Verbot tritt heute in Kraft - Ich habe nichts anzuziehen!

Burka-Verbot, kein guter Schachzug

Das Tragen einer Burka in der Öffentlichkeit ist ab heute in Frankreich verboten. Für The Independent gehört das neue Gesetz zur Wahlpropagandataktik eines kampfbereiten Nicolas Sarkozy und wird die Verhältnisse für Muslime in Europa nur verschlimmern.

Veröffentlicht am 11 April 2011 um 14:52
Plantu (Le Monde)  | Das französische Burka-Verbot tritt heute in Kraft - Ich habe nichts anzuziehen!

Als der „eiserne Kanzler“ Otto von Bismarck im neu vereinten Deutschland der Jahre nach 1870 von der katholischen Kirche die Zügel der Macht übernahm, wurde diese Auseinandersetzung als „Kulturkampf“ bezeichnet. Grundlegend war dabei der Gedanke, dass ein guter Deutscher nicht einer fernab in Rom sitzenden, religiösen Autorität treu ergeben sein konnte – verkauft wurde das Ganze als eine Liberalisierung und nicht etwa als Unterdrückung der Gläubigen. Es führte allerdings zu nichts. Die Katholiken witterten andere Absichten dahinter, scharten sich um ihren Pontifex, und wenn sie zwischen Glauben und Staatstreue wählen mussten, entschieden sie sich oft für ersteren.

Die Franzosen sollten sich solche Betrachtungen zu Gemüte führen, während ihr eigener Kulturkampf gegen den Vollschleier nun eine legale Grundlage bekommt – und während etliche Frauen deutlich sagen, dass sie nun, da sie eine Verhaftung dafür riskieren, sogar noch entschlossener sind, die Burka oder den Niqab in der Öffentlichkeit zu tragen.

Die öffentliche Meinung in Großbritannien hat die starken Gefühle in Frankreich zu diesem Thema nicht ernst genommen und ist oft davon ausgegangen, die Feindseligkeit gegenüber dem Schleier sei ein Erkennungszeichen islamfeindlicher Rechtsextremisten. Das ist ein Missverständnis. Frankreich weiß weit mehr als Großbritannien über die Tragweite eines Glaubenskriegs. Im späten 16. Jahrhundert schwamm Paris im Blut abgeschlachteter Protestanten und der darauffolgende Konflikt zerfleischte das Land über mehrere Generationen hin. Die Tatsache, dass Frankreich so sehr unter der Religion gelitten hat, untermauert den Konsens der Rechten und der Linken im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Trennung von Kirche und Staat im öffentlichen Leben aufrechtzuerhalten.

Es ist bedauerlich, dass diese in vieler Hinsicht bewundernswerte Philosophie in das undurchsichtige Kalkül eines kampfbereiten Präsidenten verstrickt wurde, der schon an die nächstjährigen Wahlen denkt – und dies vor dem Hintergrund miserabler Umfrageergebnissen, die ihn teilweise schon weit hinter der rechtextremen Marine Le Pen sehen. Es besteht der Verdacht, dass Nicolas Sarkozy öffentliche Zusammenstöße mit muslimischen Hardlinern über das Schleierverbot sogar begrüßen und sie als Wählerquelle sehen könnte. Sollte das der Fall sein, spielt er allerdings mit dem Feuer. Nur sehr wenige Frauen in Frankreich sind völlig verschleiert, doch vielen französischen Muslimen gefällt es überhaupt nicht, dass ihre Gemeinschaft ausgesondert wird, und somit besteht die Gefahr, dass sich das neue Verbot als kontraproduktiv herausstellt. Nur gut, dass keine große britische Partei denselben Weg einschlagen will.

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Aus dem Englischen von Patricia Lux-Martel

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